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Ampelkoalition im Zoff: "Das ist kein Regieren – sondern eine Frechheit!"


Tagesanbruch
Eine Frechheit

MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 06.03.2023Lesedauer: 6 Min.
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Zoff und Zank werden auf dem Schloss ausgeklammert: Die Ampelkoalition wirkt festgefahren.Vergrößern des Bildes
Zoff und Zank werden auf dem Schloss ausgeklammert: Die Ampelkoalition wirkt festgefahren. (Quelle: Michael Sohn/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

kennen Sie Alltagsdiplomaten? Menschen, die mit einem Satz jede noch so brenzlige Situation entschärfen können? Meine Oma hatte so eine Formulierung parat. Immer wenn die familiären Wellen mal wieder hochschlugen und ein handfester Streit drohte, sagte sie mit entwaffnender Schlichtheit: "Wichtig ist ja nur, dass wir darüber gesprochen haben." Rumms, waren alle ruhig.

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Denn dagegen konnte niemand etwas einwenden. Klar, miteinander zu sprechen war immer super, alles Weitere wurde vertagt, der Streit war abgewendet. Nur: Tatsächlich geklärt war auch nichts. In Familien kann das manchmal funktionieren. Doch irgendwann gerät dieses Prinzip an seine Grenzen.

Trotzdem scheint es derzeit die Leitlinie der Ampelkoalition zu sein. Der Kanzler und die Minister treffen sich seit gestern auf Schloss Meseberg zur Klausur, um über die großen Fragen ihrer Politik zu beraten, etwa die Energiewende und die Digitalisierung. Olaf Scholz stellte sich am Sonntag vor die Kameras und kündigte an: "Wir werden zunächst einmal darüber reden, wie eine Gesellschaft, die so viel vor sich hat, zuversichtlich sein kann und bleiben kann." Er hätte auch sagen können: Wichtig ist ja nur, dass wir darüber gesprochen haben werden.

Die grüne Umweltministerin Steffi Lemke schickte im t-online-Interview schon mal eine Botschaft voraus: Über den schnellen Neubau von Autobahnen, eine der derzeit größten koalitionären Zwistigkeiten, werde man sich im Schloss nicht verständigen.

Da sitzen also die Minister in munterer Runde zusammen – haben aber vorher bereits verkündet, dass sie die größten internen Konflikte gar nicht schlichten wollen. Angesichts der Schärfe der koalitionsinternen Streitigkeiten muss man beinahe sagen: Das ist kein Regieren. Das wirkt auf einige Menschen eher wie eine Simulation davon. Und das ist nicht nur für SPD, Grüne und FDP problematisch, sondern fürs ganze Land.

Zwischen den sogenannten Regierungspartnern ist schon länger etwas ins Rutschen geraten. Erstmals zeigte es sich bei der Debatte um Panzerlieferungen für die Ukraine. Die FDP (besonders in Person der krawallfreudigen Marie-Agnes Strack-Zimmermann) preschte vor, die grüne Außenministern Annalena Baerbock setzte den Kanzler zusätzlich unter Druck. Aus der SPD keilte der Fraktionschef in Richtung der Liberalen zurück, das sei "Schnappatmung". Dann wurden die Panzer doch genehmigt. Und mancher glaubte, jetzt werde es ruhiger. Nichts da.

Weiter ging der Zoff. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) schrieben sich gegenseitig Briefe, die natürlich an die Öffentlichkeit gerieten. Sie streiten über den Haushalt. Lindner garnierte sein Schreiben mit der Gemeinheit, man sei schon froh, dass die Grünen "das Grundgesetz nicht infrage stellen" wollten. Viel Radau, wenig Lösung.

Aus dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck verbreitete sich vergangene Woche, man wolle den Einbau von Öl- und Gasheizungen ab 2024 weitgehend verbieten. Große Aufregung im Land: Wer soll das eigentlich bezahlen? Habeck musste erklären, dass die Pläne für viele Menschen erst mal nichts Wesentliches ändern würden.

Und dann ist da noch der Bundeslandwirtschaftsminister. Letzte Woche hatte Cem Özdemir eine besondere Idee. Er will Werbung für besonders süße Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, aus dem Fernsehen verbannen. Bestimmte Spots sollen zu gewissen Zeiten nicht mehr gezeigt werden. Auch bei dieser Idee gibt es keinen Konsens in der Regierung.

Prompt bekam Özdemir den Donner der Liberalen zu hören. Der FDP-Politiker Frank Schäffler sagte der "Bild"-Zeitung: "Die grüne Verbotspartei ist zurück! Das ist falsch und gefährlich für Deutschland." Sätze von einem Koalitionär an einen anderen, die eher die Geräuschkulisse eines Vorschlaghammers haben.

Dabei machen es die Liberalen nicht anders. Sie sind wegen fünf enttäuschender Landtagswahlen in Folge besonders unter Druck. Also wird fröhlich herausposaunt, was man als eigene Position ausgemacht hat. Ihnen ist es genauso egal, was die Koalitionspartner dazu sagen.

Die Liberalen entdecken gerade ihre Liebe zum Auto neu. Egal ob es um den Neubau von Autobahnen geht (gern zügig, fordern die Liberalen, beste Grüße an Umweltministerin Lemke). Oder um das Aus für den Verbrennungsmotor ab 2035 (mindestens mit E-Fuels sollen die Autos weiterlaufen dürfen, die EU-Entscheidung wurde deshalb aufgeschoben): Freie Fahrt für freie Bürger – oder zumindest solche, die ihr Kreuz bei der FDP gemacht haben.

Mancher prescht vor, andere schreiben Briefe. Nur gemeinsam regiert wird offenbar immer weniger. Was sagt eigentlich der Chef dazu?

Olaf Scholz ist ein Mann, der die Dinge gern laufen lässt. Sollen sich die Koalitionspartner doch beharken, wie ein Bundeskanzlerpräsident sitzt er in der Regierungszentrale und schaut zu. Das kann man so handhaben. Doch was für ein Bild gibt der Kanzler ab, wenn er nicht einmal Ruhe in die eigene Ministerriege bringen kann?

Dabei hat Olaf Scholz vor wenigen Tagen gezeigt, wie es geht. Bei seiner Regierungserklärung im Bundestag wirkte der Kanzler wie ausgewechselt. In einer vorher nicht da gewesenen Klarheit verteidigte er seinen Kurs – und verurteilte scharf die "Die Ukraine möge doch einlenken"-Rhetoriker. Scholz wörtlich: "Ein Diktatfrieden gegen den Willen der Opfer verbietet sich aber nicht nur aus moralischen Gründen. Sondern auch, wenn wir das Wohl unseres eigenen Landes und die Sicherheit Europas und der Welt im Auge haben."

tze, die so klar wie das Wasser eines Gebirgsbachs sind. Ähnlich deutlich könnte Scholz mit seinen Ministern mal reden. Die Zeit drängt: Am 15. März will Finanzminister Lindner die Eckwerte für den künftigen Haushalt vorlegen. Daraus sollte zumindest grob hervorgehen, wofür die Regierung ihr Geld ausgeben möchte – und vor allem wie viel davon.

Wichtig ist dann nicht nur, dass sie vorher drüber gesprochen haben. Sondern dass es auch tatsächlich eine Einigung gibt.


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Tim Kummert

Ihr Tim Kummert
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
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Mit Material von dpa.

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