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Al-Kaida in Syrien und Irak: Radikale bauen an neuem Gottesstaat im Nahen Osten


Al-Kaida in Syrien und Irak
Radikale bauen an neuem Gottesstaat im Nahen Osten

von Raniah Salloum, Spiegel Online

04.01.2014Lesedauer: 4 Min.
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Kämpfer der ISIS-Miliz marschieren durch die syrische Stadt Tel AbyadVergrößern des Bildes
Kämpfer der ISIS-Miliz marschieren durch die syrische Stadt Tel Abyad (Quelle: Reuters-bilder)

Islamisten nutzen das Chaos in Syrien und im Irak - und errichten einen neuen Gottesstaat. Eine Al-Kaida-Miliz hat sich im Grenzgebiet beider Länder festgesetzt, sie kontrolliert schon mehrere Städte. Ihr Markenzeichen: äußerste Brutalität.

Um die irakische Stadt Falludscha tobt ein erbitterter Kampf. Die Kämpfer der Miliz "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS) haben dort einen Gottesstaat ausgerufen. Ihre schwarze Al-Kaida-Flagge weht über Teilen der Stadt. Die ISIS-Kämpfer patrouillieren in den Straßen in schwarzen Uniformen und Masken, die ihre Gesichter verhüllen.

Grenzüberschreitende Miliz

Nicht nur im Irak, auch in vielen Dörfern und Städten in Syrien hat ISIS inzwischen "Emirate", Gottesstaaten, ausgerufen, in denen der jeweilige "Emir", ein ISIS-Kommandant, den Ton angibt. Die Miliz ist grenzüberschreitend. Sie lässt sich nicht in einen irakischen und einen syrischen Teil aufspalten. In ihren Reihen kämpfen viele erfahrene Dschihadisten, auch nicht-arabische, beispielsweise aus Tschetschenien.

ISIS konzentriert sich besonders auf die dünn besiedelten, peripheren Wüstenregionen Syriens und des Irak. Es sind Gebiete, in denen traditionell der Einfluss der Stämme groß ist, oftmals grenzüberschreitend. Wer und was da die Grenzen im Nichts überquert, ist schwer kontrollierbar. Schmuggler haben hier leichtes Spiel. Ein Überblick:

Norden und Nordosten Syriens
In diesem Teil des Landes hat das Regime von Baschar al-Assad seit über eineinhalb Jahren die Kontrolle verloren. Seitdem versuchen verschiedene Rebellengruppen und zivile Gruppen, das Machtvakuum zu füllen. Seit 2013 haben sie neue, brutale Konkurrenz bekommen: die ISIS-Kämpfer. Dutzende syrische Aktivisten wurden von den ISIS-Extremisten im letzten Jahr verhaftet,einige ermordet. Den Radikalen gelang es, strategisch wichtige Orte wie die Grenzübergänge mit der Türkei von anderen Rebellen zu erobern. In den ersten Tagen 2014 lieferten sich die ISIS-Kämpfer erneut Schlachten mit anderen Rebellenmilizen in der Provinz Aleppo. Eine Koalition syrischer Rebellengruppen sowie syrische Aktivisten haben am Freitag zum Widerstand gegen die Extremisten aufgerufen.

Nordwesten des Irak
In den Provinzen Ninive und Anbar hat die Zentralregierung in Bagdad wenig zu sagen. In diesem mehrheitlich sunnitischen Landesteil sind viele unzufrieden. Die Menschen fühlen sich von der schiitisch dominierten Regierung vernachlässigt und gegängelt. Seit 2012 kommt es dort immer wieder zu Protesten, die teils von den Sondereinheiten Bagdads brutal aufgelöst wurden. Zuletzt musste Bagdad seine Sicherheitskräfte abziehen, um eine Eskalation zu verhindern. Diese Gelegenheit nutzten die ISIS-Kämpfer für einen Angriff auf die wichtigsten Städte der Region.

Viele ISIS-Kämpfer kennen sich in der Grenzregion bestens aus: Sie sind Veteranen aus dem Kampf gegen die US-Soldaten, die 2003 im Irak einmarschierten. Die Dschihadisten reisten oft über Syrien in den Irak rein. Das syrische Regime von Baschar al-Assad half den ISIS-Kriegern gern, schließlich hatte man mit Washington einen gemeinsamen Feind.

Die Logistik von ISIS erstreckt sich über die Grenzregion und funktioniert in beide Richtungen. Gelingt es ISIS, Al-Kaida-Kämpfer aus irakischen Gefängnissen zu befreien, tauchen die wenig später in Syrien auf. Erobert ISIS Waffen in Syrien, schaffen es diese auch in den Irak.

Ursprünglich wurde ISIS im Irak mit der Unterstützung der Zentralführung Al-Kaidas gegründet. Allerdings hat sich der ISIS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi inzwischen mit Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri zerstritten.

Inzwischen wird in Syrien die Miliz oft nicht mehr, nach ihrem arabischen Kürzel, "Daasch" genannt, sondern immer häufiger "Daula", übersetzt: Staat, weil sie eben diese Rolle zu erfüllen beginnt. Dabei setzen die Extremisten auf Zuckerbrot und Peitsche.

Versorgung: ISIS versucht in den von ihren Kämpfern kontrollierten Gebieten, die Strom-, Wasser-, Benzin-, Bus- und Lebensmittelversorgung wiederherzustellen, eine klassische "winning hearts and minds"-Strategie, um den Rückhalt der örtlichen Bevölkerung zu gewinnen.

Terrorherrschaft: In den ISIS-Gottesstaaten gilt eine wortwörtliche Auslegung der Scharia, der islamischen Gesetzgebung. Um Exempel zu statuieren, ließ ISIS bereits Teenager wegen eines Witzes hinrichten. Kritiker und Andersgläubige werden brutal verfolgt. Es gibt geheime ISIS-Kerker, in denen gefoltert wird. Wenn alawitische oder schiitische Syrer den ISIS-Kämpfern in die Hände fallen, müssen sie damit rechnen, grausam ermordet zu werden wegen ihres Glaubens. Auch Kirchen haben die ISIS-Extremisten geschändet.

Indoktrination: In Syrien organisieren sie Islamquiz-Wettbewerbe für Kinder und bieten Schulunterricht nach ihren Vorstellungen an. Auf Plakaten werben sie für eine Vollverschleierung von Frauen und bedrohen Syrerinnen, die sich nicht anpassen wollen. Die ISIS-Extremisten wollen die Sitten und Kultur in ihren Gebieten auf Jahrzehnte prägen.

Obama ist ratlos

Der Traum von ISIS ist die Errichtung eines Gottesstaats im Irak und der gesamten Levante-Region, also neben Syrien auch im Libanon, in Jordanien, Palästina und Israel, wobei besonders Jerusalem als heilige Stadt eine besondere Anziehung ausübt. Damit dürfte es auf absehbare Zeit nichts werden.

Doch aus dem syrisch-irakischen Grenzgebiet werden die Extremisten wohl so schnell nicht verschwinden. Gelingt es den irakischen Sicherheitskräften, die ISIS-Kämpfer wieder zurückzudrängen, werden sie sich wohl auf der anderen Seite der Grenze wieder konsolidieren, bis zum nächsten Angriff.

Die USA führen ISIS auf ihrer Terrorliste. Washington unterstützt die irakische Regierung mit Waffenlieferungen gegen die Extremisten. Ironischerweise ist die Regierung des Irak mit Syriens Baschar al-Assad verbündet, dessen Rücktritt Washington regelmäßig fordert.

In Syrien weiß die US-Regierung nicht so recht, wen sie unterstützen soll. Den syrischen Rebellengruppen, die inzwischen nicht nur gegen Baschar al-Assad sondern auch gegen die Extremisten kämpfen, liefert Washington lieber nichts, auch keine zivilen Güter mehr wie Medikamente oder Handys. In den USA werden erste Stimmen laut, die fordern, man solle lieber wieder mit Assad zusammenarbeiten gegen die Extremisten, obwohl dieser erst ISIS gezielt gefördert hatte.

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