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Krieg in der Ukraine: Die Zeit spielt für Putin und Russland


Tagesanbruch
Er hört schon das Gebrüll von Trump

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 02.11.2023Lesedauer: 7 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident weicht von seinen Zielen in der Ukraine nicht ab. (Quelle: Gavriil Grigorov/Kremlin Pool/imago images)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wissen Sie, was ein "Kansas City Shuffle" ist? Es handelt sich um ein Ablenkungsmanöver, das in dem Film "Lucky Number Slevin" eine große Rolle spielt. "Ein Kansas City Shuffle ist, wenn alle Welt nach rechts guckt, während du linksrum gehst", erklärt die Figur von Bruce Willis das Grundprinzip dieses Tricks in diesem etwas merkwürdigen, aber sehr sehenswerten Thriller aus dem Jahr 2006.

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Sollten Sie den Film noch nicht kennen, verrate ich Ihnen an dieser Stelle auch nicht zu viel. Denn was es mit diesem Trick auf sich hat, wird schon ganz zu Beginn klar: Da sitzt Willis in einem Rollstuhl, während er den Trick einem anderen Mann erläutert. Sein Gesprächspartner hat Willis zuvor noch nie gesehen, es entwickelt sich trotzdem eine längere Unterhaltung. Am Ende zeigt Willis in eine Richtung des Raumes, sein Gesprächspartner folgt seinem Finger und wendet sich von ihm ab.

Als sein Blick zurück auf den Rollstuhl fällt, sitzt Willis plötzlich nicht mehr dort. Er hat sich blitzschnell hinter dem Mann postiert – und bricht ihm anschließend das Genick. Ein "Kansas City Shuffle" eben. Ohne Leiche läuft der Trick übrigens nie, erfährt der Zuschauer danach.

Ich frage mich, ob wir derzeit in der Weltpolitik nicht auch so eine Art "Kansas City Shuffle" erleben. Seit dem 7. Oktober hat sich blitzschnell unser Fokus geändert: Wir schauen nicht mehr vornehmlich in die Ukraine, sondern nach Israel. Dorthin, wo nach den grausamen Morden der Hamas-Terroristen der nächste Krieg tobt. Und damit stellt sich die Frage: Bricht das der Ukraine im Kampf gegen Russland möglicherweise das Genick?

Falls Sie in Bezug auf den Ukraine-Krieg den Faden verloren haben, hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Tage:

- Beide Seiten setzen ihre Offensiven fort: Die Ukraine kämpft weiter vor allem im Süden darum, sich einen Weg in Richtung des Asowschen Meeres zu bahnen. Russland versucht unter großen Verlusten unter anderem den Ort Awdijiwka zu erobern. Beide Seiten konnten zuletzt allerdings keine größeren Erfolge vermelden.

- Ukrainischen Angaben zufolge hat Russland am Dienstag den größten Angriff in diesem Jahr begonnen. 118 Orte im ganzen Land wurden beschossen, darunter auch eine Ölraffinerie.

- Die Niederlande wollen der Ukraine in Kürze die ersten F-16-Kampfjets bereitstellen. Innerhalb der nächsten zwei Wochen sollen die Flugzeuge in Rumänien eintreffen und die Ausbildung ukrainischer Piloten soll beginnen.

- Am Wochenende kamen in Malta auf Initiative der Ukraine Vertreter aus 66 Staaten zusammen, um über weitere Schritte zur Umsetzung des ukrainischen Friedensplans zu beraten. Ähnliche Treffen hatten zuvor bereits in Dänemark und Saudi-Arabien stattgefunden – ein Vertreter Russland war bislang nicht eingeladen.

Sie sehen: Auch wenn der Krieg in der Ukraine nicht mehr das Topthema ist, eine Pause hat er nicht eingelegt. Dass sich unser aller Fokus verschiebt, ist dennoch verständlich. Unsere Augen können nicht überall sein – bei solch furchtbaren Nachrichten ist das vermutlich auch gut so.

Wichtig ist allerdings: Die Politik darf diesen Fokus nicht verlieren. Für unsere Bundesregierung und für alle Entscheider in den westlichen Staaten muss gelten, dass die Lage in Israel und in der Ukraine gleichermaßen wichtig ist. Und wer die vergangenen Monate betrachtet, muss strenggenommen sagen: Die Ukraine wurde wohl nicht zu viel, sondern eher militärisch zu wenig unterstützt.

Aktuell hat sich die Ukraine in ihrer Offensive verhakt. Nicht wenige Experten sprechen davon, dass sie zumindest hinter den Erwartungen des Westens zurückgeblieben ist, andere reden vom Scheitern. Begriffen haben die meisten mittlerweile, dass es keine Wunderwaffe gibt, die den Erfolg gegen die Armee von Wladimir Putin garantiert. Doch genauso klar ist, dass den Ukrainern noch immer entscheidende Ausrüstung fehlt, etwa eine größere Menge an Kampfflugzeugen. Aus Großbritannien, Frankreich und den USA sind zwar Raketen und Marschflugkörper mit großer Reichweite in der Ukraine eingetroffen. Dass diese Waffen in exorbitanten Stückzahlen geliefert wurden, ist allerdings unwahrscheinlich.

Die Ukraine ist weiterhin auf unsere militärische Unterstützung angewiesen. Im Moment hat die US-Regierung jedoch Probleme damit, neue Hilfspakete durch den Kongress zu bringen. Gerade erst wurde mit dem Republikaner Mike Johnson ein Hardliner zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt, der von Militärhilfen für die Ukraine nicht viel hält.

Einfacher wird es in den kommenden Monaten nicht. Sobald der Wahlkampf um das Weiße Haus 2024 Fahrt aufnimmt, wird Präsident Joe Biden noch stärker unter Druck geraten. Denn das Gebrüll von Donald Trump und anderen wird lauter werden: Das viele Geld könne man doch lieber irgendwo in der Heimat ausgeben, wird es immer häufiger heißen.

Für Europa bedeutet das, dass die Hilfen weiter ausgebaut werden müssen. Doch auch hier sieht es nicht gut aus: Deutschland und weitere Staaten sind nicht in der Lage, einen Ausfall der Amerikaner vollständig zu kompensieren. Die kleine, aber strategisch wichtige Slowakei will nach einem Regierungswechsel künftig gar keine Hilfe mehr leisten. Und die Bundesregierung? Dort wurde zuletzt ein "Winterpaket" mit Flugabwehrsystemen, Panzern oder Munition für die kommenden Monate angekündigt. Doch die von der Ukraine vehement geforderten Taurus-Marschflugkörper werden weiterhin nicht nach Kiew gehen. Vermutlich wird es nie dazu kommen.

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Vieles deutet derzeit auf ein Patt an den Frontlinien hin. Doch das kann schnell zugunsten Russlands kippen, sollten die Waffenlieferungen ins Stocken geraten. Ohne einen Fahrplan für das kommende Jahr könnte das dritte Kriegsjahr zum entscheidenden Wendepunkt werden.

Auch Russland mag aktuell Probleme mit Munition, Ausrüstung und noch mehr mit der Moral seiner Soldaten haben. Was beide Armeen aber unterscheidet: Wladimir Putin scheint weiter überhaupt kein Problem damit zu haben, Tausende Soldaten in den nahezu sicheren Tod zu schicken, um seine Ziele zu erreichen. "Russland hat mindestens 150.000 Tote verloren. In jedem anderen Land hätten solche Verluste den Krieg beendet", sagte der ukrainische Oberkommandant Walerij Saluschnyj dem britischen "Economist". Er habe fälschlicherweise geglaubt, man könne die russische Armee durch hohe Verluste zur Aufgabe zwingen. Mittlerweile sagt er, dass diese Einschätzung ein Fehler war – und auf lange Sicht könne Russland gewinnen, weil es schlichtweg mehr Leute zum Kämpfen habe.

Die Zeit spielt Wladimir Putin in die Hände. "Im nächsten Jahr werden sie versuchen, die Überlebensfähigkeit des ukrainischen Staates zu zerstören. Sie hoffen, den politischen Willen des Westens langsam zu erschöpfen", sagte der bekannte US-Militäranalyst Michael Kofman vor Kurzem dem "Spiegel". Das gilt es jetzt mit aller Macht zu verhindern.


Ein letzter Song

Damit hat wohl niemand mehr gerechnet: Heute ab 15 Uhr wird die Welt etwas hören, was fast unglaublich klingen mag. "Now And Then" heißt der Song, der dann veröffentlicht wird – und er stammt tatsächlich von den Beatles.

Allein die Produktion ist schon eine Geschichte für sich. Geschrieben wurde das Lied von John Lennon schon in den Siebzigern. Mitte der Neunziger dann spielte George Harrison die Gitarre ein. Erst jetzt, lange nach dem Tod der beiden, konnten die beiden verbliebenen über 80 Jahre alten Mitglieder Paul McCartney und Ringo Starr das Lied fertigstellen.

Warum der Song erst 53 Jahre nach der Auflösung der Legenden erscheint? Lennons Aufnahmen waren offenbar technisch defekt und konnten erst jetzt bereinigt werden. Hoffen wir, dass sich das Warten gelohnt hat.


Ohrenschmaus

Wenn wir schon bei großen Bands sind: Heute vor exakt 45 Jahren begann die erfolgreiche Karriere einer anderen Gruppe, die damals ihr erstes Album veröffentlicht hat. Sowohl dieses Lied als auch das (aus heutiger Sicht etwas ulkige) Video sind immer noch hörens- und sehenswert.


Für die einen Blamage, für die anderen eine Sensation

Diese Runde im DFB-Pokal lässt das Saarland jubeln: Am Dienstag warf zuerst der FC Homburg (Regionalliga Südwest) den Zweitligisten Greuther Fürth aus dem Turnier. Doch gestern Abend wurde es dann noch verrückter: Der Drittligist aus Saarbrücken schlug mit einem Tor in der Nachspielzeit den großen FC Bayern München.

Im Südwesten ist also Feiern angesagt. Dabei kennen sich die Saarbrücker mit starken Pokalrunden schon aus: 2020 ging es für den damaligen Viertligisten bereits bis in das Halbfinale. Für die Bayern ist das Aus dagegen eine herbe Blamage. Das Team von Trainer Thomas Tuchel sollte die Niederlage jetzt schnell abschütteln. Denn schon am Samstag müssen die Bayern auswärts gegen Borussia Dortmund ran.


Was steht an?

Der Vizekanzler und die KI: Wirtschaftsminister Robert Habeck reist nach Großbritannien und trifft dort nicht nur seine Amtskollegen, sondern wird auch auf dem Gipfel zur Künstlichen Intelligenz erwartet. Am Abend soll dort auch der britische Premier Rishi Sunak auf Elon Musk treffen. Übertragen wird das Ganze auf X (ehemals Twitter), was in der Vergangenheit nicht immer funktioniert hat.


In einem viel beachteten Video auf X hat Habeck Antisemitismus in Deutschland scharf verurteilt und Solidarität mit Juden angemahnt. "Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren, in keiner. Das Ausmaß bei den islamistischen Demonstrationen in Berlin und in weiteren Städten Deutschlands ist inakzeptabel und braucht eine harte politische Antwort", so der Grünen-Politiker. Positive Reaktionen für seine klaren Worte bekam er nicht nur aus den eigenen Reihen. Sein Auftritt dürfte heute für weiteren Gesprächsstoff sorgen.


Der Kanzler spricht: Bürgerdialoge sollen Bundeskanzler Olaf Scholz angeblich deutlich wichtiger als Gespräche mit Journalisten sein. Heute nimmt sich Scholz 90 Minuten Zeit, um mit Menschen in Mannheim zu sprechen.


Die deutsche Sicherheit im Netz: Wie sicher ist Deutschland vor Cyberangriffen und Bedrohungen aus der digitalen Welt? Antworten soll es dazu heute im Lagebericht des Bundesamtes für Sicherheit und Informationstechnik (BSI) geben. Erstmals wird den Bericht die neue Behördenchefin Claudia Plattner mit Innenministerin Nancy Faeser vorstellen. Plattners Vorgänger Arne Schönbohm war zuvor von der Ministerin abgesetzt worden.


Lesetipps

Weltweit stellen Kriege und Krisen den Westen vor große Herausforderungen. Besteht die Gefahr eines Flächenbrands? Historiker Sönke Neitzel zieht im Interview mit Simon Cleven Parallelen zur Phase vor dem Zweiten Weltkrieg.


Andreas Nachama ist Rabbiner, Kadir Sancı Imam und Gregor Hohberg Pfarrer. Doch der Glaube an die Menschlichkeit eint sie. Meine Kollegin Kristina Sirjanow hat alle drei zum Gespräch getroffen.


Eine der besten Rockbands aller Zeiten war Queen. Die Band um Freddie Mercury stellte einen geradezu unvorstellbaren Rekord auf. Mehr lesen Sie hier.


Unablässig hämmern Russlands Staatsmedien den Menschen die Propaganda des Kremls ein. Besonders hat es das Regime aber auf die russische Jugend abgesehen, schreibt unser Kolumnist Wladimir Kaminer.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Donnerstag. Morgen schreibt für Sie wieder Florian Harms.

Herzliche Grüße

Ihr

David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik, Wirtschaft & Gesellschaft
X/Twitter: @Schubfach
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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