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Wenn Geld im Fußball dominiert: Saudi-Arabiens großer Schlag kommt noch


Tagesanbruch
Es hat eine andere Dimension erreicht

  • David Digili
MeinungVon David Digili

Aktualisiert am 03.08.2023Lesedauer: 7 Min.
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Ein Traum in Flieder: Cristiano Ronaldo spielt seit Januar 2023 für al-Nassr in Saudi-Arabien.Vergrößern des Bildes
Letzter Schrei in Flieder: Cristiano Ronaldo spielt seit Januar 2023 für al-Nassr in Saudi-Arabien. (Quelle: IMAGO/Stringer)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

kennen Sie Frank Schmidt? Der stämmige 49-Jährige ist Trainer des Fußballvereins 1. FC Heidenheim. Seinen Job macht er so verlässlich, beständig und nicht zuletzt auch erfolgreich, dass er bereits seit 16 Jahren die Mannschaft aus der 50.000-Einwohner-Stadt im beschaulichen Ländle betreut. Unter seiner Leitung haben die Heidenheimer in diesem Jahr ein Husarenstück vollbracht: den Bundesliga-Aufstieg. Kommende Saison messen sich Mannschaftskapitän Patrick Mainka, Abräumer Norman Theuerkauf und Linksaußen Jan-Niklas Beste mit den hoch bezahlten Superstars vom FC Bayern, Borussia Dortmund oder Bayer Leverkusen.

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Schmidt ist als sympathisch-authentisches Unikum längst überregional im deutschen Fußball bekannt. Und auch wenn die Aufstiegsgeschichte der Heidenheimer gerne zu einem Wunder biblischen Ausmaßes verklärt wird, als hätte eine verlumpte Kneipen-Elf mit notdürftig zusammengeflicktem Ball die Millionenklubs der 2. Bundesliga vor sich hergespielt (in Wahrheit unterstützen zahlreiche Unternehmen aus der Region einen höchst professionell geführten Klub), so ist sie doch eine charmante Anekdote. Der Klub pflegt das eigene Image: ehrlich und echt – mit Schmidt als bescheidenem Gesicht.

Und doch konnte sich der sonst so redliche, geborene Heidenheimer vor wenigen Tagen einen Seitenhieb nicht verkneifen: "Das war heute leider nicht der erhoffte Test für uns", sagte der Trainer am Samstag nach der Partie gegen al-Ahli aus Saudi-Arabien. Denn nicht nur wurde die Fortführung des auf zweimal 60 Minuten angesetzten Spiels nach knapp anderthalb Stunden durch einen ausgewachsenen Wolkenbruch im Tiroler Trainingslager verunmöglicht – auch die Klasse der Gäste aus dem Orient glich offenbar eher einer Fata Morgana denn einer fußballerischen Offenbarung. "Die Qualität des Gegners war nicht das, was wir als Herausforderung im Trainingslager brauchen", erklärte Schmidt.

Die Ballkünstler von der Brenz waren nämlich schon nach drei Vierteln der Spielzeit zu einem komfortablen 6:2 gejoggt – wohlgemerkt: gegen eine Mannschaft mit dem 2021-er Welttorhüter Édouard Mendy und dem brasilianischen Nationalstürmer Roberto Firmino, die in diesem Sommer den Millionen-Weg nach Saudi-Arabien gewagt haben. Und mit dem deutschen Trainer Matthias Jaissle, der seine durchaus erfolgreiche Arbeit beim Dosen-alimentierten Fußballklub aus Salzburg in einer Nacht- und Nebelaktion kurz vor Saisonstart für einen hoch dotierten Job im sportlichen Nichts wegwarf. Dazu verpflichtete al-Ahli erst vor wenigen Tagen Riyad Mahrez von Manchester City für 35 Millionen Euro, gönnte sich noch Allan Saint-Maximin von Newcastle United für weitere 27,2 Millionen. Über 80 Millionen hat der Klub in diesem Sommer bereits investiert. Zum Vergleich: Bayern und Dortmund kommen auf 99 Millionen – zusammen.

Kein Tag im Weltfußball vergeht aktuell ohne neuerliche Spekulationen um den Wechsel eines namhaften Spielers nach Saudi-Arabien. Die Realität ist: Das wird so bleiben – und sollte Sorgen bereiten. Europas Topklubs sehen sich einer Gefahr ausgesetzt, die noch zunehmen wird.

Denn das Land mit einem der höchsten Bruttoinlandsprodukte der Welt wird nicht nur den Fußball, sondern den ganzen Sport nachhaltig beeinflussen. "Ich beobachte die Situation einfach nur", sagte Bayern-Trainer Thomas Tuchel unlängst am Rande der Asien-Reise des deutschen Rekordmeisters. Der 49-Jährige, ein kluger Analyst des Weltfußballs, fuhr fort: "Es ist einfach eine sehr neue Situation, vielleicht ein bisschen ähnlich der Situation, als China seine Liga gegründet hat. Dort gab es ja einen ähnlichen Goldrausch, und ja, man macht Erfahrungen." Saudi-Arabien sei "die nächste Liga, die versucht, populärer und berühmter zu werden, die versucht, die Marke aufzubauen."

Neureiche Klubs oder ganze Spielklassen und die dazu passenden skurrilen Geschichten gab es über die Jahre tatsächlich häufiger, ob in China, Russland oder Usbekistan. Doch das Engagement Saudi-Arabiens hat eine andere Dimension erreicht.

Fast 20 Milliarden Euro will das Königreich Berichten zufolge bis 2030 allein für den Fußball ausgeben, auch das Engagement in anderen Sportarten wird hochgefahren: Seit 2021 gibt es in der Formel 1 den Großen Preis von Saudi-Arabien, im Golf wurden mit astronomischen Preisgeldern Starspieler in eine neue Liga gelockt, im Boxen und im Handball will das Land präsenter werden. Diese Geldquelle wird nicht plötzlich versiegen, das Interesse an einer langfristigen Etablierung ist fundiert. "Sie überzeugen eine Menge Qualitätsspieler und sogar Trainer", bemerkte Tuchel weiter. "Die Situation ist also völlig neu und es ist noch etwas zu früh für mich, um eine klare Meinung zu haben. Ich bin ein Beobachter, ein überraschter Beobachter."

Ganz großes Ziel – neben dem zur "Imagepflege" euphemisierten Sportswashing einer grimmigen Diktatur – ist die Ausrichtung der Olympischen Spiele oder, größer noch, einer Fußball-WM. Eine gemeinsame Bewerbung mit Griechenland und Ägypten für das Turnier 2030 schien jüngst noch zu platzen. Wer die Fifa und ihren windigen Präsidenten, die schon bei der WM-Vergabe nach Russland oder Katar keine Berührungsängste mit moralisch fragwürdigen Gastgebern hatten, kennt, der wird sich nicht wundern, wenn Gianni Infantino demnächst bei bester Laune in einem Land auf der Tribüne sitzt, das unliebsame Kritiker gerne mal bei lebendigem Leib zerstückeln lässt.

Die Liste der saudischen Transfererfolge in diesem Sommer liest sich tatsächlich beeindruckend: Weltfußballer Karim Benzema wechselte ablösefrei von Real Madrid zum Klub al-Ittihad, verdient dort dem Vernehmen nach 50 Millionen Euro pro Saison. Der in seiner bisherigen Karriere eher durch bemerkenswerte Bescheidenheit aufgefallene französische Nationalspieler N’Golo Kanté schloss sich ebenfalls dem al-Ittihad an, der sich dazu auch noch Liverpools Mittelfeldspieler Fabinho für 46 Millionen Euro und für 29 Millionen den portugiesischen Stürmer Jota leistete. Der erste große Coup war indes die Verpflichtung von Cristiano Ronaldo, der bereits seit Januar bei al-Nassr spielt.

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Der jüngst vollzogene Wechsel von Fabinhos Liverpooler Teamkollegen Jordan Henderson zu al-Ettifaq löste besonders große Diskussionen aus – hatte sich der langjährige Kapitän der "Reds" doch stets vorbildlich für LGBTQ-Rechte eingesetzt, die in Saudi-Arabien auf brutalste Weise mit Füßen getreten werden.

Bayerns Fehleinkauf Sadio Mané wiederum flüchtete nach einem verkorksten Jahr in München für 30 Millionen zu al-Nassr, wird dort Teamkollege von Ronaldo – und soll sich die sportliche Einöde mit 40 Millionen Nettojahresgehalt kompensieren lassen. Insgesamt 400 Millionen Euro haben die staatlich alimentierten Klubs im Sommer 2023 investiert, und nur Spötter würden behaupten, der Niedergang des deutschen Fußballs sei auch daran erkennbar, dass es im saudischen Kaufrausch offenbar kein einziger deutscher Nationalspieler auf die Einkaufsliste eines der konsumfreudigen Scheichs geschafft hat.

"Diese Summen, die speziell in Saudi-Arabien gezahlt werden, zu erklären, ist schlicht nicht möglich", beklagte Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl vor wenigen Tagen im "Kicker". "Wenn sich das so fortsetzt, entwickelt sich der Fußball in eine Richtung, die ihm ganz sicher großen Schaden zufügen wird."

Natürlich ist es naiv, im heutigen Fußballgeschäft von seinen Akteuren Maß und Moral, Willensstärke und Weitsicht zu erwarten, wenn ihnen mit der Schneeschaufel Geldscheine in den Vorgarten geschippt werden.

Der ganz große Schlag für den Fußballstandort Europa ist aber noch ausgeblieben: Dass ein aufstrebendes Talent, der nächste Lionel Messi, der nächste Ronaldo, ein junger Superstar mit großer Perspektive, schon in jungen Jahren in die "Saudi Pro League" wechselt. Bisher nämlich hatte ein Großteil der verpflichteten Spieler zwar Namen, aber eher mindestens schon den Spätsommer der Karriere erreicht. Bis es tatsächlich dazu kommt, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Fast wäre es schon in den vergangenen Wochen so weit gewesen. Da hatte al-Hilal nämlich ein an Absurdität nicht zu übertreffendes Angebot für Weltmeister Kylian Mbappé abgegeben: 300 Millionen Ablösesumme an dessen Klub Paris Saint-Germain – und 700 Millionen Gehalt, damit er eine einzige Saison als lohnversklavter Fußballsöldner Aushängeschild der Liga wird. Der französische Starstürmer soll aber selbst ein Gespräch mit Klubvertretern abgelehnt haben, wird wohl eher zu Real Madrid wechseln.

Hätte der 24-Jährige die monströse Offerte tatsächlich angenommen – es wäre nicht weniger als eine Revolution gewesen. Sein Beispiel hätte die Hemmschwelle für andere junge Spieler, hoch dotierte Angebote auf Kosten einer großen Karriere anzunehmen, bedeutend gesenkt.

Die Saudi Pro League wird für den europäischen Fußball zum großen Problem in den kommenden Jahren. Vielleicht sogar zur Existenzfrage. Dieser Gedanke sollte erschaudern lassen. Noch gibt es ja aber Frank Schmidt und den 1. FC Heidenheim.

 
 
 
 
 
 
 

Was heute noch wichtig wird

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Zum Schluss

Wo wir gerade schon in Wacken waren: Pommesgabel schlägt Schlamm.

Ich wünsche Ihnen einen Tag voller Optimismus und Zuversicht. Morgen schreibt mein Kollege Daniel Mützel für Sie.

Ihr

David Digili
Redakteur Sport
Twitter @herrdigili

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Mit Material von dpa.

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