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WM 2022 in Katar: Diese schrecklichen Zahlen sollten wir nie vergessen


Katars plötzliche Korrektur
Haben Sie das mitbekommen?

MeinungVon Benjamin Zurmühl, Doha

Aktualisiert am 04.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani (l.) neben Fifa-Präsident Infantino: Dem Emir von Katar werden Aussagen des WM-Organisationschefs nicht gefallen haben.Vergrößern des Bildes
Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani (l.) neben Fifa-Präsident Infantino: Dem Emir von Katar werden Aussagen seines WM-Organisationschefs nicht gefallen haben. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Dass für die Baustellen der WM Gastarbeiter in Katar gestorben sind, ist kein Geheimnis mehr. Doch bei der Anzahl gab es in diesen Tagen überraschende Neuigkeiten.

Guten Morgen aus Doha,

sportliche Großevents wie eine Fußball-WM werden auch von der deutschen Politik gerne genutzt, um unbeliebte Entscheidungen zu treffen. Gerade dann, wenn ein großer Teil der Nation nur auf den Sport schaut, sodass der Gegenwind für jene Beschlüsse kleiner ist. Das ist aber kein rein deutsches Phänomen.

Wladimir Putins Regierung verkündete wenige Stunden (!) vor dem Start der WM 2018 in Russland, dass das Renteneintrittsalter für Frauen um acht Jahre erhöht wird, für Männer um fünf. Und die Mehrwertsteuer wurde von 18 auf 20 Prozent angehoben. Gravierende Entscheidungen, die normalerweise wohl zu Demonstrationen mit Millionen Menschen in verschiedenen Städten führen würden. In Russland fiel das Echo vergleichsweise gering aus. In Moskau wurden zwar knapp 100.000 Demonstranten gezählt, doch im Zuge des Erfolgs der russischen Nationalelf ging die Taktik Putins auf. Der Fußball stand im Fokus.

Den gleichen Trick nutzte nun auch Katar in Bezug auf die toten Gastarbeiter. Dachte ich zumindest. Einen Monat vor dem Start der Weltmeisterschaft teilten die Fifa und das Organisationskomitee Katars mit, es seien lediglich drei Personen auf den WM-Baustellen gestorben. Außerdem seien 37 weitere Todesfälle registriert worden, diese Arbeiter seien aber nicht während ihrer Tätigkeit auf den Baustellen gestorben.

Vor wenigen Tagen kamen aus dem Mund von Hassan Al-Thawadi, Chef des WM-Organisationskomitees, dann völlig andere Zahlen. Damit diese Wendung nicht untergeht, will ich heute noch einmal darüber reden. Der britische Journalist Piers Morgan fragte Al-Thawadi in einem Interview, wie viele Menschen für diese WM ums Leben kam. Er sagte: "400 bis 500." Er habe aber die exakte Zahl nicht. "Ein Tod ist einer zu viel", ergänzte Al-Thawadi.

Das Interview des OK-Bosses gefiel der katarischen Regierung offenbar gar nicht. Denn nur wenige Stunden später veröffentlichte sie eine Stellungnahme, die Al-Thawadi korrigierte. Er habe eine andere Zahl gemeint, hieß es darin. Es ginge um die Todesfälle landesweit, und zwar für alle Nationalitäten und Branchen im Zeitraum von 2014 bis 2020. Diese Zahl liege bei 414.

Ich lag also falsch. Es war offenbar keine Taktik Katars, die Zahl erst während der WM zu veröffentlichen, damit sie untergeht. Es war mehr ungewollte Transparenz. Ich glaube nämlich, dass Al-Thawadi schon wusste, was er sagte. Doch Katar versucht weiterhin, die Fälle kleinzureden. "Alle Branchen" in der Mitteilung soll es so aussehen lassen, als sei nur ein kleiner Teil auf den WM-Baustellen gestorben. Dabei machen diese Branchen – damit sind übrigens nicht nur die Stadien, sondern auch die Infrastruktur gemeint – einen großen Teil aus.

Selbst die Zahl von 414 Toten, wenn man ihr überhaupt Glauben schenken mag, ist unvollständig. Die WM wurde 2010 an Katar vergeben. Die Zahl bezieht sich auf einen Zeitraum ab 2014. Dazwischen liegen vier Jahre. Vier Jahre, in denen noch das Kafala-System galt und Schutz vor der Hitze, beispielsweise durch Kühlwesten, fehlte.

Die tatsächliche Zahl wird also höher sein und wir werden sie wohl nie erfahren. Zum einen, weil selbst die 414 nicht ganz zu den Berichten von "Guardian", "New York Times" und Amnesty International passen. Und zum anderen, weil Katar die Untersuchungen von über 70 Prozent aller Todesfälle verhindert hat, sagt Amnesty International.

Die WM ist bereits in der zweiten Halbzeit, Deutschland bereits raus, das Interesse am Turnier sinkt. Doch eine Sache ist wichtig: dass wir diese Zahlen des Schreckens, der toten Gastarbeiter, die für dieses Turnier starben, nie vergessen.

WM-Anekdote

Ich bin zwar erst seit sechs Jahren als Sportjournalist tätig, doch eine Pressekonferenz wie die mit Lionel Messi nach dem Achtelfinalspiel Argentiniens gegen Australien habe ich noch nie erlebt. Bevor der Superstar das Podium betrat, sprachen noch diverse argentinische Journalisten ihre Eindrücke des Spiels in ihre Mikrofone ein oder waren live auf Instagram und Facebook zu sehen.

Als Messi durch die Tür schritt, wurden die Mikrofone zu Megafonen. Sie schrien fast schon seinen Namen. Wer sein Handy zu dem Zeitpunkt noch nicht in der Hand hatte, zückte es hektisch und fotografierte oder filmte den 35-Jährigen. Die zweite Hand schnellte hoch, jeder wollte eine Frage stellen.

Doch nur drei von ihnen bekamen den Zuschlag. Von denen, die leer ausgingen, entschieden sich einige für eine Art Zirkusakt. Sie verdrehten ihre sitzenden Körper so sehr, um irgendwie ein Selfie mit Messi machen zu können. Gelungen ist es aber kaum einem. Genauso wenig wie den Australiern, die "La Pulga" auch nicht einfangen konnten.

Heutige WM-Spiele

16:00 Uhr, Achtelfinale: Frankreich gegen Polen
20:00 Uhr, Achtelfinale: England gegen Senegal

Weitere Hinweise

Wenn heute Abend der Senegal auf dem Platz steht, spielt auch ein Mann mit, der im vergangenen Jahr noch mit Deutschland die U21-EM gewann. Ismail Jakobs von der AS Monaco stammt aus Köln und ist der Sohn einer deutschen Frau und eines senegalesischen Mannes. Vielleicht kann er mit dem Afrikameister für eine echte WM-Überraschung sorgen.

Verwendete Quellen
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