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Opferdilemma der AfD: Andreas Jurca und die fehlende Glaubwürdigkeit


Nach Angriff auf AfD-Politiker
Das Opfer-Dilemma des Andreas Jurca

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 07.10.2023Lesedauer: 7 Min.
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Andreas Jurca: Der AfD-Landtagskandidat erzählte einen Tag nach einem Vorfall von dem Angriff, der wegen seiner Parteizugehörigkeit erfolgt sei.Vergrößern des Bildes
Andreas Jurca: Der AfD-Landtagskandidat erzählte einen Tag nach einem Vorfall von dem Angriff, der wegen seiner Parteizugehörigkeit erfolgt sei. (Quelle: IMAGO/Gabrielle Mailbeck)

Die AfD spricht gehäuft von mutmaßlichen Anschlagsplänen und Angriffen auf ihre Politiker, und wenig ist klar dabei. AfD-Politiker haben Mühe mit der Glaubwürdigkeit, zeigt der Fall von Andreas Jurca.

Beim Festumzug zur "Plärrer" in Augsburg, dem größten Volksfest Bayerisch-Schwabens, stieg am 26. August bei Zugnummer 86 die Spannung. Als der Unimog mit der Gruppe kam, zoomte die Kamera eines Lokalsenders erstmals aus der Totalen auf eine einzelne Person. Erst fiel das AfD-blaue Banner mit dem Slogan "Heimat und Tradition" auf dem Anhänger ins Auge, dann war eine Gruppe in Tracht zu erkennen. In ihrer Mitte ein Mann mit weißem Hemd, hellbrauner Lederhose, kurzem Haar und Brille: Andreas Jurca.

Von den Schwellungen und Verfärbungen auf beiden Seiten der Augenpartie war kaum noch etwas zu sehen. Die Hämatome hatte er zwei Wochen zuvor davongetragen, als er nach seinen Angaben nach dem Grillen mit AfD-Freunden auf dem Heimweg von Unbekannten brutal überfallen worden war. Kurz nach dieser Tat hatte Jurca ein Interview gegeben: "Gewalt eskaliert! Migranten verüben brutalen Angriff auf AfD-Politiker!", war der Beitrag betitelt. Über Nacht wurde der 35-Jährige zum deutschlandweit bekanntesten Kandidaten der AfD für die Landtagswahl in Bayern.

Es häufen sich aus der AfD Berichte von möglichen Angriffen auf ihre Politiker. Zuletzt sollen nach AfD-Darstellung die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla Ziel von Anschlagsplänen geworden sein. Die Darstellungen in diesen Fällen sind widersprüchlich: Bei Weidel sind sie zum Teil widerlegt, und bei Chrupalla entpuppten sich vermeintliche Bestätigungen dann doch als voreilig. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU nannte es "infam und hinterfotzig", "wie die AfD im Landtagswahlkampf versuche, aus den Vorfällen bei der eigenen Klientel Kapital zu schlagen, ohne die Ermittlungen abzuwarten".

"Man wollte mich von Anfang an verleumden"

Dass die Ermittlungen laufen, war lange die einzige Antwort, wenn Journalisten zum Stand des Verfahrens im Fall Jurca den Augsburger Oberstaatsanwalt Andreas Dobler befragten. Am Donnerstag bestätigte er aber, dass es zwei Verdächtige gibt. Dobler ist ein umgänglicher Pressesprecher, im Hintergrundgespräch erklärt er ausführlich, warum er aber auch unerbittlich sein kann. Wenn er zu viel sage, könne das laufende Ermittlungen gefährden.

In Ingolstadt mussten sich Doblers dortige Kollegen gerade damit herumschlagen, dass Medien offenbar aus Tino Chrupallas Umfeld den Arztbrief der Klinik hatten, noch bevor die Staatsanwälte ihn kannten. In Augsburg hat Doblers Behörde ein rechtsmedizinisches Gutachten über die Verletzungen von Jurca erstellen lassen und verrät nichts über dessen Inhalt.

Nach t-online-Informationen räumt das Gutachten aber zumindest mit einer weitverbreiteten Behauptung auf: Dass die Verletzungen selbst zugefügt sein könnten oder dass eine unvorbereitete Attacke als Auslöser der symmetrischen Verletzungen auszuschließen ist. Dobler bestätigt nur: Es gibt das Gutachten, und ermittelt wird wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil Jurcas. "Gefährliche Körperverletzung" deshalb, weil mutmaßlich gemeinschaftlich von mehreren Tätern begangen, eine der möglichen Voraussetzungen.

Und inzwischen wurde auch bekannt: Es gibt zwei Tatverdächtige, einen 19 und einen 21 Jahre alten Mann. Bei beiden wurden die Wohnungen durchsucht. Jurca war diesmal nicht der Erste, der die Nachricht in eigener Sache verkünden konnte. Er habe es selbst aus den Medien erfahren, sagte er t-online. Es freue ihn. "Gerade vor dem Hintergrund der bösartig-schwachsinnigen Behauptungen, ich hätte alles in irgendeiner Form 'inszeniert', zeigt diese Meldungen jetzt, wie sehr man mich von Anfang an verleumden wollte."

Fraktionsvorsitzender von Fraktionsgeschäftsführerin "interviewt"

Im August hatte er seinen Fall im Gespräch mit dem "Deutschland-Kurier" öffentlich gemacht. Das ist das AfD-Hausmedium, und die Fragen dort wurden Jurca, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD in Augsburg, von seiner Fraktionsgeschäftsführerin gestellt, Gabrielle Mailbeck. Die tritt auf wie ein großer Fan. In einem Werbespot wirbt die aus Brasilien stammende Frau für Jurca als den "Kandidaten, der sein Leben für uns widmet".

Im Interview berichtete Jurca ihr, dass es dunkel gewesen sei und er Filmrisse vom Geschehen habe. Ihm und einem Begleiter sei kurz vor der Attacke eine größere Personengruppe mit "Südländern" ("aber nicht Italiener oder Spanier") entgegengekommen. Einer habe ihn gefragt, ob er "der von den Plakaten sei". Danach sei er von dem Mann und einem weiteren niedergestreckt worden, gerufen worden sei "irgendwas mit Scheißnazi". Die Botschaft: Jurca als Angriffsopfer von Migranten, weil er sich für die AfD engagiert.

Es kamen Erinnerungen auf an den früheren Bremer AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz: Der war 2019 nach einem Nackenschlag eines bis heute Unbekannten zu Boden gegangen. Die AfD verbreitete die Geschichte, er sei von drei Maskierten getreten und mit Kantholz geschlagen worden. Ein Überwachungsvideo entlarvte diese Lüge, die Magnitz mit einem Foto seines vom Sturz blutigen Gesichts verbreitet hatte. Er habe "mediale Betroffenheit" erzeugen wollen, schrieb Magnitz später Parteifreunden.

"Junge Freiheit" wunderte sich über "Merkwürdigkeiten"

Im Fall des Augsburgers Jurca wuchsen die Zweifel, weil die AfD-freundliche "Junge Freiheit" in einem Text große Fragezeichen hinter seine Darstellung machte. Da gab es einen angeblichen Zeugen, der behauptete, Jurca müsse das Grillfest viel früher verlassen haben, der angebliche Notruf um 5 Uhr bei der Polizei ergebe deshalb keinen Sinn und es sei seltsam, dass er erst verspätet im Krankenhaus auftauchte. Außerdem gab es an jenem Wochenende zwar eine Polizeimeldung zu einer Kneipenprügelei in Augsburg, aber zunächst nicht zu Jurcas Fall.

Eine andere Nachricht bestimmte aber die Schlagzeilen, als Jurca zwei Wochen später samstags auf dem Anhänger beim Festumzug mit den Parteifreunden durch Augsburg fuhr. Seit dem Donnerstag, 24. August, rauschten Berichte über eine Anzeige durchs Netz: Gegen Jurca werde nun ermittelt, "falsche Verdächtigung". Für viele überzeugte AfD-Gegner war das die Bestätigung für das, was sie schon vermutet oder gehofft hatten: alles inszeniert.

Und die Verletzungen in Jurcas Gesicht sahen sehr symmetrisch aus. Deshalb kursierte auch bald eine Karikatur im Netz, in der Jurca einen tumben Glatzkopf auffordert, asymmetrisch zuzuhauen. Nach getanem Werk und zwei akkurat gleich sitzenden Veilchen fragt der Schläger: "Was heißt asymmetrisch?"

Viele der vermeintlichen oder echten Widersprüche sind inzwischen ausgeräumt. Die Zeichnung musste Jurca dennoch auch mehrfach in den Kommentaren unter Beiträgen auf seiner Facebook-Seite sehen. Die Vorstellung ist nicht schön, tatsächlich nachts überfallen und erheblich verletzt zu werden und dann über sich zu lesen, man sei ein Betrüger. AfD-Gegner sind damit schnell zur Stelle und manchmal kaum besser als AfD-Politiker, die regelmäßig mit unbelegten Mutmaßungen und Unterstellungen Stimmung machen.

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Anzeige wegen falscher Verdächtigung machte Wirbel

Bei Jurca, dem Angestellten der bayerischen AfD-Landtagsfraktion, ist bislang auch noch nicht sicher, ob alle seine Schilderungen stimmen. Aber die Anzeige bei der Augsburger Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen mutmaßlicher "falscher Verdächtigung", über die groß berichtet wurde, ist kein Beleg für das Gegenteil.

Die Ermittler mussten Jurca danach sagen, dass bei den ohnehin laufenden Vernehmungen auch die Vorwürfe gegen ihn selbst geprüft werden. Sie hatten dazu aber keine Erkenntnisse, sie änderten auch ihre Ermittlungen nicht. Die Frage der "falschen Verdächtigung" steht hinten an, solange es Anhaltspunkte gibt, dass die Tat geschehen ist. Und die Ermittler hegen daran bisher keine Zweifel.

Der Saarländer Gilbert Kallenborn hatte diese Zweifel und hat deshalb die Anzeige erstattet. Er bezeichnet sich selbst als "jüdischen Aktivisten" und wurde bundesweit bekannt, als er dem Rapper Kollegah das Vortragen einer üblen antisemitischen Textzeile erfolgreich untersagen ließ.

Kallenborn stellt viele Anzeigen, im Fall Jurca auch noch eine weitere: Er hat Nachricht von der Staatsanwaltschaft Hamburg, dass dort ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung geführt wird. Der Saarländer hat Jurcas Fragestellerin Mailbeck und den "Deutschland-Kurier"-Chef David Bendels wegen des Interviews angezeigt. Die Hamburger Behörde relativiert: "Über die Aufnahme von Ermittlungen ist noch nicht entschieden worden."

Nur einer der Verdächtigen hat sich einen Anwalt genommen

Andreas Jurca selbst war nach den Zweifeln an seiner Geschichte verstummt. t-online teilte er im September höflich mit: Er wolle vorerst nichts sagen. Anwälte könnten ihm auch erklärt haben, wie nachteilig öffentliches Auftreten für das Verfahren und eine Verurteilung möglicher Täter sein kann. Aus seinem Umfeld heißt es, Jurca würde die Opfergeschichte heute nicht noch einmal auf diese Weise ausschlachten. Er habe unterschätzt, was er damit auslöst an Verdächtigungen und Anfeindungen. Er habe dann einfach Ruhe haben wollen und die Hoffnung aufgegeben, mit Antworten Zweifel zu zerstreuen.

Die neueste Entwicklung hat er dann aber doch kommentiert. Weil sie für ihn offenbar so etwas wie der Durchbruch ist. "Ich bin froh, dass die Ermittlungen der Polizei von Erfolg gekrönt waren", teilte er t-online mit. Das könnte voreilig sein.

Es geht um den 19- und den 21-Jährigen, die in Tatverdacht geraten sind und bei denen deshalb die Wohnungen durchsucht wurde. Über sie ist wenig bekannt, nur dass sie deutsche Staatsangehörige sind. Zu einem Migrationshintergrund sagt die Staatsanwaltschaft nichts, das werde nicht erfasst. Keine Angaben dazu, ob die Namen zumindest Hinweise darauf liefern könnten. Die Polizei informiere aber am Freitag, dass der ältere auch eine türkische Staatsangehörigkeit hat.*

Staatsanwalt Dobler lässt völlig offen, ob es bei ihnen eine politische Motivation geben könnte. Auch dazu sind die Handys sichergestellt worden, die Kommunikation soll ausgewertet werden. Ein drittes Handy wurde sichergestellt bei einem Mann, der laut Polizei der Begleiter von Jurca in der Tatnacht war. Wieso es dafür einen richterlichen Beschluss brauchte, ist unklar. Er wurde dreimal vernommen, und er wird nur als Zeuge geführt. In der Nacht soll sein Shirt zerrissen worden sein und er Schrammen erlitten haben.

Die Auswertung der sichergestellten Handys könne Wochen dauern, heißt es. Und es könne sein, dass sich der Verdacht gegen die zwei jungen Männer nicht bestätigt. Geäußert haben sich bei der Polizei beide noch nicht. Nur einer von ihnen hat bisher einen Anwalt. Der hat aber auf eine Bitte von t-online um Kontakt nicht reagiert.

Bis es völlige Klarheit gibt im Fall Andreas Jurca, wird es also noch dauern.

*Die Information zur zusätzlichen türkischen Staatsangehörigkeit wurde nachträglich ergänzt.

Verwendete Quellen
  • Anfragen an Andreas Jurca, Staatsanwaltschaft Augsburg, Polizei Augsburg
  • Telefonat mit Gilbert Kallenborn
  • augsburg.tv: Plärrerumzug 2023 live
  • spiegel.de: Angriff auf AfD-Politiker – Polizei ermittelt zwei Tatverdächtige
  • spiegel.de: Magnitz wollte mit Foto "mediale Betroffenheit" auslösen
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