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Bahnstreik frustriert: "Muss das sein? Warum schon wieder? So lange?"


Tagesanbruch
Eine irrwitzige Idee

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 12.05.2023Lesedauer: 6 Min.
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Wartende am Kölner Hauptbahnhof während eines Bahnstreiks (Archivbild): Viele Menschen müssen auf beim Reisen auf Alternativen zum Zug umsteigen. (Quelle: NurPhoto/getty-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

unfassbare 50 Stunden lang wollen die Eisenbahner die Bahn lahmlegen. 50 Stunden. Von Sonntagabend bis Dienstagabend geht nichts mehr auf deutschen Schienen. Was für eine irrwitzige Idee.

Mein erster Reflex gestern: Muss das sein? Warum schon wieder? So lange? Unser Politikchef Florian Schmidt kommentierte entsprechend, und sprach damit wohl vielen Bahnkunden aus der Seele.

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Oder muss das so? Weil Streik zum Arbeitskampf eben dazugehört?

Ich muss dazu sagen: Ich fahre viel und gerne Bahn. Trotz Verspätungen und manchmal überfüllten Zügen, die manchmal auf der Strecke liegen bleiben. Selbst wenn mal wieder alles steht: Im Zug kann ich arbeiten, Zeitung lesen, Filme schauen, im Bordbistro einen Kaffee trinken, auf Familienreisen mit den Kindern Unsinn machen (die im Übrigen kostenfrei fahren). Und muss nicht ständig auf die Fahrbahn vor mir starren.

Die Bahn ist ein großartiges, umweltfreundliches Verkehrsmittel.

Und klar, die Angestellten der Bahn sollen ordentlich bezahlt werden. Wir Deutschen haben ja ganz generell Verständnis dafür, wenn Menschen von ihrem Streikrecht Gebrauch machen. Aber gestern musste ich schon ganz tief durchatmen. Denn Warnstreik heißt für mich: mal eben einen überteuerten Mietwagen für eine Fahrt nach Nürnberg buchen.

Ich bin kurz davor, ganz laut zu schreien: Jetzt reißt euch doch mal zusammen!

Die EVG erntete gestern völlig zu Recht wenig Wohlwollen der politischen Kommentatoren (und erst recht nicht das der Pendler). Was soll das sein, ein Arbeitsausstand, der zwei Tage dauert? Ein Warnstreik ist eine "befristete Arbeitsniederlegung", selbst die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schrieb vor einiger Zeit unter der Überschrift "Warnstreiks dürfen länger dauern", man habe erstmals einen 24-Stunden-Streik erprobt. Jetzt sind es also 50 Stunden.

Ist das noch ein Warnstreik? Die Bahn sagt: keinesfalls. Der Witz ist: Es gibt überhaupt keine Regelung, wie lange ein Warnstreik dauern darf. Es gilt lediglich, dass er verhältnismäßig sein muss.

Im Kern liegt das Problem woanders. Hier müssen zwei Tarifparteien zusammenfinden. Das war nie anders. Doch diesmal tun sie es nicht, auch nach drei Verhandlungsrunden wird noch umeinander herumgetänzelt. Die Bahn hätte schon längst auf die Idee kommen können, den 12-Euro-Mindestlohn wie von der EVG gefordert über den Tarif zu lösen. Und dass die Gewerkschaft für ihre Mitglieder keine Tariferhöhung ab März 2024 mit 27 Monaten Laufzeit (!) akzeptieren kann, ist irgendwie auch klar. Und am Ende wird auch die EVG bei einigen Punkten auf die Bahn zugehen müssen.

Doch warum wird nach so vielen Verhandlungsrunden immer noch um so Grundlegendes gestritten? Weil die beiden Seiten offenbar nicht wirklich erfolgreich miteinander reden wollen. Warum eigentlich nicht? Der Druck ist immens, bei der Bahn wegen extrem steigender Kosten. Und bei der EVG, weil sie Angst haben muss, dass ihre Mitglieder zur Konkurrenzgewerkschaft GdL abwandern, wenn der Tarifabschluss nicht ordentlich genug ist. Eine Einigung wäre vielleicht schneller möglich, aber kommt dann nicht so gut bei den eigenen Mitgliedern an.

Zugleich ist der Arbeitskampf bei der Bahn ein Zeichen unserer Zeit. Wegen der Inflation wird der Verteilungskampf schärfer. Die Gewerkschaften müssen deutlich höhere Löhne fordern, wenn sie ihre Mitglieder ernsthaft vertreten wollen.

Gleichzeitig gibt die Bahn kein gutes Bild ab: Die Konzernspitze zahlt trotz einer negativen Bilanz Prämien an Führungskräfte in dreistelliger Millionenhöhe, Bahnchef Richard Lutz erhielt 2022 doppelt so viel Gehalt wie ein Jahr zuvor. Eine Lohnerhöhung von hundert Prozent, während die Bahn ihren Beschäftigten gerade mal zehn Prozent anbietet. Da verteidigen "die kleinen Leute" ihre Reallöhne wohl völlig zu Recht.

Und was lernen wir daraus? Irgendwann muss ja doch eine Einigung her.

Bislang gilt normalerweise: In Deutschland wird im Arbeitskampf erst verhandelt und dann gestreikt. Es wäre gut, wenn das auch so bliebe. Ganz anders ist es nämlich bei unseren französischen Nachbarn: Dort wird erst gestreikt und dann verhandelt. Frankreich kann da kein Vorbild für Deutschland sein. Ständige Streiks verstärken das Gegeneinander, den sozialen Unfrieden. Wir sollten miteinander im Gespräch bleiben können, nicht fortwährend das Ungleiche betonen. Damit es nicht zu französischen Verhältnissen kommt, müssen sich endlich beide Seiten bewegen.


Was steht an?

Was gestern in Ratingen genau passierte, wird sich hoffentlich in den nächsten Tagen aufklären. Derzeit scheint es so, als habe ein 57-Jähriger im 10. Stock in der Berliner Straße bewusst eine Explosion herbeigeführt, als Polizei und Feuerwehr vor der Tür standen. Seine Mutter soll bereits seit etwa zwei Wochen tot in der Wohnung gelegen haben. Erst nach Stunden gelang es dem SEK, die Wohnung zu stürmen und den Mann festzunehmen.

Was für ein Horror.

Innenminister Herbert Reul sagt am Nachmittag, der Mann habe sich "im Corona-Leugner-Umfeld gedanklich aufgehalten". Der "Kölner Stadtanzeiger" berichtet, gegen den Mann habe ein Haftbefehl vorgelegen, weil er eine Strafe wegen Körperverletzung nicht bezahlt habe.

Diese Erkenntnis hilft den zwei Polizisten, die in Lebensgefahr schweben, im Nachhinein wenig. Für die Gesellschaft heißt das: Wir sollten noch genauer hinsehen, wenn jemand geistig abdriftet. Auch wenn Ratingen ein Extremfall ist, aber der schwurbelnde Nachbar ist eben im Zweifelsfall nicht nur ein harmloser Spinner.


Drei Tage vor der Präsidentschaftswahl in der Türkei hat Erdoğan-Gegner Muharrem İnce überraschend seine Kandidatur zurückgezogen. Was die Chancen des verbliebenen Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu bei der Wahl am Sonntag noch einmal verbessern dürfte. In den Umfragen hatte İnce bei zwei bis vier Prozent der Stimmen gelegen.

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Weil Kılıçdaroğlu in Umfragen nur sehr knapp vor Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan liegt, könnten die wenigen Anhänger İnces den Ausschlag geben. Mehr zur Präsidentschaftswahl in der Türkei können Sie übrigens in unserem neuen Podcast "Diskussionsstoff" hören, den Sie hier auf Spotify abonnieren können.


Viele Bremer haben am Sonntag ein Problem. Nein, nicht wegen der Bürgerschaftswahl. Die wird aller Voraussicht nach der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) für sich entscheiden. Politisch gesehen ist das bevölkerungsmäßig kleinste der 16 Bundesländer traditionell kein Trendsetter.

Vielmehr müssen sich die Werder-Fans nach dem Auswärtsspiel gegen den RB Leipzig am Sonntagabend darauf einstellen, dass wegen des Bahnstreiks ein Rückreisechaos entsteht. Auf der Webseite des Fußballclubs heißt es bereits: "Die Abreise mit dem Zug aus Leipzig in Richtung Bremen wird aufgrund des Streiks nicht mehr möglich sein, denn es wird auch schon vor 22.00 Uhr Auswirkungen auf den Zugverkehr geben."


Lesetipps

Israel existiert seit 75 Jahren, doch bis heute wird der Staat bedroht. Auch das Regime im Iran betrachtet es als Todfeind, bald könnten die Mullahs über die Atombombe verfügen. Richard C. Schneider ist einer der besten Kenner der Region, im Gespräch mit t-online-Chefredakteur Florian Harms und meinem Kollegen Marc von Lüpke erklärt er, wie groß die Kriegsgefahr ist.

Donald Trumps erster Auftritt bei CNN seit 2016 war ein Tiefpunkt im amerikanischen TV. Trotzdem war die Entscheidung, Trump auftreten zu lassen, richtig. Denn sie offenbart die Schwächen der Demokratie, kommentiert unser USA-Korrespondent Bastian Brauns.

Und wie steht es um den Krieg in der Ukraine? Mein Kollege Patrick Diekmann hat aufgeschrieben, was es mit der neuen Raketenlieferung aus Großbritannien auf sich hat. Reichweite: 250 Kilometer.


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Der Nordpol war seit langer Zeit das Ziel zahlreicher Forscher, 1926 erreichte ihn ein Abenteurer per Luftschiff. Mehr erfahren Sie hier.


Ohrenschmaus

Ganz generell ist es ja so, dass man im Alter keine neue Musik mehr mag. Warum das so ist? Kurz gesagt: Unser Gehirn liebt Bekanntes. Psychologen sagen deshalb, es sei nicht verkehrt, auch neue musikalische Reisen anzutreten, um das Hirn zum Denken anzuregen.

Als ich das erste Mal auf Martin Kohlstedt stieß, war das so ein Moment. Ihn nur als Komponist und Pianist zu bezeichnen, würde zu kurz greifen. Überhaupt, ich höre normalerweise keine Klaviermusik. Hören Sie mal rein, der Mann aus Weimar ist einfach unglaublich. Ich springe für Sie mal bei Minute 13:21 in eines seiner Konzerte.


Zum Schluss

Google hat angekündigt, seine Künstliche Intelligenz namens "Bard" in nicht weniger als 25 Produkte von Google Maps und Google Docs zu integrieren. Wenn Sie fürchten, mit der technischen Entwicklung überfordert zu sein, sind Sie nicht allein. Unser Karikaturist Mario Lars hat da auch noch Startschwierigkeiten.

Ich wünsche Ihnen ein sonniges Wochenende. Am Montag schreibt mein Kollege Sven Böll an dieser Stelle.

Herzliche Grüße

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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