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Moskau: Putin will den Tiergarten-Mörder zurück – kommt Nawalny dafür frei?


"Wall Street-Journal"-Recherche
Putin bringt Deutschland in die Zwickmühle

Von t-online, dm

Aktualisiert am 12.09.2023Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin (l.) und Wadim Krassikow (r.) (Montage): Warum will der Kremlchef unbedingt den Tiergarten-Mörder zurück?Vergrößern des BildesWladimir Putin (l.) und Wadim Krassikow (r.) (Montage): Warum will der Kremlchef unbedingt den Tiergarten-Mörder zurück? (Quelle: Imago/Berliner Polizei/Montage t-online/imago images)
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Moskau will einen Auftragskiller zurück, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Im Gegenzug könnten westliche Journalisten freikommen – oder Kremlgegner Alexej Nawalny.

Ein unmoralisches Angebot, das Deutschland in die Zwickmühle bringen könnte: Russlands Präsident Wladimir Putin will den Tiergarten-Mörder Wadim Krassikow offenbar im Rahmen eines Gefangenenaustauschs mit dem Westen freibekommen. Das berichtet das "Wall Street Journal" (WSJ) unter Berufung auf westliche Regierungsvertreter. Krassikow wurde 2021 wegen Mordes an einem ehemaligen tschetschenischen Kommandeur im Berliner Tiergarten zu lebenslanger Haft verurteilt.

Moskau versucht bereits seit Jahren, den Auftragskiller freizutauschen: Kurz vor dem Urteil des Berliner Gerichts im Dezember 2021 soll Kremlchef Putin seinen Vertrauten Nikolai Patruschew angewiesen haben, einen Gefangenenaustausch auszuloten, schreibt das "WSJ" unter Berufung auf einen ehemaligen europäischen Beamten.

Im Zuge der Verhandlungen über die Freilassung der US-Basketballspielerin Brittney Griner Ende 2022 versuchte es der Kreml erneut: Laut US-Angaben hatten die Russen Griner im Tausch für Krassikow angeboten. Doch die USA winkten ab – schließlich könne man sich nicht einmischen, wenn der Mann in deutscher Haft sitze.

Hohes Interesse am Tiergarten-Mörder

Nun scheint es Putins Clique im Kreml erneut zu versuchen – und könnte diesmal höhere Erfolgschancen haben: Wie das "WSJ" schreibt, spiele der Tiergarten-Mörder Krassikow eine "zentrale Rolle" in den Bemühungen der USA, westliche Gefangene in Russland freizubekommen. Mögliche Kandidaten für einen Gefangenenaustausch sind demnach der ehemalige US-Marineveteran Paul Whelan und der "WSJ"-Journalist Evan Gershkovich, der im März wegen angeblicher Spionage vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB festgenommen worden ist.

Ein hochrangiger westlicher Beamter, der in entsprechenden Verhandlungen mit dem Kreml stehe, sagte dem "WSJ", Putin sei nur an einem Austausch von Krassikow interessiert. Vorstellbar sei demnach ein multilateraler Austausch von russischen Gefangenen in westlichen Ländern gegen westliche Gefangene in Russland – oder gegen inhaftierte Dissidenten wie Alexei Nawalny.

Doch ob Nawalny, der vor Kurzem zu 19 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, tatsächlich freikommen könnte, ist unklar. Bisher hat sich keine westliche Regierung öffentlich zu dem Bemühen bekannt, Nawalny freizutauschen. Anders bei dem US-Journalisten Gershkovich: US-Präsident Joe Biden hatte sich im Juli direkt an die russische Regierung gewandt und einen Gefangenenaustausch gefordert, um Gershkovich zu befreien. "Ich meine es ernst", so Biden damals.

Deutschland in der Zwickmühle

Sollte sich die Recherche des "Wall Street Journal" bewahrheiten, dass der Westen tatsächlich versucht, Nawalny zu befreien, wäre Deutschland in einer Zwickmühle – insbesondere wenn sich der Kreml weiter auf die Freilassung des Tiergarten-Mörders versteift. Der Fall hat in der deutschen Öffentlichkeit für Empörung gesorgt: Krassikow hatte sein Opfer am helllichten Tag erschossen, während Parkbesucher dabei zusahen.

Auch die Bewertung des Berliner Kammergerichts war eindeutig: "Das ist Staatsterrorismus", so der vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung. Das deutsche Gericht sah es als erwiesen an, dass Krassikow im Auftrag des russischen FSB gehandelt habe und für dessen Sondereinheit "Wympel" tätig gewesen sei.

Das heißt: Auch wenn die Überstellung eines verurteilten Mörders rechtlich zwar möglich wäre, politisch wäre sie heikel. "Ein Austausch Krassikows wäre ein Signal an alle Despoten, ungesühnt und nahezu ohne Sanktionen politische Morde in Auftrag zu geben", sagten Nebenklagevertreterinnen des Tiergarten-Prozesses im vergangenen Jahr zu "tagesschau.de".

Auch die westlichen Beamten, mit denen das "WSJ" sprach, räumten ein, dass Gespräche mit Moskau über Krassikow angesichts der Schwere seiner Straftat "sensibel und unvorhersehbar" wären.

Gefangenenaustausch hat Methode

Die russische Seite hat bislang immer betont, Krassikow sei "unschuldig" und das Berliner Urteil "politisch motiviert". So zumindest rechtfertigt der Kreml sein Ersuchen, den Russen freizubekommen. Für den früheren KGB-Agenten Wladimir Putin ist die Heimholung russischer Auftragskiller offenbar schon seit Amtsantritt ein echtes Anliegen: 2004 erwirkte er die Freilassung zweier Russen, die in Katar wegen Mordes an einem tschetschenischen Separatistenführer zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren.

Auch später schaffte es der Kremlchef immer wieder, verurteilte Verbrecher heimzuholen: 2019 kam in einem Gefangenenaustausch mit der Ukraine Wladimir Tsemach frei, der in den Abschuss der MH17 im Jahr 2014 mit 298 Toten verwickelt sein soll. 2022 kam der "Händler des Todes" Viktor But frei, im Austausch für die US-Basketballerin Griner. Hier lesen Sie mehr über den Russen Viktor But.

Dem russischen Investigativjournalisten Andrei Soldatow zufolge sind Gefangenenaustausche eine bewährte Praxis für Putin, um ausländische Staaten zu erpressen. Soldatow nennt die Methode "Gefangenenaustausch im Putin-Stil", die Ende der 90er-Jahre gezielt entwickelt worden sein: Damals hätten tschetschenische Rebellen regelmäßig russische Geiseln genommen, um vom Kreml Lösegeld zu erpressen und so eine konstante Einnahmequelle zu haben.

"Geiselbank" mit westlichen Bürgern

Um das Problem zu lösen, habe der damalige Putin-Vertraute und spätere Gegner Boris Beresowsky eine zynische Strategie entwickelt, so Soldatow in einem Beitrag für das Center for European Policy Analysis im August 2022. Um russische Geiseln zu befreien, müsse der russische Staat einfach selbst mehr tschetschenische Geiseln nehmen, so die Logik. Man habe dies den Aufbau einer "Geiselbank" genannt, so Soldatow, also eines Pools an Geiseln, die bei Gefangenenaustauschen in der Zukunft als Faustpfand eingesetzt werden können.

Soldatow warnt, dass der Westen bereit sein müsse für den nächsten "logischen" Schritt Russlands: Dass der Kreml erneut versuchen werde, eine "Geiselbank" aufzubauen, die diesmal aber nicht aus Tschetschenen bestünde – sondern aus westlichen Bürgern.

Verwendete Quellen
  • wsj.com: "Putin Wants His Hit Man Back" (englisch, kostenpflichtig)
  • cepa.org: "Prisoner Swaps, Putin Style" (englisch)
  • tagesschau.de: "Warum der "Tiergartenmörder" nicht ausgetauscht wird"
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