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Die FDP in der Krise: Und was, wenn Christian Lindner geht?


Tagesanbruch
Und wenn er geht?

MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 11.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Als die Einigkeit noch groß war: Christian Lindner (rechts) mit den anderen Spitzen der Ampelkoalition im letzten Dezember.Vergrößern des Bildes
Als die Einigkeit noch groß war: Christian Lindner (rechts) mit den anderen Spitzen der Ampelkoalition im letzten Dezember. (Quelle: dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

kennen Sie schon das Immer-Gewinner-Modell? Es wird in Deutschland seit Jahren praktiziert und funktioniert folgendermaßen: Alle Spitzenpolitiker finden wie durch ein Wunder permanent Belege für den eigenen Erfolg. Rückschläge? Fallen vielen selbst bei schärfstem Nachdenken kaum ein.

In diesen Tagen läuft das wieder so: Bei SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht beispielsweise, die lieber über die Lieferung von Winterkleidung für die ukrainischen Soldaten als über nicht gelieferte Panzer spricht. Oder bei Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich über die neue Gaspreisbremse freut – und nicht so gern von seiner ursprünglich vorgeschlagenen Gasumlage reden will.

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Und bei Landtagswahlen passiert immer Folgendes: Gehen sie gut aus, fühlt sich die Bundesspitze der jeweiligen Partei bestätigt. Laufen die Wahlen dagegen schlecht, tragen natürlich die Parteikollegen in der Ferne die Verantwortung. Immer Gewinner eben, ganz einfach.

Das kann eine Weile gut gehen. Aber selbst der intensivste Immer-Gewinner-Kurs an der Parteispitze stößt an seine Grenzen, wenn sich die Niederlagen bei Landtagswahlen häufen. Gerade trifft es vor allem FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner.

Es begann im März, bei der Landtagswahl im Saarland. Da kamen die Liberalen nicht über die Fünfprozenthürde. Darauf folgte Schleswig-Holstein im Mai mit 5,1 Prozentpunkten Verlust – die Partei erreichte gerade noch 6,1 Prozent. Anschließend Nordrhein-Westfalen: 6,7 Prozentpunkte Verlust, nur noch 5,9 Prozent. Zwei Regierungsbeteiligungen waren damit passé. Und nun, zum Abschluss des Wahljahres, noch die Hiobsbotschaft aus Niedersachsen: Auch dort wird es nichts mit dem Einzug in den Landtag. Vier krachende Niederlagen. In Folge.

Natürlich spielen dabei regionale Einflüsse eine Rolle. Doch die Eindeutigkeit der Ergebnisse zeigt auch: Die Politik der Liberalen verfängt bei ihrem eigenen Publikum nicht. Das Immer-Gewinner-Modell gerät bei den Liberalen gerade ins Stocken. Und dieses liberale Problem wird nun gefährlich für die gesamte Ampelkoalition.

Christian Lindner sagte am Montag mit Blick auf das Ergebnis in Niedersachsen: "Die Verluste von SPD und FDP werden nicht aufgewogen durch die Zugewinne bei den Grünen. Insofern hat nicht die FDP ein Problem, sondern die Ampel insgesamt muss sich der Herausforderung stellen, für ihre Politik mehr Unterstützung in Deutschland zu erreichen." Das war mehr als Rhetorik, es war ein eindeutiger Hinweis, dass sich in der Bundesregierung aus seiner Sicht etwas ändern muss. Noch wankt die Ampelkoalition nicht. Aber allmählich wackelt sie erkennbar.

Sicher ist erst mal: Der Umgang wird härter – noch härter. Schon in den letzten Wochen gingen sich Vizekanzler Habeck und Finanzminister Lindner teilweise heftig an. Diese Streitereien dürften zunehmen. In der FDP ist jetzt oft die Rede davon, dass man die "eigenen Themen" mehr in den Vordergrund rücken müsse. Im Klartext bedeutet das: mehr Attacke, weniger Rücksicht.

Die Partei sollte sich überlegen, ob sie nicht ihr Personalangebot jenseits des Parteichefs sichtbarer machen will. Oft tritt der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr erst dann mit Forderungen an die Öffentlichkeit, wenn sie bereits von seinem Chef Lindner geäußert wurden. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gilt als kluger Taktiker, doch er tritt ebenfalls eher leise auf, anstatt auch mal Schlagzeilen zu produzieren. Mehr Lautstärke wird die Ampel nicht stabilisieren, doch ein geschwächter Koalitionspartner ist auch keine gute Grundlage, um noch drei weitere Jahre zu regieren.

Was der FDP derzeit vor allem fehlt, ist ihre Wahrnehmung über Inhalte. Viele ihrer Wähler wollen, dass die Liberalen verhindern, dass das Land politisch zu sehr nach links rutscht. Doch eine Verhinderer-Partei ist noch kein Wert an sich. Als die Liberalen noch in der Opposition waren, tönten sie gern: Alles müsse schneller und digitaler werden. Und jetzt? Ist die Partei genau wie das Land im Krisenmodus. Das ist verständlich, einerseits. Doch die Reformen bei Digitalisierung und Bildung lassen auf sich warten.

Wenn die FDP die Koalition nicht platzen lassen will, muss sie in den nächsten Monaten gerade bei ihren Kernthemen liefern. Dann wäre sie auch wieder besser wahrnehmbar. Der breite Korridor der politischen Mitte ist durch die Krise schmaler geworden. Trotzdem darf die FDP nicht darin verschwinden. Sonst bleibt ihr eines Tages doch nichts anderes übrig, als die Koalitionsreißleine zu ziehen.

Christian Lindner, der noch 2017 erklärte, es sei besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren, könnte in diesen Tagen an seine eigenen Worte denken. Die FDP, die schon einmal politisch fast tot war, wurde von ihm reanimiert – und erst zurück ins Parlament und dann in die Regierung geführt. Ihm ist es zu verdanken, dass es die Partei noch gibt. Er wird entscheiden, wie lange die Liberalen noch mitregieren. Doch er dürfte sich hüten, seinen bislang größten Triumph zu gefährden. Denn ob die Partei eine zweite Nahtoderfahrung überlebt, ist fraglich.


Was steht an?

Gestern ließ der russische Autokrat Wladimir Putin die Innenstadt Kiews beschießen, Bomben schlugen mitten im Zentrum ein. Heute wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den führenden Industrienationen vermutlich erklären, wie die Lage in der Ukraine ist. Die Beratungen der G7-Staaten beginnen am Dienstagnachmittag deutscher Zeit, Selenskyi soll via Video zugeschaltet werden.

Olaf Scholz könnte heute versuchen, ein bisschen Zukunft zu produzieren. Zumindest lautet so das Motto des "Deutschen Maschinenbaugipfels", der am Dienstag in Berlin beginnt. Maschinen- und Anlagenbauer diskutieren, wie es mit der Branche weitergehen soll. Der Besuch des Kanzlers dürfte kein Zufall sein, sondern ein Signal: Wir vergessen euch nicht, liebe Wirtschaft. Passenderweise schaut morgen dann auch sein Vizekanzler Robert Habeck vorbei.

Die Wirtschaft schwächelt, weltweit. Die Chefin des Weltwährungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa, hat bereits angekündigt, dass sie die Prognose für die Entwicklung der Weltwirtschaft senken will. Heute wird das offiziell verkündet. Für dieses Jahr wird noch mit einem globalen Wachstum von 3,2 Prozent gerechnet, für nächstes Jahr dann nur noch von 2,9 Prozent. Es bleibt zu hoffen, dass die Talfahrt spätestens 2024 endet.

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Das Historische Bild

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Was lesen?

Sie haben gebrütet – und sie haben vorgelegt: Nach 35-stündiger Beratung präsentierte gestern eine Expertenkommission ihren Vorschlag für eine Gaspreisbremse der Bundesregierung. Meine Kollegen Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold schreiben in ihrer Analyse, warum das Instrument trotzdem eine "Gießkannenlösung" darstellt.

Mit dem Vorschlag sollen die meisten Menschen in Deutschland entlastet werden. Was Sie persönlich davon haben könnten, hat meine Kollegin Frederike Holewik hier aufgeschrieben.

Unsere Chefreporterin Miriam Hollstein hat übrigens einen pragmatischen Blick auf die Lage der FDP: "Regierungsverantwortung zu übernehmen, bedeutet immer auch, dass man einen Teil seiner Anhängerschaft enttäuschen wird", schreibt sie in ihrem Kommentar.


Was amüsiert mich?

Immerhin, es gibt vorsichtigen Anlass für Optimismus.


Kommen Sie gut in diesen Dienstag. Morgen schreibt an dieser Stelle unser stellvertretender Chefredakteur Peter Schink für Sie.

Herzliche Grüße

Ihr

Tim Kummert

Tim Kummert
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @TKummert

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Mit Material von dpa.

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