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Korruptions-Tsunami in der EU: Desaster im Milliardenpoker


Tagesanbruch
Desaster im Milliardenpoker

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 12.12.2022Lesedauer: 6 Min.
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Angespanntes Verhältnis: Viktor Orbán und Olaf Scholz tagen in Berlin.Vergrößern des Bildes
Der ungarische Präsident Viktor Orbán und Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Treffen in Berlin. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Europäische Union ist in Aufruhr. Die griechische Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili soll von Katar bestochen worden sein, um Entscheidungen im Sinne des Golfstaates herbeizuführen. Berichten zufolge fanden Ermittler Säcke voller Bargeld in Kailis Wohnung, ihren Vater ertappten sie mit Taschen voller Scheine, offenbar bereit zur Flucht. 600.000 Euro sollen bei Kaili und weiteren Verdächtigen bereits sichergestellt worden sein – und das Zählen war bei Bekanntgabe dieser Summe noch nicht beendet.

Erhärten sich die Vorwürfe, erlebt die EU einen der größten Korruptionsskandale in ihrer Geschichte. Und schon jetzt kündigt sich ein Tsunami an, der weite Teile der europäischen Politik erschüttern dürfte.

Denn nicht nur Kailis Lobeshymnen auf Katar im Zusammenhang mit der Fußball-WM müssen nun in Zweifel gezogen werden. An diesem Montag sollte offiziell der Start der Verhandlungen über Visa-Erleichterungen zwischen der EU und Katar bekannt gegeben werden. Nun aber ist das Misstrauen groß: Was, wenn auch in diesem Kontext Gelder geflossen sind? Mit allem Recht fordern Fraktionen im EU-Parlament, die Visa-Debatte zuerst aufzuklären und damit zu verschieben.

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Für einen Machtpoker um Milliarden Euro, der in dieser Woche in Brüssel ansteht, wird jede Aufklärung allerdings zu spät kommen. Auf der einen Seite des Pokertischs sitzen dabei die westeuropäischen Staaten, auf der anderen Seite Ungarns Autokrat Viktor Orbán. Trotz großer Euro-Skepsis nimmt dieser die Milliarden aus Brüssel sehr gerne entgegen. Weil er die Korruption in seinem Land jedoch nur widerwillig bekämpft, wollen viele EU-Mitglieder seiner Regierung die Zuwendungen kürzen. Orbán droht im Gegenzug damit, Hilfspakete für die Ukraine zu blockieren.

Es geht dabei nicht nur um Geld, sondern auch um die große Frage, wie die EU sich künftig ausrichtet: Wird sie undemokratische Mitgliedsländer vermehrt sanktionieren? Wird sie versuchen, auf die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler Ebene einzuwirken – oder lässt sie sich weiter von autokratischen Regimen in ihren Reihen auf der Nase herumtanzen?

Der Fall Kaili wird da zum großen Trumpf in Orbáns Hand. Mit Hohn und Lügen reagierte seine Regierung bereits: Jene Europaabgeordneten, die sich so gerne zur Bestechung in Ungarn äußerten, schwiegen jetzt, ätzte zum Beispiel Orbáns Regierungssprecher.

Das ist mitnichten wahr, halb Brüssel zeigte sich am Wochenende entsetzt und drang auf Aufklärung. Ohnehin ist klar: Die Korruption in der europäischen Hauptstadt hat, selbst wenn sich die Vorwürfe gegen Kaili und ihr Umfeld bestätigen, lange nicht die Ausmaße wie in Ungarn. Das Land gilt als derart korrupt wie kaum ein anderes in der EU. Dass Fördermittel in großem Stil in den Taschen von Politikern und Industriellen landen, werfen Orbán nicht nur die EU und Nichtregierungsorganisationen vor, sondern schon seit Wochen auch Tausende wütende Demonstranten auf den Straßen von Budapest.

Doch Fakten sind nicht entscheidend für die rechtspopulistische Regierung in Budapest. Die EU darf sich deswegen darauf gefasst machen, dass Orbán den Brüsseler Skandal in den kommenden Wochen ausweiden wird – und rechte Kräfte und andere EU-Kritiker weltweit sich mit Freude daran beteiligen werden.

Maximale Transparenz und Härte gegenüber jenen, die ihr Mandat verraten haben, sind notwendig im Kampf gegen die Desinformationswelle, die sich ankündigt. Und das Bewusstsein in EU-Kommission und -Parlament: Will die Staatengemeinschaft mehr sein als ein Geldautomat für viele ihrer Mitglieder und will sie den Machtpoker gegen Autokraten gewinnen, muss ihre eigene Weste besonders weiß bleiben.


Das Anti-Wagenknecht-Manifest

Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Irgendwo bei fünf Prozent Zustimmung dümpelt sie in Umfragen dahin, die Diskussion um eine mögliche Parteineugründung durch ihr prominentestes Mitglied Sahra Wagenknecht droht sie zu zerreißen. Bisher wirkte die Linke dagegen stets machtlos – am Wochenende aber bäumte sie sich auf.

In Leipzig kamen fast alle Bundes-, Landes- und Fraktionsvorsitzenden zusammen. Offiziell trug das Treffen den Stempel einer internen Klausur, inoffiziell raffte sich die auch sonst stets zerstrittene Linke aber zu einem großen Anti-Wagenknecht-Gipfel zusammen und demonstrierte Einigkeit mit einem Manifest.

Der deutlichste Absatz: In der Öffentlichkeit werde über die "Bildung eines alternativen Parteiprojekts spekuliert", heißt es in dem dreiseitigen Papier. "Wir sind dagegen bereit, für unsere gemeinsame Partei zu kämpfen, das historische Projekt einer geeinten, pluralen sozialistischen Partei zu verteidigen und weiterzuentwickeln."

Ebenso wichtig wie die Erklärung selbst sind die Personen, die sie unterzeichnet haben: Neben den Chefs und Chefinnen aus allen Bundesländern haben auch die Spitzen der Fraktion im Bundestag unterschrieben, die als besonderer Herd der Unruhe in der Wagenknecht-Frage gilt.

Es ist ein erster, wichtiger Schritt im parteiinternen Kampf gegen Wagenknecht. Die Parteispitze befreit sich so endlich vom Vorwurf, sich vor Wagenknecht zu ducken. Dass er die bekannteste Politikerin der Partei beeindruckt, ist allerdings zu bezweifeln. Am Sonntag zumindest war Wagenknecht als Gast bei Thomas Gottschalk und Karl-Theodor zu Guttenberg in der RTL-Show "2022! Menschen, Bilder, Emotionen" geladen – und erreichte dort im Gegensatz zur Leipziger Erklärung der Linken ein Millionenpublikum. Spekuliert wird, dass sie mit der Europawahl 2024 nur auf die richtige Gelegenheit wartet, um mit einer eigenen Liste anzutreten.


Was steht an?

Die Razzia gegen "Reichsbürger" erschütterte in der vergangenen Woche Deutschland. Unter Terrorverdacht stehen unter anderem eine ehemalige AfD-Abgeordnete und Richterin, Polizisten und Soldaten. An diesem Montag folgt im Bundestag deshalb Sondersitzung auf Sondersitzung: Das Parlamentarische Kontrollgremium, der Innen- sowie der Rechtsausschuss tagen außerordentlich. Die Politiker werden sich auch damit beschäftigen, warum viele Medien lange im Voraus von dem bundesweiten Einsatz wussten. (Mehr dazu erfahren Sie in diesem Text von meinem Kollegen Jonas Mueller-Töwe.) Vor allem aber dürfte es darum gehen, wie man mit Demokratiefeinden und Verschwörungsideologen in Parlamenten und Behörden umgehen soll.

Am 14. Juli 2016 raste ein Terrorist mit einem Lastwagen auf einer Strandpromenade in Nizza in eine Menschenmenge, tötete 86 Menschen und verletzte mehr als 400 teilweise schwer. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) reklamierte die Tat für sich, in Paris stehen nun acht mutmaßliche Unterstützer vor Gericht. Ihnen drohen Haftstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich. Heute dürfen sie sich abschließend äußern.

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Elon Musk hat Twitter übernommen, große Teile der Belegschaft gefeuert und fällt zunehmend durch verschwörungsideologische Tweets auf. An diesem Montag soll eine überarbeitete Version des gebührenpflichtigen Premiumkontos Twitter Blue starten – nur eine von vielen Neuerungen, die Musk vorschweben. Kritiker warnen: Was Musk da treibt, öffnet Desinformationskampagnen in einem der wichtigsten sozialen Netzwerke Tür und Tor. Elton John hat sich deswegen gerade von der Plattform verabschiedet, auch Kanzler Olaf Scholz sucht bereits nach Alternativen.


Was lesen?

Aufgrund der Dürre in Ostafrika leiden Millionen Menschen Hunger. Deutschland will helfen: mit einer Klimapartnerschaft und Unterstützungspaketen im Wert von insgesamt 360 Millionen Euro. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze erklärt im Interview mit meinen Kolleginnen Miriam Hollstein und Sonja Eichert, warum sie Deutschland besonders in der Pflicht sieht.

Schlagstöcke, Schusswaffen und Folter: Das Mullah-Regime im Iran schlägt Proteste brutal nieder. Meine Kollegin Marianne Max hat mit der Iran-Expertin Gilda Sahebi über die Gewalt der Regimekräfte und mutige Helfer im Untergrund gesprochen.

Manuel Neuer ist der wohl beste deutsche Torwart der Geschichte, hat fast jeden möglichen Titel gewonnen. Nach einem Unterschenkelbruch hängt seine Karriere am seidenen Faden. Welche Folgen ein Ausfall von Neuer hätte, diskutieren meine Kollegen Robert Hiersemann und Florian Wichert im "Zweikampf der Woche".


Das historische Bild

1865 endete der Amerikanische Bürgerkrieg, fünf Jahre später saß ein Afroamerikaner im Repräsentantenhaus. Wer er war, lesen Sie hier.


Was amüsiert mich?

Die Gemeinsamkeiten für europäische Fans zwischen der WM in Katar und dem Fahrplan der Deutschen Bahn.

Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Start in die Woche. Morgen kommentiert mein Kollege Tim Kummert die wichtigsten Entwicklungen für Sie.

Herzlichst,

Ihre Annika Leister
Redakteurin Politik
Twitter: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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