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Debatte um Tempolimit auf der Autobahn: Auf der Überholspur ausgebremst


Tagesanbruch
Jenseits aller Vernunft

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 09.11.2023Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
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Auch dichter Verkehr hält einige nicht vom Rasen ab. (Quelle: Joeran Steinsiek/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

erinnern Sie sich noch an das Tempolimit? Vor allem im Sommer, zur besten Reisezeit, wurde es in Deutschland hoch und runter diskutiert, SPD und Grüne waren dafür, FDP aber dagegen. Nun sind die Sommerferien lange vorbei, und die Ampelkoalition hat es offenbar als einen weiteren unlösbaren Fall zu den Akten gelegt.

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Nun könnte ausgerechnet Sahra Wagenknecht neuen Schwung in die Debatte gebracht haben. Gezwungenermaßen, muss man dazu sagen, denn eigentlich war es ARD-Moderatorin Sandra Maischberger, die die Ex-Linken-Politikerin am Dienstagabend darauf festnagelte. Maischberger befragte in ihrer Talksendung Wagenknecht, die ja bekanntlich eine neue Partei gründen möchte, unter anderem zum Tempolimit. So recht Lust hatte Wagenknecht nicht, sich festzulegen, ließ sich aber schließlich zu einem "Ich denke, 130 kann man vertreten" hinreißen.

Nun kann ich das Zögern verstehen, einerseits. Schließlich wird kaum eine Debatte so leidenschaftlich und unversöhnlich geführt wie diese. "Spaßbremsen", "Neider", "Moralapostel" werfen die Verfechter der limitfreien Fahrt den Befürwortern des Tempolimits an den Kopf – alles Eigenschaften, die in Deutschland zwar recht weit verbreitet sind, aber niemand gern auf sich bezieht. Die Argumente beider Positionen hat mein Kollege Markus Abrahamczyk übrigens hier für Sie zusammengefasst.

 
 
 
 
 
 
 

Der Slogan "Freie Fahrt für freie Bürger" hat sich tief in die deutsche DNA eingebrannt – und findet auch über die Grenzen hinaus ihre Anhänger. Als ich eine Zeit lang in Frankreich lebte, lernte ich Menschen kennen, deren liebstes Hobby es war, sich schnelle Autos zu mieten und durch Deutschland zu brettern. Auch ich war lange unentschieden, denn, das gebe ich gern zu, schnell fahren macht mir tatsächlich Spaß. Doch jetzt kommt das Aber.

Ein Hauptargument gegen das Tempolimit ist die Vernunft des Menschen: Jeder fährt nur dann schnell, wenn es geht, wenn er niemanden gefährdet. Der Gesetzgeber braucht es nicht zu regeln, der Verkehr regelt sich selbst. Nun besitze ich seit einem Jahr selbst ein Auto, war viel auf Autobahnen unterwegs und kann sagen: Das ist Wunschdenken. Fast nirgendwo bricht sich der Egoismus so sehr Bahn wie auf der linken Spur deutscher Autobahnen.

Drängeln, bei 160 Kilometern pro Stunde fast bis auf die Stoßstange auffahren, Platz schaffen mit Lichthupe im dichten Verkehr, all das ist auf Autobahnen gang und gäbe. Und spätestens an dieser Stelle hat der Freiheitsbegriff ausgedient. Denn der gilt nur für diejenigen, die sich ein entsprechend PS-starkes Auto leisten können oder wollen. Für die anderen ist es ein Spießrutenlauf, bei dem jeder Überholvorgang zum Nervenkitzel wird. Dabei ist es auch egal, ob man sich selbst überhaupt auf die linke Spur traut. Zieht jemand mit mehr als 200 Sachen an einem vorbei, muss man in einem Kleinwagen das Lenkrad schon sehr fest umklammern.

Folgende Statistik möchte ich Ihnen an diesem Morgen noch zumuten: Fast ein Viertel der Unfälle mit Personenschaden, wie es im Polizeijargon heißt, gehen auf zu wenig Abstand zurück. Ja, ein Tempolimit würde das Problem nicht gänzlich lösen, schließlich lässt es sich auch bei 130 km/h gut drängeln. Die extrem hohen Geschwindigkeiten aber machen es ungleich gefährlicher. Und es gibt weitere gute Gründe, wie diese Studie zweier Ökonomen zeigt: weniger Unfälle, weniger Staus, weniger Schadstoffemissionen. Einschränkend sei aber gesagt, auch darauf weisen die Autoren hin: Die Datenlage insgesamt ist derzeit dürftig.

Sicher: Schnellfahrer sind nicht gleich Drängler, es gibt auch viele Vernünftige. Doch sind es leider viel zu viele, die eben keine Rücksicht nehmen. Davon zeugen auch Polizeimeldungen. Beispiel A8 bei Pforzheim im vergangenen März: Nach einer Abstandskontrolle drohte mehr als 40 Fahrern ein Fahrverbot, über 70 Anzeigen gingen raus. Spitzenreiter war ein Autofahrer, der bei 192 Kilometern pro Stunde auf 15 Meter auffuhr. Dabei beträgt selbst bei einer Vollbremsung der Bremsweg bei dieser Geschwindigkeit fast 200 Meter. Auf der A5 bei Frankfurt, einer besonders problematischen Strecke, erwischte die Polizei im Juli in nur einer Stunde mehr als 400 Drängler, 20 drohte danach ein Fahrverbot.

Kurz zusammengefasst: Die einen rasen, die anderen zittern. Und das macht die Frage nach dem Tempolimit auch zu einer nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Denn derzeit gilt auf vielen Strecken das Recht des Stärkeren. Zeit, das zu ändern.

 
 
 
 
 
 
 
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Ohrenschmaus

Apropos Autobahnen: Ich gehöre zu den Glücklichen, denen in diesem Jahr noch ein später Herbsturlaub vergönnt war. Mit dem Auto fuhr ich durch die wunderschöne Landschaft Italiens und dieses eine Lied hat mich dabei besonders begleitet: viel Spaß beim Reinhören und von Italien träumen. Dort gilt übrigens Höchstgeschwindigkeit 130.


Gedenken an die Reichspogromnacht

85 Jahre ist es her, dass Nazi-Schergen in deutschen Städten Jagd auf Juden machten, Hunderte ermordeten, Tausende Geschäfte und jüdische Einrichtungen zerstörten. Es ist einer der furchtbarsten Tage in der deutschen Geschichte, und noch furchtbarer war, was danach folgte: die millionenfache Deportation und systematische Ermordung von Juden.

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An vielen Orten in Deutschland wird heute der Opfer der Pogrome gedacht. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Berlin sprechen Bundeskanzler Olaf Scholz und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Bereits gestern hatte Präsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des Gedenktages zu einem Runden Tisch ins Schloss Bellevue eingeladen und den Jüdinnen und Juden in Deutschland zugesagt: "Ich will Ihnen versichern, dass dieses Land nicht ruhen wird, solange Sie um Ihre Sicherheit und (die) Sicherheit Ihrer Kinder fürchten müssen."

Worte der Solidarität sind wichtig. Antisemitischer Hass eskaliert derzeit weltweit, seit die Terroristen der Hamas am 7. Oktober Israelis massakrierten und so einen neuen Krieg provozierten. In Berlin-Neukölln feierten junge Muslime die Massaker, indem sie Süßigkeiten verteilten. Häuser wurden mit Davidsternen markiert, es gab einen Brandanschlag auf eine Synagoge. Auf Demonstrationen skandieren vorrangig Muslime ihre Unterstützung der Hamas, in der antiimperialistischen linken Szene werden die Massaker in Israel mit einem angeblichen Befreiungskampf gerechtfertigt. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Sehr viel wichtiger ist es aber, dass es nicht nur bei Worten bleibt. Denn dass Antisemitismus in Deutschland sowohl von links, rechts als auch muslimischer Seite existiert und wächst, das ist längst bekannt. Antisemitische Gewalttaten steigen, schon in den vergangenen Jahren wurde auf Demonstrationen von Islamisten und Linksradikalen immer wieder zur Auslöschung Israels aufgerufen. Bislang aber, das muss man an diesem Tag feststellen, haben wir darauf keine ausreichende Antwort gefunden.


Die weiteren Termine

Frankreich richtet heute eine Internationale Hilfskonferenz für die Zivilbevölkerung in Gaza aus. Dort könnten neue Finanzzusagen für die Unterstützung der Bevölkerung in Gaza gemacht werden.


Kaum hat die Deutsche Bahn die einen Tarifverhandlungen beendet, stehen die nächsten an. Heute ist der erste Verhandlungstag mit der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer (GDL). GDL-Chef Claus Weselsky hat bereits angekündigt, sich nicht lange mit Warnstreiks aufhalten zu wollen, sondern die Mitglieder zügig über unbefristete Streiks abstimmen zu lassen.


Lesetipps

Die fünf Wirtschaftsweisen haben ihr Jahresgutachten vorgestellt – und das liest sich teils verheerend. Was sich aus Sicht der Ökonomen ändern muss, hat mein Kollege Florian Schmidt für Sie zusammengefasst. Und er erklärt gemeinsam mit meiner Kollegin Christine Holthoff, welche Reformen der gesetzlichen Rente nötig sind.


Der Krieg in der Ukraine wandelt sich allmählich zum Stellungskrieg. Ist ein Wendepunkt im Krieg erreicht? Militärexperte Carlo Masala schätzt im Interview mit meinem Kollegen Tobias Eßer die Lage ein.


Im Vergleich zu Donald Trump wirkt Joe Biden schwächer als je zuvor. Brauchen die Demokraten auf die Schnelle einen neuen Präsidentschaftskandidaten? Unser US-Korrespondent Bastian Brauns berichtet.


Vor 100 Jahren versuchte Adolf Hitler den Putsch gegen die Weimarer Republik, heute befindet sich in einer neuerlichen Zeit der Krisen die AfD auf dem Vormarsch. Hält die Vergangenheit eine Lektion für unsere Gegenwart bereit? Ja, sagt der Historiker Thomas Weber im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Zum Schluss

Auch das sei in diesen grauen Tagen nicht vergessen: Der 9. November ist auch der Tag, an dem die Mauer fiel. Ein freudiges Ereignis. Für die meisten ...

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Donnerstag. Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie.

Camilla Kohrs
Stellvertretende Politikchefin
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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