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Dr. Motte über Loveparade in Berlin: "Ich wünsche Herrn Putin die Erleuchtung"


Comeback steht bevor
Loveparade-Erfinder: "Ich wünsche Herrn Putin die Erleuchtung"

InterviewVon Antje Hildebrandt

Aktualisiert am 07.07.2022Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Demo der Veranstaltungsbranche in Berlin im August 2020: Dr. Motte veranstaltet jetzt wieder eine große Rave-Parade. (Quelle: Ralf Mueller via www.imago-images.de)

Trotz Kriegs in der Ukraine glaubt der Erfinder der Loveparade an die friedensstiftende Kraft des Tanzens. Die Polizei fordert er auf, beide Augen bei Jointrauchern zuzudrücken.

In den 90er-Jahren war sie die größte Veranstaltung für Freunde der Techno-Musik in Deutschland. Dann ging dem Veranstalter das Geld aus, weil die Stadt Berlin das Spektakel aus Kostengründen nicht mehr als Demo genehmigte. Die Loveparade zog um ins Ruhrgebiet, wo es 2010 zu einer Massenpanik kam. An diesem Samstag ist sie zurück in Berlin, wenn auch unter anderem Namen.

Unter dem Motto "Rave the Planet" will ihr Erfinder, Matthias Roeingh alias Dr. Motte wieder die Stadt zum Tanzen bringen. 25.000 Besucher aus der ganzen Welt werden erwartet, unter anderem aus der Ukraine und aus Russland. Im Interview mit t-online erzählt Motte, wie 1989 alles auf dem Ku'damm mit drei Wagen und 150 Leuten begann, wie sich mit den Drogen auch die Musik geändert hat und warum er auch mit 62 Jahren lieber ein Groß-Event plant, statt Golf zu spielen.

t-online: Dr. Motte, der Wetterbericht sagt für Samstag 21 Grad Celsius voraus, Wolken und Wind. Optimales Love-Parade-Wetter?

Dr. Motte: Absolut. Ganz toll. Großartig. Wir haben dann nicht so viele Leute, die durch Hitzschlag oder Dehydrierung umfallen und Hilfe brauchen.

Die Rechte an der Marke "Loveparade" haben Sie längst verkauft. Darf man trotzdem von der Loveparade reden?

Das dürfen alle für sich selbst entscheiden. Wir leben den Spirit ja weiter als "Rave the Planet Parade".

Was verstehen Sie unter Spirit?

Es war ja der Urgedanke, dass wir irgendwann ganz viele Techno-Paraden in allen Ländern haben werden, bis irgendwann alle Menschen auf diesen Paraden tanzen werden und zu der Erkenntnis kommen, dass wir alle Teil derselben Familie sind. Dadurch entsteht Weltfrieden.

Das hat leider nicht ganz funktioniert. Seit Februar herrscht Krieg in der Ukraine. Herr Motte, was ist da schiefgegangen?

Es gibt ja nicht nur diesen Krieg auf dieser Erde. So viele Kriege wie im Moment gab es noch nie.

Tanzen für den Weltfrieden hat offenbar doch nicht geholfen.

Alle Menschen auf dieser Welt kann man nicht erreichen. Aber wir können eine kritische Masse erzeugen, und dafür müssen wir uns regelmäßig treffen. In den 90er Jahren haben zum Beispiel Hunderttausende von Deutschen und Polen durch Techno Frieden geschlossen.

Vor dem Krieg hatten Raves auch in der Ukraine Konjunktur. Es hieß, Kiew sei das neue Berlin. Waren Sie mal da?

Nein, aber es ist schön zu wissen, dass es dort auch Raves gab. Wir haben in Berlin einen Austausch mit Techno-Freunden in der Ukraine, die sind am Wochenende auch mit einem eigenen Wagen dabei. Da werden übrigens auch ein paar russische DJs auflegen. Sie werden demonstrieren: Auch die Menschen in Russland wollen Frieden.

Russlands Präsident Putin war noch nie auf einem Rave. Was könnte er auf so einer Party lernen?

Ich wünsche dem Herrn Putin die Erleuchtung. Das wünsche ich allen, denn daraus entsteht auch Weltfrieden.

Ist Tanzen ein Schritt auf dem Weg zur Erleuchtung?

Auf jeden Fall. Weil man da in Trance fallen und auch mal loslassen kann, wenn man sich wohlfühlt.

Am 1. Juli 1989 haben Sie die erste Loveparade veranstaltet, damals noch im geteilten Berlin, mit drei Wagen und 150 Teilnehmern, bei Nieselregen. Erinnern Sie sich noch?

Das war nicht ich alleine. Meine damalige Freundin, Danielle de Picciotto, und viele Freunde haben das damals gemeinsam umgesetzt. Wenn ich daran denke, habe ich stundenlang Gänsehaut – und alle, die dabei waren, ebenfalls. Wir waren innovativ. Wir haben Acid House auf den Wagen gespielt und dazu getanzt. Das hat vorher noch keiner getan. Es war eine tanzende Demonstration. Eine friedensbildende Maßnahme.

Irgendwo las ich, auf dem Ku'damm hätte das Porzellan in den Schränken gescheppert. Waren die Anwohner genauso begeistert?

Ich erinnere mich nur an positive Reaktionen. Viele haben sich gefreut, dass die jungen Leute tanzen. Nach diesem traurigen Kapitel zwischen 1933 und '45 sandte das ein sehr schönes Bild von Deutschland in die Welt.

Welche Drogen warf man sich damals rein?

Weiß ich nicht, das hat jeder für sich entscheiden. Unsere Gesellschaft steckt voller Drogen. An jeder Ecke gibt es Alkohol oder Nikotin.

Und welche Droge nehmen Sie?

Musik.

Ach, kommen Sie. Das glaubt Ihnen doch keiner.

Bitte keine Vorurteile. Musik ist meine Droge, ich bin da total drin. Ich habe als Jugendlicher Sachen ausprobiert. Die Erfahrung hat mich geheilt.

So schlimm?

Ich hatte Horrortrips davon. Ich hab gesagt: nie wieder. Heute bin ich total für die Legalisierung von Cannabis. Aber 100 Prozent. Mit Eigenanbau und allem, was dazugehört. An dieser Pflanze mit ihren 300 Wirkstoffen ist wirklich nichts Schlechtes.

So spricht der Kenner.

Das Schlimme an Drogen ist der Missbrauch und nicht der aufgeklärte Konsum. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Es herrschen viele Vorurteile aufgrund von Unwissenheit. Menschen werden kriminalisiert. Das finde ich schlimm. Ich möchte die Polizei bitten, bei Leuten, die am Wochenende mit Cannabis erwischt werden, alle Augen zuzudrücken.

Ende der 90er Jahre wollen Sie 1,5 Millionen Besucher bei der Loveparade gezählt haben. Würden Sie sagen, sie war das Woodstock der 90er Jahre?

Ja, die Rave-Kultur hat mit dem ersten Summer of Love 1968 angefangen. 1988 gab es dann den zweiten Summer of Love. Dort ist mithilfe von Ecstasy ein neues Gefühl entstanden. Dadurch hat sich die Musik verändert. Es könnte sein, dass der eine oder andere Hippie neidisch auf uns gewesen ist.

Sie haben beantragt, die Loveparade soll Immaterielles Weltkulturerbe der Unesco werden, ist das nicht ein bisschen übertrieben?

Nein, die Anerkennung als Kulturerbe würde die Förderung der Clubkultur erheblich erleichtern. Wir haben Labels, Vertriebe und Paraden. Das sind nicht nur Vergnügungsstätten, das sind Kulturorte.

Sie können sich als Berliner kaum beklagen. In kaum einer anderen Stadt wird die Clubkultur so stark gefördert wie hier.

Jein. Sie dürfen nicht die Schäden vergessen, die erst durch die Gentrifizierung und dann durch die Pandemie entstanden sind. 80 Prozent der Fachkräfte sind abgewandert, die kommen auch nicht wieder. Die restlichen 20 Prozent sind komplett überfordert. Wir haben echt ein Problem. Da muss ich Herrn Scholz fragen: Warum nimmt man die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr nicht lieber für die Kultur?

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Vielleicht, weil die Verteidigung durch Tanzen noch Lücken hat. Was war denn Ihr schönster Loveparade-Moment?

Die erste Loveparade 1989. Wir haben uns damit praktisch unseren eigenen Feiertag geschaffen.

Und was war Ihr schrecklichster Loveparade-Moment?

Die Massenpanik 2010 in Duisburg, auch wenn ich nicht dort war und auch schon seit November 2005 nicht mehr mit dabei war. Damals stand die Loveparade Berlin GmbH kurz vor der Insolvenz, lange Geschichte. Jemand hatte die Rechte an der Parade gekauft, der nach meiner Auffassung nur wirtschaftliche Interessen hatte. Das ist in einer Katastrophe geendet, mit 21 Toten, 650 Verletzten und Traumatisierten. Viele der Opfer leiden bis heute an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Die wollen nicht mehr daran erinnert werden. Die haben gesagt, wenn ihr wieder eine Loveparade macht, dann mit Dr. Motte und in Berlin.

Am Samstag feiern Sie Ihren 62. Geburtstag. Hat Ihnen Ihr Hausarzt schon geraten, langsam kürzerzutreten?

Ach, wenn man das Leben liebt, spielt das Alter keine Rolle. Im Techno zählt man keine Jahre, sondern beats per minute.

Andere melden sich im Golfclub an. Sie stellen noch mal einen Rave auf die Beine. Warum tun Sie sich diesen Stress an?

Weil ich an etwas glaube. An das Schöne, an die Musik, an die Vielfalt, an das Miteinander. Ich glaube, dass sehr viele Leute kommen werden, die Freudentränen in den Augen haben.

Jetzt aber mal Schluss mit den Sentimentalitäten. Sie klingen fast wie ein Pastor.

Ich versuche nur auszudrücken, was wir fühlen.

Wir bedanken uns für das Gespräch, Dr. Motte.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dr. Motte
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