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Proteste nach Tod von Mahsa Amini (†22): Die Heldinnen des Iran


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  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 23.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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Demonstranten in Istanbul: Auch in anderen Ländern haben sich Frauen den iranischen Protesten angeschlossen.Vergrößern des Bildes
Demonstranten in Istanbul: Auch in anderen Ländern haben sich Frauen den iranischen Protesten angeschlossen. (Quelle: Francisco Seco/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wir befinden uns gerade in einer merkwürdigen Übergangszeit, was das Wetter angeht. In dem einen Moment ziehen dunkle Wolken auf, Regen prasselt auf die Straßen, ehe die Sonne Minuten später schon wieder alles trocknet. Und das mehrmals täglich im Wechsel.

Das bereitet bei der Garderobe Probleme: Manche Leute laufen noch in T-Shirts und kurzen Hosen herum, andere tragen schon dicke Winterjacken. Die Kleidungswahl anderer kann in solchen Fällen durchaus befremdlich wirken. Doch die gute Nachricht ist: Egal, wie das Wetter heute bei Ihnen wird, Sie können tragen, was sie wollen. Klingt selbstverständlich, oder?

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Im Iran ist das anders. Dort verrät die Kleidung der Bürger viel mehr etwas über das Menschenbild der staatlichen Führung – vor allem bei Frauen. Wer der Kleiderordnung des Regimes nicht folgt, kann in Schwierigkeiten geraten. Oder sterben, wie im Fall von Mahsa Amini. Vor genau einer Woche wurde der Tod der 22-Jährigen in einem iranischen Krankenhaus in Teheran vermeldet.

Amini war Tage zuvor von der Sittenpolizei festgenommen worden. Der Grund: Aus Sicht der angeblichen Moral- und Sittenhüter hatte die Frau ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen. Es seien zu viele ihrer Haare zu sehen gewesen. Nach ihrer Festnahme lag sie mehrere Tage lang im Koma. Die Version der Behörden lautet, Amini habe in Polizeigewahrsam einen Herzanfall erlitten. Doch viele ziehen das in Zweifel: Im Netz kursieren Bilder, die beweisen sollen, dass Amini nach ihrer Festnahme schwer am Kopf verletzt wurde. "Das hätte ich sein können. Das hätte jede sein können. Mich haben die Beamten nie verprügelt, aber sie haben mich zum Beispiel 'Schlampe' genannt, nur weil ich mit zwei männlichen Freunden im Café saß", sagte eine iranische Aktivistin jüngst der "Zeit". Vielen Frauen reicht es nun. In aller Öffentlichkeit legen sie ihre Kopftücher ab und verbrennen sie, andere schneiden sich ihre ach so sündhaften Haare ab. Die Bilder gehen um die Welt – genauso wie die der Proteste, an denen auch Männer teilnehmen.

Es wäre allerdings reichlich untertrieben, die Proteste auf den Wunsch nach freier Kleiderwahl zu reduzieren. Die berechtigte Wut richtet sich gegen ein Regime, das mit dem Wort "rückständig" noch nicht mal im Ansatz beschrieben ist. Männer dürfen im angeblichen Gottesstaat Iran ihre Ehefrauen schlagen und vergewaltigen, ohne dass ihnen juristische Konsequenzen drohen. Scheidungen sind für Frauen nur schwer durchsetzbar, Männer können ihre Ehe jederzeit beenden – nur um einige Beispiele zu nennen.

Die Proteste breiten sich immer weiter aus, während die iranische Führung mit immer mehr Härte reagiert: Videos im Netz sollen zeigen, wie auf Demonstranten geschossen wird. Berichten zufolge sind bisher mindestens 17 Menschen gestorben, hinzu kommen Hunderte Verletzte. Überprüfen lassen sich die Angaben kaum, auch weil die iranischen Behörden das Internet weitestgehend abgeschaltet haben.

Das Vorgehen der staatlichen Führung weckt schlimme Erinnerungen. 2019 hatten die Machthaber mit ähnlichen Mitteln Massenproteste gegen steigende Benzinpreise niedergeschlagen. In nur vier Tagen kamen laut Amnesty International 321 Menschen ums Leben.

Die Bilder von damals dürften den Iranerinnen noch präsent sein. Ihren bewundernswerten Mut scheinen sie aber nicht zu verlieren. "Wir werden sterben, wir werden sterben, aber wir werden den Iran zurückbekommen", skandieren sie bei ihren Protesten.

Um das iranische Regime tatsächlich ins Wanken zu bringen, dürfte aber mehr als lautstarker Protest notwendig sein. An diesem Punkt kommt unsere Bundesregierung ins Spiel: "Feministische Außenpolitik ist kein europäisches oder westliches Konzept. Es ist ein universelles Menschenrechtskonzept", sagte Außenministerin Annalena Baerbock gestern am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Den "brutalen Angriff auf die mutigen Frauen" nannte sie einen "Angriff auf die Menschheit." Deshalb wolle Baerbock den Fall vor den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bringen.

Das wäre ein erster richtiger Schritt. Denn vehemente Verurteilungen der Geschehnisse allein reichen nicht aus. Zu viele Politiker haben jahrzehntelang trotz der menschenunwürdigen Verhältnisse in dem Land nur zugesehen. Auch jetzt bleibt der große Aufschrei nicht nur in Deutschland weitestgehend aus. Wenn die Bundesregierung es mit ihrer vermeintlich neuen Außenpolitik ernst meint, dann sollte sie den Druck auf den Iran weiter erhöhen.

Für den Moment ist eine schnelle Verbesserung für die Frauen im Iran nicht in Sicht. Den Starrsinn der iranischen Führung konnte man auch an einem anderen Beispiel erkennen: Ein Interview mit dem Nachrichtensender CNN in New York sagte Präsident Ebrahim Raisi gestern kurzfristig nach wochenlanger Vorbereitung ab. Der Grund: Die amerikanische Interviewerin wollte während des Gesprächs kein Kopftuch tragen.


Eine Wahl, die keine ist

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"Man wird von Haus zu Haus gehen und die Leute rausholen und zu den Urnen karren", ist sich Militärexperte Carlo Masala sicher. Auch er spricht von einer gefälschten Wahl, die in den Gebieten bis Montag abgehalten werden soll. Das Ergebnis dürfte aus russischer Sicht wohl schon jetzt feststehen. Dass kaum ein anderes Land und schon gar nicht die Ukraine den Ausgang anerkennen wird allerdings auch.

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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag und ein schönes Wochenende. Morgen hören Sie in unserem Podcast meine Kolleginnen Lisa Fritsch, Miriam Hollstein und Lisa Becke.

Herzliche Grüße,

Ihr

David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
Twitter @Schubfach

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Mit Material von dpa.

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