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Streit um Heizungsgesetz: Auf Robert Habeck einzudreschen, ist ziemlich dumm


Tagesanbruch
Das ist ziemlich dumm

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 24.05.2023Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Robert Habeck: Eine Krise nach der anderen.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck muss viel Kritik einstecken. (Quelle: Emmanuele Contini /imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es ist einfach, auf jemanden einzudreschen, der schon am Boden liegt. Tun wir es also: Robert Habeck hat sie wohl nicht mehr alle! Also seine Sensoren für Stimmungen im Volk. Der ist nicht ganz dicht! Also in seinem Ministerium, da purzeln die unausgegorenen Gesetze ja im Wochentakt raus. Der ist beschränkt! Also in seinen Möglichkeiten, die negative Stimmung zu drehen. Der ist unten durch! Also seine Umfragewerte, die sind im freien Fall. Angeblich verlangt jeder zweite Deutsche Habecks Rücktritt, meldet die bei Grünen notorisch rotsehende "Bild"-Zeitung unter Berufung auf eine Insa-Umfrage. Was man allerdings bei dieser Quelle und diesem Institut nicht allzu ernst nehmen sollte.

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Der Absturz des einstigen Grünen-Stars ist ein außergewöhnliches politisches Drama. Die verkorkste Kommunikation rund um seinen unausgereiften Entwurf für das Heizungsgesetz kostet den Minister bei vielen Bürgern Sympathien, Respekt und am schlimmsten: die Bereitschaft, für den Klimaschutz Einbußen hinzunehmen. Umso mehr frohlocken die dauerkriselnden FDP-Leute, dass endlich mal nicht sie, sondern ihre Koalitionsrivalen am Pranger stehen, und reiben genüsslich Salz in die Wunde der Grünen: Sie blockieren den Einstieg in die parlamentarische Beratung des Heizungsgesetzes – dabei hatte der Chefliberale Christian Lindner seine grundsätzliche Zustimmung im Kabinett längst zugesagt. Spricht der Kanzler nicht subito ein Machtwort (bisher hat er es bei einem Machtwörtchen belassen), wird es vor der Sommerpause nichts mehr mit dem Gebäudeenergiegesetz, wie das juristische Ungetüm offiziell heißt. Dann würde die weitere Debatte in die Landtagswahlkämpfe in Bayern und Hessen im Herbst fallen. Man kann sich ausmalen, welche Gemeinheiten Markus Söder dann ausheckt; für den Machterhalt ist dem frechen Franken bekanntlich kein Foul zu grob.

Nun könnte man denken: So ist das halt im politischen Betrieb. Man zofft sich, aber irgendwann rauft man sich zusammen, und dann kommt ein Kompromiss heraus – oder man verschiebt das Vorhaben halt auf "später", was in der Politikersprache ein Synonym für den Sankt-Nimmerleins-Tag ist. Dieses Schicksal haben in den vergangenen Jahren unzählige superwichtige Projekte geteilt: eine generationengerechte Rentenreform, die Abschaffung der Zweiklassenmedizin, die digitale Verwaltung, ein ausgeglichenes Schulniveau in allen Bundesländern und so weiter. Alles im Parteienmorast versackt. Alles doof, aber irgendwie auch Auswuchs der deutschen Konsensdemokratie: Um niemandem ernsthaft wehzutun, geht man eben nur Trippelschritte.

Das Problem ist: Beim Klimaschutz kommen wir mit diesem Modus und diesem Tempo in Teufels Küche. Genau das ist das größte Problem beim Zoff um Robert Habecks Heizungsgesetz, nicht der Ärger um misslungene Kommunikation, einen machtbesoffenen Staatssekretär oder den einseitigen Fokus auf allein selig machende Wärmepumpen. Das Heizungstheater liefert uns einen Vorgeschmack darauf, welche politischen und gesellschaftlichen Dramen uns noch bevorstehen. "Eine Verschiebung auf später macht am Ende alles nur noch viel teurer, auch für jeden Einzelnen", sagt der Energieexperte Michael Geißler in diesem lesenswerten Interview mit Gerhard Spörl.

Robert Habeck macht Fehler, klar. Aber er macht eben überhaupt mal was und packt den Klimaschutz entschlossen an – anders als seine laschen Vorgänger in den Merkel-Jahren, die zwar in Sonntagsreden über die Erderhitzung jammerten, aber so gut wie nix dagegen unternahmen. Der grüne Wirtschaftsminister traut sich was, er fasst heiße Eisen an und stellt Weichen, damit Deutschland womöglich doch noch seine Klimaziele erreicht, zu denen es sich gesetzlich verpflichtet hat.

Wie groß der Handlungsdruck ist, verdeutlicht eine Studie, die soeben in der Fachzeitschrift "Nature Sustainability" veröffentlicht wurde. Demnach wird ohne konsequenten Klimaschutz die Erderwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts mehr als ein Fünftel der Menschheit extremer und lebensbedrohlicher Hitze aussetzen. Der Temperaturanstieg um 2,7 Grad werde "die Bewohnbarkeit der Erde grundlegend verändern", schreiben die Autoren, und möglicherweise zu einer "groß angelegten Neuordnung der Orte führen, an denen Menschen leben". Besonders betroffen sind bevölkerungsreiche Länder wie Indien und Nigeria. Die Folgen kann sich jeder ausmalen, der bis drei zählen kann: Verteilungskämpfe um Wasser und Ackerflächen, Hungerkrisen, Bürgerkriege, Massenmigration in gemäßigtere Weltregionen wie Mitteleuropa.

Die Vorboten lassen sich bereits an der zunehmenden Zahl der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer beobachten. Die Bundesregierung zieht ein düsteres Fazit zur Lage in Westafrika und der Sahelzone, wo schon jetzt 2,7 Millionen Menschen auf der Flucht und fast 18 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind: "Selbst in den günstigsten Szenarien werden die Effekte der Klimakrise und das demografische Wachstum die vielfältigen, sich überlappenden und gegenseitig verstärkenden Krisen im Sahel mittel- bis langfristig weiter verschärfen." Schon in den kommenden 17 Jahren wird sich die Bevölkerung im Sahel auf 160 Millionen Menschen verdoppeln. Alle diese Menschen werden immer weniger Raum zum Überleben finden: zu heiß, zu trocken, zu riskant.

Das ist schlimm, aber es wird mit jedem Tag noch schlimmer, an dem die Staaten der Welt den Klimaschutz verbummeln. Wohlhabende Industrieländer wie Deutschland haben das Know-how, die Mittel und den Einfluss, um klimaschonende Technologien einzusetzen – und damit zu beweisen, dass der Umstieg funktioniert. Dieses Vorbild, sagen Energieexperten unisono, erzeuge den entscheidenden Druck, um auch Klimasünderländer wie Südafrika, China, Indien und Brasilien zum schnelleren Umdenken zu bewegen. Deutschland hat die Chance zu zeigen, wie sich der Umbau von Öl- und Gasheizungen auf Wärmepumpen, Fernwärme, Solarthermie und irgendwann vielleicht auch grünen Wasserstoff bewerkstelligen lässt. Und kann damit gleichzeitig die Technologien etablieren, deren Export morgen unseren Wohlstand sichert. Dabei wäre es schön, es würden weniger politische Fehler gemacht, na klar. Aber entscheidend ist, dass überhaupt mal einer was macht.

So gesehen ist es ziemlich dumm, auf den strauchelnden Herrn Habeck einzudreschen. Schönen Gruß auch an die Kollegen von der "Bild".


Auch das noch

Die Heizungsschlacht ist nicht die einzige Baustelle der Ampel. Auch die seit Langem angekündigte Nationale Sicherheitsstrategie, für die das Außenministerium von Annalena Baerbock die Federführung hat und die eigentlich heute im Kabinett beschlossen werden sollte, wird partout nicht fertig: Hier meldet FDP-Justizminister Marco Buschmann Bedenken gegen eine Formulierung zur Cyberabwehr an, die es Deutschland erlauben würde, bei einer Attacke ebenfalls per Hacking zurückzuschlagen. Nun wird der 14. Juni als neuer Beratungstermin genannt. Dass CDU und CSU angesichts der Zerstrittenheit der Ampel schon "das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Welt" beschädigt sehen, ist allerdings zu dick aufgetragen. Immerhin dürfen Friedrich Merz und seine Leute heute in einer Aktuellen Stunde im Bundestag über die Energiepolitik herfallen.

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Zum Schluss

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Umso mehr wünsche ich allen Energieministern und auch allen, die es nicht sind, einen fröhlichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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