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Russland und der Westen: Hat Putin Partner in Indien und Saudi-Arabien?


Tagesanbruch
Putin ist plötzlich fein raus

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.12.2023Lesedauer: 6 Min.
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Putin bei seinem Besuch in Saudi-Arabien.Vergrößern des Bildes
Putin bei seinem Besuch in Saudi-Arabien. (Quelle: Sputnik/Sergei Savostyanov/Pool via REUTERS)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es tut so gut, endlich mal wieder rauszukommen: Etwas in der Art hat wahrscheinlich jeder von uns gedacht, als nach der Corona-Zwangspause die Reiseverbote fielen und man wieder rumkam in der Welt. Ein ähnliches Gefühl durfte diese Woche ein Herr erleben, dessen Leben sich auch nach Corona häuslicher gestaltete als gewohnt. Wir wollen dich nicht, du musst zu Hause bleiben, sonst kommt die Polizei: Das schallte Wladimir Putin seit seinem Überfall auf die Ukraine fast überall entgegen, sobald er eine Reise antreten wollte. Kaum ein Gastgeber wollte ihn empfangen. Staatschefs ächteten ihn oder verwiesen peinlich berührt auf den internationalen Haftbefehl, der wegen der Kriegsverbrechen seiner Mördermeute gegen ihn vorliegt.

Doch die Zeiten ändern sich. In den vergangenen zwei Tagen hat der Paria eine Spritztour durch den Nahen Osten unternommen und seine Freundschaften gefeiert. Zunächst schaute er in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorbei, wo er als "lieber Freund" begrüßt wurde und das "noch nie zuvor erreichte Niveau" der gemeinsamen Beziehungen pries. In der Tat, der Handel boomt. An all den lästigen Sanktionen vorbei strömen Geld, Gold und Güter über die Emirate nach Russland.

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Beschwingt jettete Putin weiter nach Riad, wo ihn Kronprinz Muhammad bin Salman herzlich zum Tête-à-Tête unter Diktatoren willkommen hieß. Lange konnte der viel beschäftigte Kremlchef allerdings nicht bleiben, dann musste er zurück nach Hause, um dort den iranischen Despoten Ebrahim Raisi zu bewirten. Es ist offensichtlich: Der Moskauer Kriegsherr reist, talkt und dealt wie in besten Zeiten, als wäre nichts gewesen. Putin isoliert? Russland auf dem Abstellgleis? Denkste.

Lassen Sie uns an dieser Stelle das Offensichtliche kurz abhaken. Russland zu ächten, hat nicht geklappt. Putins Reisefreude demonstriert, wie der Wind sich dreht. Das ist zynisch und bestürzend, war aber zu erwarten. Gemeinsame Interessen öffnen die Türen: Darin könnte man eine Antwort auf die Frage sehen, warum es dem Westen trotz massivem Druck nicht gelungen ist, Russland international zu isolieren.

Genauso gut könnten wir die Frage aber auch umdrehen: Warum sind die Regierungschefs in Berlin, Paris, London und Washington überhaupt auf die Idee gekommen, dass ihr Plan gelingen könnte? Warum haben Politiker – und wenn wir ehrlich sind, auch viele andere unter uns – die Hoffnung gehegt, den Großteil der Welt auf die Seite der Ukrainer zu ziehen? Die Diskrepanz zwischen Erwartung und Ergebnis legt uns dringend nahe, unsere Annahmen zu hinterfragen. Denn da liegt einiges im Argen.

Wir pflegen die Welt in Kategorien einzuteilen: erstens der Westen, zweitens Russland, drittens China, viertens Sonstige. Diese Sonstigen zeigen uns mittlerweile allerdings, wo der Hammer hängt. Vorbei sind die Zeiten, dass sich der globale Süden als Appendix der Weltgeschichte behandeln lässt. Die meisten Nationen auf Erden finden sich zwischen den Stühlen der konkurrierenden Machtblöcke nicht länger hilflos wieder – vielmehr haben sie sich dort bestens eingerichtet und zu erstaunlicher Kraft gefunden.

Bei jeder Gelegenheit demonstrieren Staaten, die man lange in der B-Liga verortet hat, ihre Stärke und Unabhängigkeit. Ob Habeck oder Lawrow, ob Biden oder Xi, alle werben sie um die Gunst der vermeintlich Kleinen, die ziemlich groß geworden sind: Saudi-Arabien, die Emirate, Indonesien, Indien sowieso. Diese Länder demonstrieren ihre Unabhängigkeit, indem sie die Gesandten der mächtigen Blöcke huldvoll empfangen, dieses zusagen und jenes in Aussicht stellen – nur um im nächsten Moment den Vertretern der Konkurrenz ihr freundliches Lächeln zu schenken.

So rapide vollzieht sich dieser Wandel, dass man aufpassen muss, nicht mit einem veralteten Weltbild im Kopf herumzuspazieren. Wir erleben den Aufstieg einer vierten Macht: der neuen Blockfreien. Die handeln zwar nicht gemeinsam, aber nach einem gemeinsamen Prinzip, das so lautet: Wir suchen unsere Partnerschaften aus wie beim Einkauf im Supermarkt. Nämlich nach Geschmack, von Fall zu Fall, je nach Preis und Angebot.

Der Westen findet unter den neuen Mittelklassemächten keine natürlichen Alliierten, denn der historische Ballast wiegt bleischwer: Kolonialisierung und Bevormundung, imperiales Gehabe und Arroganz rächen sich jetzt. Zum Glück geht der globale Süden den Schmeicheleien der Chinesen und Russen nicht mehr blind auf den Leim, zumindest mehrheitlich. Chinas neue Seidenstraße wird vielerorts mit Misstrauen beäugt, denn man hat seine Erfahrungen gemacht. Und Putins Wagner-Söldner sind manchen Mächtigen zwar zum eigenen Machterhalt willkommen, aber als vertrauenswürdige Botschafter taugen sie nicht.

Das eröffnet Chancen – aber nur den Umtriebigen. Aktives Engagement, schnelle und unbürokratische Initiativen: Damit kann der Westen punkten. Oder könnte punkten, wenn die Chinesen und die Russen nicht so oft schneller wären. Auf die moralische Empörung über irgendeinen russischen Angriffskrieg im fernen Europa zu hoffen, hat die ganze Zeit schon nicht funktioniert, der moralische Druck des Westens hat eher Widerwillen erzeugt. Ukraine-Krise? Das ist euer Problem, gutes Gelingen, kommen wir zum Geschäft! So hört sich das an, wenn ein Teil der Welt, der bisher vorsichtig taktieren musste, den Spieß umdreht.

Wer sich um die Staaten Afrikas und des Nahen Ostens, um Indien, Indonesien und viele andere Länder bemühen will, hat jedenfalls mächtig zu tun. Überall muss man präsent sein, Initiative entwickeln, am Ball bleiben. Berliner Nabelschau ist da nicht drin. Sonst ist der Igel vor dem Hasen da, und wie das ausging, wissen wir. Xi Jinping ist meistens schon angekommen und Putin wieder mächtig im Rennen. Diese Woche konnte man seine Flugroute verfolgen, um zu sehen, wie er uns Haken schlägt.


Ampel blinkt nicht mehr

Der Bundesregierung gelingt es nicht, den Haushalt für 2024 noch in diesem Jahr durch Bundestag und Bundesrat zu bringen. Selbst unter maximalem Druck können sich die drei Ampelchefs nicht zusammenraufen, um den Bürgern zu erklären, wie sie die Lücke von 17 Milliarden Euro zu stopfen gedenken. Das ist mehr als ein Armutszeugnis für Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner. Es ist eine glatte Sechs: beim Regieren durchgefallen. Das ganze Land sieht nun: Diese Regierung wird ihrer wichtigsten Aufgabe nicht gerecht. Ich habe mir erlaubt, die Empörung in meinem Kommentar mit einer Prise Pfeffer zu würzen.

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Zum Schluss

Nichts geht mehr.

Ich wünsche Ihnen trotzdem einen entspannten Freitag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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