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Bildung | Weniger Allgemeinwissen: Bildungsniveau in Deutschland sinkt rapide


Tagesanbruch
Das Niveau sinkt rapide

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 31.08.2023Lesedauer: 6 Min.
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Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch fördert Bildungsprogramme in Familien.Vergrößern des Bildes
Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch fördert Bildungsprogramme in Familien. (Quelle: Christoph Soeder/dpa)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

als Herr im fortgeschrittenen Alter muss man achtgeben, nicht überheblich zu erscheinen. Man hat sich in seinem Oberstübchen gemütlich eingerichtet, greift routiniert auf den eigenen Erfahrungsschatz zurück und weiß fast jede Situation und jedes Gespräch erfolgreich zu meistern. Hat man obendrein eine humanistische Bildung genossen und ist auch noch ein Bücherwurm, gibt es wenig Neues, was man nicht sofort in eine geistige Schublade ablegen oder mit einem halbwegs gescheiten Bonmot kommentieren kann. So schreitet man als Bildungsbürger souverän durchs Leben und ergötzt sich an der eigenen Weltläufigkeit.

Umso größer ist die Bestürzung, wird man in Gesprächen mit jüngeren Semestern mit einem ganz anderen Bildungsniveau konfrontiert. So erging es mir neulich. Da bin ich regelrecht zusammengezuckt, als eine Bekannte (Ende zwanzig) in einer Diskussion über Terrorismus meinte, da sei doch "auch 2001 irgend so ein Anschlag in Amerika gewesen". Ich zucke aber auch, wenn jemand nicht weiß, wer Sophie Scholl war, was am 17. Juni 1953 in der DDR geschah oder wer die Relativitätstheorie aufgestellt hat. Mir läuft es kalt den Rücken runter, wenn Leute keine Ahnung haben, was repräsentative Demokratie bedeutet oder noch nie einen Satz von Max Frisch gelesen haben. "Das kann doch nicht wahr sein!", denke ich dann, und sofort darauf schelte ich mich für meine Überheblichkeit. Es kommt halt nicht jeder in den Genuss einer guten Bildung.

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Wobei, warum eigentlich nicht? Ist es zu viel verlangt, in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt von den Bürgern zu erwarten, dass sie wenigstens grundlegende Kenntnisse von Politik und Zeitgeschichte, Wissenschaft und Literatur haben? Als junger Mensch interessiert man sich naturgemäß eher für die Gegenwart als die Vergangenheit und hat vor allem das eigene Leben und Fortkommen im Kopf. Aber über einen Grundstock an Wissen sollte man doch verfügen, selbst wenn man nicht vorhat, groß Karriere zu machen. Ist es nicht eine Bürgerpflicht, die wesentlichen Prozesse in unserem Land, wichtige Personen, Ereignisse und Werke der Zeitgeschichte zu kennen? Wer Bescheid weiß, kann mitreden und läuft nicht Gefahr, Populisten und Dummschwätzern auf den Leim zu gehen.

Ich habe den Eindruck: Mit diesem Anspruch bin ich mittlerweile in der Minderheit. Mir scheint, immer mehr Menschen geben sich damit zufrieden, mit Scheuklappen und einem sehr begrenzten Horizont durchs Leben zu spazieren. Hinzu kommt, dass viele Kinder hierzulande weder in der Schule noch im Elternhaus das nötige Rüstzeug für ein Leben als aufgeklärte Bürger vermittelt bekommen.

Die Zahlen geben mir recht. An Studien mangelt es nicht, die jüngste stammt vom Institut der deutschen Wirtschaft und nennt sich "Bildungsmonitor". Sie kommt zu dem Schluss, dass sich das Bildungsniveau in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert hat. Vor allem in den Bereichen Schulqualität, Integration und Bildungsarmut gebe es negative Entwicklungen. "Die Kitas und Schulen haben noch keine gute Antwort darauf gefunden, dass die Schülerschaft in den vergangenen Jahren deutlich heterogener wurde, ein steigender Anteil zu Hause nicht Deutsch spricht oder nur wenige Bücher im Haushalt besitzt", sagt einer der Studienautoren.

Gescheiterte Integration, fehlende Sprachkenntnisse und migrantische Parallelstrukturen sind sicherlich ein Grund für das sinkende Bildungsniveau. Die vergrützte föderalistische Bildungspolitik ist ein zweiter. Das Problem ist aber größer. Mir scheint: Zunehmender Wohlstand und allerorten verfügbare Ablenkung haben viele Leute bequem und engstirnig gemacht. Wer mehr Zeit mit seinem Smartphone verbringt als mit Büchern, trainiert zwangsläufig weniger Gehirnzellen. Wer sich mehr dafür interessiert, was irgendein Star auf Instagram gepostet oder irgendein Influencer auf YouTube geschnattert hat, verliert die Neugier auf alles, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Auf die Gefahr hin, wie ein altkluger Fuzzi zu klingen, möchte ich noch eine Erfahrung loswerden: Vor mehr als zwanzig Jahren schenkte mir jemand während eines Krankenhausaufenthalts ein Buch. Der Titel lautete schlicht und einfach: "Bildung. Alles, was man wissen muss". Ich verschlang es binnen zwei Tagen. Der Autor, Dietrich Schwanitz, fasste unterhaltsam und augenzwinkernd die Geschichte Europas zusammen, erklärte Kunst, Philosophie, Musik und die großen Werke der Literatur, erläuterte anschaulich wissenschaftliche Theorien und gesellschaftliche Revolutionen. Selten habe ich in so kurzer Zeit so viel gelernt und mich dabei auch noch amüsiert.

Nun wenden Sie vielleicht ein: Es reicht aber nicht, ein einziges Buch zu lesen, um die komplexe Welt zu verstehen! Natürlich haben Sie recht. Es müssen viele weitere Bücher, Filme, Erfahrungen, Diskussionen und am besten auch Reisen folgen. Trotzdem ertappe ich mich in Gesprächen mit Jüngeren immer öfter dabei, dass ich insgeheim denke: Dir täte es gut, mal im Schwanitz zu blättern.


Ortstermine mit Aiwanger

Was macht eigentlich Hubert Aiwanger? Zeit für die Beantwortung der 25 Fragen, die ihm der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in der Flugblatt-Affäre aufgegeben hat, dürfte der Vorsitzende der Freien Wähler heute jedenfalls nicht finden. Während längst auch die Spitzen der Bundesregierung Aufklärung verlangen, während sich ein Mitschüler erinnert, dass Aiwanger im Klassenzimmer damals den Hitlergruß gezeigt habe und während seine Parteifreunde auf Konfrontationskurs zur CSU gehen, nimmt der amtierende Wirtschaftsminister des Freistaats heute Ortstermine wahr: Besuche in Firmen und Forstbetrieben füllen seinen Kalender.

Business as usual also? Zumindest den Eindruck will Herr Aiwanger wohl gern erwecken. Fraglich ist, ob das noch lange gutgeht. Falls Sie das abscheuliche Flugblatt noch nicht gesehen haben: So sieht es aus.


Ein Jahr Gasstopp

Kaum zu glauben, dass diese Nachricht erst ein Jahr her ist, wirkt sie doch wie aus einem anderen Zeitalter: "Russland stoppt Gaslieferungen über Nord Stream 1 für drei Tage", titelten wir am 31. August 2022; als schon damals unglaubwürdigen Grund gaben die Russen Wartungsarbeiten an. Wie es weiterging, ist bekannt: Nie mehr wurden die Lieferungen aufgenommen, stattdessen wurden in einem bis heute nicht aufgeklärten Sabotageakt in der Nacht zum 26. September drei der vier Stränge der Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf dem Grund der Ostsee gesprengt.

Seither musste die Bundesregierung das Land im Schnellverfahren aus der fatalen Abhängigkeit des Kreml-Kriegstreibers lösen, was erstaunlich gut gelang. Im Rekordtempo wurden LNG-Terminals errichtet, die Gasspeicher sind bereits jetzt – Ende August – zu 94 Prozent gefüllt. Und auch heute wird wieder eine Anlage eingeweiht: Der 20 Hektar große Bioenergie-Park Güstrow soll täglich 25.000 Kilogramm Bio-LNG für den Schwerlastverkehr produzieren. Bei aller Kritik an der Ampelkoalition: Das läuft.

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Gute Ideen

Der Flugverkehr gilt als ein wesentlicher Treiber der Erderhitzung. Umso spannender ist dieser Jungfernflug: Auf der Rückkehr von der Nordseeinsel Norderney sollte das erste vollelektrische Kleinflugzeug gestern Abend auf dem Flughafen Hannover landen. Heute Morgen informieren die Betreiber darüber, ob alles rundlief.

Und noch eine gute Klimaschutzidee kommt aus Deutschland. Forscher des Fraunhofer-Instituts haben sie ersonnen und stellen sie heute vor: Sie haben Solarzellen in Motorhauben von Autos verbaut. Diese laden die Batterien auf und passen sich sogar der Autofarbe an. Stark!


Ohrenschmaus

Wenn Sie Frühaufsteher sind, treten Sie heute Morgen mal vors Haus und schauen Sie nach oben: Schon zum zweiten Mal in diesem Monat zeigt sich über Deutschland ein großer Vollmond – ein seltenes kosmisches Schauspiel, das die Amerikaner "Blue Moon" nennen. Von dort kommt auch der passende Song.


Augenschmaus

Es gibt Filme, die den eigenen Alltag widerspiegeln. Heute läuft der Streifen "Enkel für Fortgeschrittene" mit Maren Kroymann, Heiner Lauterbach und Barbara Sukowa in den Kinos an. Wenn ich mir den Trailer anschaue, weiß ich: Muss ich sehen!


Lesetipps


Die Ampelregierung bemüht sich nach ihrer Klausur in Meseberg um Harmonie. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, berichten unsere Hauptstadtreporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert.


Zwischen den Atommächten Indien und China eskalieren Grenzkonflikte. Droht ein Krieg? Mein Kollege Patrick Diekmann erklärt Ihnen die brenzlige Lage.


Wieso nimmt der FC Bayern Sponsorengeld von Ruanda, einem bitterarmen Land? Meine Kollegen Camilla Kohrs und Alexander Kohne nehmen den fragwürdigen Deal unter die Lupe.


Zum Schluss

Komplexe Probleme verlangen einfache Lösungen.

Ich wünsche Ihnen einen appetitlichen Tag. Morgen schreibt Peter Schink den Tagesanbruch, von mir hören Sie am Samstag wieder. Dann wird es vielerorts noch mal heiß.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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