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Oscar-Nominierungen: Ein deutscher Film als trügerische Antikriegsbotschaft


Tagesanbruch
Eine trügerische Sensation

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

Aktualisiert am 25.01.2023Lesedauer: 5 Min.
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Deutsche Soldaten jubeln nach Bekanntgabe der Kapitulation im November 1918.Vergrößern des Bildes
Szenen aus dem oscarnominierten "Im Westen nichts Neues": Deutsche Soldaten jubeln nach Bekanntgabe der Kapitulation im November 1918. (Quelle: Reiner Bajo/Netflix)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es ist ein grausames Spektakel, erzählt in 148 Minuten. Wuchtig, beklemmend, schonungslos – und auf eine eindrückliche Art und Weise unerträglich. Die Rede ist von "Im Westen nichts Neues". Der Antikriegsklassiker von Erich Maria Remarque erlebt 95 Jahre nach seiner Veröffentlichung einen Popularitätsschub. Der deutsche Regisseur und Drehbuchautor Edward Berger hat den Stoff gleichnamig verfilmt – und damit eine Sensation geschafft.

Noch nie zuvor wurde eine deutsche Produktion bei den Oscars für den "Besten Film" nominiert. Jetzt ist es so weit. "Im Westen nichts Neues" hat erreicht, was Filmen wie "Das Boot" oder "Das Leben der Anderen" verwehrt blieb: Die Königsdisziplin ist für Deutschland zum Greifen nah – und neben der wichtigsten Kategorie hat der Antikriegsfilm noch acht weitere Chancen auf einen Goldjungen. Ebenfalls deutscher Rekord.

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Das unbarmherzige Gemetzel des Ersten Weltkrieges, die Gräuel des Mordens und schier endlosen Abschlachtens, die Sinnlosigkeit des Stellungskriegs, der nicht von der Stelle kommt. All das inszeniert Berger in seinem Film derart kraftvoll, dass Zuschauende gar nicht anders können, als sich angewidert abzuwenden. Die körperlichen und seelischen Verwüstungen, veranschaulicht hauptsächlich an jungen deutschen Soldaten, brennen sich ein. Die pazifistische Botschaft dieser bildgewaltigen Barbarei: In einem Krieg kann es nur Verlierer geben.

Man muss sich das kurz vergegenwärtigen: Ein deutscher Antikriegsfilm schreibt Oscar-Geschichte. Eine filmgewordene Friedensbotschaft geht um die Welt. Rund 7.000 international vernetzte Filmschaffende hieven einen neu verfilmten Klassiker aus Deutschland im Jahr 2023 in den Kreis der Besten.

Das Signal ist angesichts des in der Ukraine seit nunmehr fast einem Jahr tobenden Krieges unüberhörbar: Die Filmkunst geht mit der Zeit – sie ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Denn könnte eine Entscheidung wie diese aktueller, zeitgemäßer sein? "Im Westen nichts Neues" politisiert die Oscarverleihung, rückt sie heran an das europäische Publikum, gibt die russische Aggression in der Ukraine als vermeintliches Abziehbild im Kinoformat wieder.

Erst auf den zweiten Blick wird klar, wie trügerisch diese Sensation ist. Ein erstes Argument für diese (Ent-)Täuschung liegt in der Natur der Oscars selbst, in ihrer Selbstreferenzialität und Hollywood-Besessenheit. Allzu gerne schmückt sich der wichtigste Filmpreis der Welt mit politischen Stoffen, lässt sie aber am Ende nicht triumphieren. Ob auch "Im Westen nichts Neues" zur Nominierungsdeko verkommt, wird der 12. März zeigen, dann fallen die Entscheidungen in Los Angeles.

Eine andere Entscheidung ist gestern Abend gegen 19 Uhr deutscher Zeit verkündet worden. Und sie hat nur auf den ersten Blick nichts mit dem Antikriegssignal der Oscars und "Im Westen nichts Neues" zu tun. Schließlich müsste sie "Im Osten endlich Neues" lauten. Nach monatelangen Debatten hat sich Deutschland entschlossen, Kampfpanzer des Typs Leopard 2 an die Ukraine zu liefern. Auch andere Partner sollen die Erlaubnis erhalten, Panzer aus deutscher Produktion in Richtung ukrainische Front rollen zu lassen. Hier lesen Sie alle Details.

Womit wir in der Realität angekommen wären, weit weg von der 15-Millionen-Euro-Verfilmung und deren unverhofftem Oscar-Erfolg. Die Lage in der Ukraine führt uns tagtäglich vor Augen, dass Antikriegsbotschaften nur bedingt Aussagekraft haben. Säßen 84 Millionen Bundesbürger gemeinsam auf der Couch und diskutierten nach "Im Westen nichts Neues"-Sichtung über die Aussage des Films, so würde die einhellige Meinung lauten: Krieg ist schlecht.

Das stimmt auch. Aber es ist eine Binsenweisheit, unterkomplex. Und sie wird der Realität nicht gerecht. Es kann keine zwei Meinungen darüber geben, dass das Töten von Menschen zum Zwecke territorialer Gebietserweiterungen grundfalsch ist. Doch Krieg hört nicht auf, wenn man sich nur laut genug Frieden wünscht. Er kann nicht ausgeblendet werden. Keine Fernbedienung auf diesem Planeten vermag es, aus einer zerstörerischen Gegenwart plötzlich heile Welt zu machen. Die Ukraine ist nicht Netflix.

Daher muss es immer das Ziel sein, einen Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Mit allen Mitteln. Pazifistische Botschaften mögen ein Weg sein, ausgeglichene Kräfteverhältnisse ein anderer. Aggressoren wie das Putin-geführte Russland interessieren sich nicht für den Glitzer und Glamour Hollywoods und das politische Kalkül hinter Nominierungsentscheidungen. Sie kennen nur eine Sprache: die des Stärkeren.

Deshalb ist es richtig, dass Olaf Scholz nun gemeinsam mit seinem Amtskollegen Joe Biden "Im Osten endlich Neues" zur Aufführung bringt. Gut orchestriert wohlgemerkt, mit vereinter Kraft und dem Signal der Geschlossenheit. Die Kampfpanzer sind zwar keine rollenden Friedensbotschaften, aber sie können den Krieg beenden. Und das ist am Ende, was zählt.


Die große Panzerwende

Deutschland schickt nun also doch Kampfpanzer in die Ukraine. Das Zögern hat ein Ende, der Weg für feuerstarke militärische Unterstützung ist damit frei. Die großen Pressekonferenzen dazu werden sowohl in Berlin als auch in Washington vermutlich am heutigen Mittwoch stattfinden. Die Geschichte dahinter ist jedoch schon jetzt spannender, als es die Worte der Regierungschefs sein dürften. Hier lesen Sie, wie die politische Vorsicht hinter den Kulissen der Weltbühne ein beispielloses Schauspiel in Gang setzte.


Streik am Hauptstadtflughafen

Rund 35.000 Passagiere hängen heute in der Luft. Allerdings nicht so, wie sie es sich gewünscht hätten. Am Berliner Flughafen BER wird ganztägig gestreikt, der Passagierverkehr fällt komplett aus. Nun müssen sich die Menschen nach Alternativen umschauen: In Dresden und Leipzig/Halle werden Ausweichflüge organisiert, außerdem steht die Deutsche Bahn bereit. Wie zuverlässig das am Ende funktioniert, wird sich im Laufe des Tages zeigen.


Was lesen?

"Schleudersitz" und "Schlangengrube", die Liste der wenig schmeichelhaften Bezeichnungen für das Bundesverteidigungsministerium ist lang. Warum aber gaben sich so viele Politikerinnen und Politiker auf der Hardthöhe geradezu die Klinke in die Hand? Mein Kollege Marc von Lüpke über die Geschichte eines der anspruchsvollsten Jobs, den die Republik zu bieten hat.

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Wer ist eigentlich Edward Berger? Der Mann hinter der deutschen Oscar-Überraschung "Im Westen nichts Neues" ist bisher nur Filmkennern ein Begriff. Meine Kollegin Ricarda Heil beschreibt den ungewöhnlichen Aufstieg eines Regisseurs, der sich Stück für Stück in ruhmreiche Sphären hochgearbeitet hat.


Der FC Bayern München hat am Dienstagabend nur 1:1 gegen den 1. FC Köln gespielt. Lange sah es sogar nach einem sensationellen Auswärtssieg der Kölner aus. Ob die aktuelle Sieglosigkeit der Münchner mit dem Rauswurf des Torwarttrainers Toni Tapalović zusammenhängt? Bayern-Reporter Julian Buhl kennt die Details.


Was amüsiert mich?

Mit Blick auf die Situation am Berliner Flughafen könnten sich heute auf den umliegenden Autobahnen Szenen wie diese abspielen.

Ich wünsche Ihnen einen unbeschwerten Tag. Morgen schreibt t-online-Chefredakteur Florian Harms den Tagesanbruch.

Herzliche Grüße

Ihr Steven Sowa
Redakteur Unterhaltung
Twitter @StevenSovani

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Mit Material von dpa.

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