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Heikler Besuch bei Olaf Scholz in Berlin: Was planen diese beiden Männer?


Tagesanbruch
Eine erpresserische Freundschaft

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 25.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Kanzler Scholz und Robert Fico, Ministerpräsident der Slowakei: Immer schön diplomatisch bleiben. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt Besuch, den man gern bekommt. Der einem eine schöne Zeit beschert, anregende Gespräche und Erinnerungen liefert, einfach Begegnungen, auf die man gern zurückblickt. Und es gibt Besuch, den man am liebsten ganz schnell wieder vergessen möchte. Das geht wohl nicht nur Ihnen und mir so, sondern auch dem Bundeskanzler.

In die zweite Kategorie fällt wohl der am gestrigen Tag. Da empfing Olaf Scholz den noch relativ frisch wieder ins Amt gewählten slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico. Ein einfacher Besuch dürfte das nicht gewesen sein. Denn erst am Vortag hatte Fico für einen Eklat gesorgt, der für die Einigkeit innerhalb der EU nichts Gutes vermuten ließ.

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Bei seinem Antrittsbesuch in der Ukraine antwortete Fico auf eine Pressefrage: "Glauben Sie wirklich, dass in Kiew Krieg herrscht? Das kann nicht Ihr Ernst sein." Nicht nur war die ukrainische Hauptstadt in der Nacht zuvor von Raketen getroffen worden – Fico selbst reiste für das Treffen lediglich in die kleine Stadt Uschgorod, die genau an der Grenze zur Slowakei liegt. Dass das allerdings etwas mit Sicherheitsbedenken zu tun gehabt habe, stritt er ab.

Nun zählt die Slowakei weder zu den politischen noch wirtschaftlichen Schwergewichten innerhalb der EU. Im Gegenteil. Wer schon einmal die Hauptstadt Bratislava besucht hat, erinnert sich eher an eine gemütliche Altstadt als an eine vibrierende Metropole. Und doch könnte Fico in eine solch mächtige Position gelangen, dass er die EU erpressen könnte. Und das Ringen um ihn hat längst begonnen.

Fico, das kann man guten Gewissens sagen, hat mit der slowakischen Demokratie nichts Gutes im Sinne. Bereits zum vierten Mal ist er nun Ministerpräsident, seine dritte Amtszeit endete 2018 damit, dass er – bildlich gesprochen – vom Hof gejagt wurde. Zuvor waren der Investigativjournalist Ján Kuciak und dessen Verlobte ermordet worden, Kuciak hatte zu Verbindungen der italienischen Mafia bis in slowakische Regierungskreise recherchiert.

Die Recherchen wurden nach Kuciaks Tod öffentlich, setzten die Regierung massiv unter Druck, eine Reihe von Korruptionsverfahren wurden angestoßen und laufen teilweise noch immer. Geht es aber nach Fico, ist damit bald Schluss. Kurz nach Amtsantritt verkündete er seine Pläne für eine umfassende Justizreform, die die zuständige Sonderstaatsanwaltschaft auflöst. An wichtigen Stellen in Polizei und Geheimdiensten platzierte er bereits Vertraute. Mein Kollege Christoph Cöln berichtete kürzlich ausführlich darüber.

Eine Regierung baut die Justiz zu ihren eigenen Vorteilen um: Kommt das Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, bekannt vor? Wenn ja, liegen Sie ganz richtig. Ganz ähnlich gingen auch die polnische PiS-Partei und der ungarische Fidesz vor. "Ungarn und Polen sind eine Blaupause für Fico für den Umbau der Slowakei in ein autoritäres Herrschaftssystem", sagte mir gestern Lars-André Richter, Projektleiter für Mitteleuropa und die baltischen Staaten bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Und Richter berichtete auch, welcher Schritt als Nächstes folgt: der Umbau der Medien. Wie in Polen unter der PiS-Partei plane auch die slowakische Regierung, den öffentlichen Rundfunk aufzuspalten – und in diesem Schritt die Gremien neu, und damit regierungstreu zu besetzen.

Noch kann Fico nicht einfach durchregieren, die Präsidentin Zuzana Čaputová blockiert die ärgsten Schritte. "Sie ist derzeit das verlässlichste Bollwerk gegen einen radikalen Umbau", sagt Richter. Doch sie wankt: Im März stehen die Präsidentschaftswahlen an – und Ficos Wunschkandidat führt in den Umfragen.

Während Polen mittlerweile die PiS-Regierung abgewählt hat und derzeit mühsam versucht, den angerichteten Schaden zu beseitigen, dürfte sich einer besonders über den neuen Partner im Geiste freuen: der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. "Er wird in Budapest sicher gleich mehrere Champagnerflaschen geöffnet haben", sagt Richter und er ist sich sicher: "Er wird Fico weiter protegieren und den Schulterschluss suchen." Denn obwohl Fico von der linken politischen Seite kommt und Orbán rechts steht, teilen sie so einiges. So lehnen sie etwa die Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine ab, betonen, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nur diplomatisch gelöst werden könnte.

Nun ist die Befürchtung groß, dass sich Fico auch in den Erpressungskünsten Orbáns ein Vorbild nehmen und so die Politik von EU und Nato erheblich beeinflussen könnte. Wie das aussieht, das führte Orbán erst vorgestern vor. Nachdem die Türkei nach Monaten der Blockade für einen Nato-Beitritt Schwedens votiert hatte, meldete sich der Autokrat aus Ungarn zu Wort: Nun wolle er Verhandler nach Stockholm schicken, um seine Bedingungen für ein "Ja" zu verhandeln. Der Nato zeigt er damit deutlich: An mir kommt ihr nicht vorbei.

Auch die EU stellt Ungarn vor eine schwierige Aufgabe. Ihr schärfstes Schwert, das sie derzeit nutzt, ist der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, mit dem sie EU-Gelder kürzen oder ganz streichen kann. Gegen Ungarn setzt sie diesen bereits ein, hielt 22 Milliarden Euro zurück. Doch Orbán scheint längst ein Gegenmittel gefunden zu haben: Im Dezember erhielt Ungarn zehn Milliarden von der EU. Offiziell, weil das Land mit einer neuen Justizreform die Unabhängigkeit der Justiz stärke. Kurz darauf allerdings beendete Orbán seine Blockade gegen die EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine. Ein Zufall dürfte das wohl kaum sein.

Auch Fico scheinen solche Methoden nicht unangenehm zu sein. Einen Vorgeschmack lieferte er gestern bei der Pressekonferenz mit Olaf Scholz. Dort sprach der Kanzler als Erstes, betonte die guten Beziehungen zur Slowakei, die es zu vertiefen gelte, mahnte eine gemeinsame EU-Linie im Ukraine-Krieg an. Fico hingegen hielt sich nicht lange mit warmen Worten auf, sondern kam direkt zum Punkt: Er habe Scholz darum gebeten, dass er seinen Vorschlag prüfe, einen slowakischen Staatsbürger von der EU-Sanktionsliste zu streichen. Damit meint er einen slowakischen Geschäftsmann, der enge Verbindungen zu den "Nachtwölfen" unterhält – einer Bikergruppe, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin treu ergeben ist. Der erste Preis für Zugeständnisse für die Ukraine-Politik?

Scholz ging darauf nicht ein. Von einem Journalisten auf die umstrittene Justizreform in der Slowakei angesprochen, antwortete er ausweichend: "Für uns ist immer wichtig, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich an die europäischen Regeln unserer Grundrechtecharta (...) halten und dass Rechtsstaatlichkeit dabei ein zentrales Prinzip ist. Wir müssen unterstellen, dass alle sich daran halten." Mehr diplomatisches Entgegenkommen geht wohl kaum.

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Scholz sowie der EU dürfte bewusst sein, was ihnen mit einer Slowakei droht, die zu nah an Ungarn rückt. Einen weiteren Blockierer à la Orbán kann und will man sich angesichts der angespannten Weltlage nicht leisten. Einigkeit muss her. Und so fasst man Fico derzeit mit Samthandschuhen an, die Justizreform kritisierte Brüssel bislang nur zögerlich. Einbinden, integrieren, und auf das Beste hoffen, scheint die Devise zu lauten.

Derzeit scheint das aufzugehen. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sagte nach seinem Treffen mit Fico, man wolle gemeinsam eine pragmatische Beziehung führen, trotz Meinungsunterschieden. Und doch gibt es mit der Strategie der EU ein Problem: den Nachahmungseffekt. Jetzt nimmt sich die Slowakei ein Beispiel an Ungarn und Polen. Der nächste Trittbrettfahrer könnte bald folgen.


Die Termine

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Zum Schluss

Kommen Sie gut durch den Donnerstag! Morgen schreibt für Sie wieder Florian Harms.

Camilla Kohrs
Stellvertretende Politikchefin
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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