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USA dämpft China im Kampf um Wirtschaftsmacht: Schlägt Jinping zurück?


Tagesanbruch
Schwere Geschütze gegen den Diktator

MeinungVon Florian Harms

26.10.2022Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Chinas Diktator Xi Jinping bekommt immer mehr Gegenwind aus den USA.Vergrößern des Bildes
Chinas Diktator Xi Jinping bekommt immer mehr Gegenwind aus den USA. (Quelle: Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

lassen Sie uns heute einmal ganz anders in den Tag starten als sonst. Natürlich erst mal mit einem Kaffee, klar. Aber dann mit einer ordentlichen Portion Chips.

So jedenfalls fängt der Tag an, wenn man fern im Osten wohnt: In China spielen Chips eine enorme Rolle – allerdings nicht die aus Kartoffeln, sondern Computerchips aus Silizium. Das Riesenreich gibt für Importe von Halbleitern mehr Geld aus als für Erdöl. Je leistungsfähiger die Mikroprozessoren sind, desto größer ist die Abhängigkeit. Präsident Xi Jinping wird ganz nervös, wenn er daran denkt, und pumpt unzählige Milliarden in den Aufbau einer heimischen Industrie. Doch Erfolg hat er damit bisher nicht. Und das hat nun schwerwiegende Folgen.

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Anfang Oktober, während die Welt abgelenkt war und auf die Vorbereitungen des pompösen Parteitags in Peking schaute, hat das amerikanische Amt für Industrie und Sicherheit ein technokratisches Regelwerk veröffentlicht. Das Dokument hat es in sich. In einfacher Sprache zusammengefasst: Die Amis schneiden China den Zugang zu hochkarätiger Chip-Technologie ab. Spitzentechnik aus den USA? Gibt es nicht mehr. Beratung oder Service durch US-Fachkräfte? Verboten. Lieferung von Material, mit dem China seinen technologischen Rückstand überwinden könnte? Ende Gelände.

Das dicke Ende kommt zwar nicht sofort. Mit Ausnahmegenehmigungen kann die US-Behörde den Schmerz vorübergehend feiner dosieren und die eigene Industrie vor dem kalten Entzug chinesischen Geldes bewahren. Trotzdem: Weil amerikanische Technologie mittlerweile fast in allen Halbleiterprodukten steckt, wird es für China nun sehr schwer, an die begehrte Hardware heranzukommen, die für künstliche Intelligenz, Supercomputer und richtungsweisende Forschung unerlässlich ist.

Die Marschrichtung ist eindeutig: Xi Jinpings autoritärem Staat soll die Zukunft verbaut werden. Joe Bidens Regierung hat, wie schon Donald Trumps Chaostruppe zuvor, einen harten Kurs gegen China eingeschlagen und immer wieder Sanktionen verhängt. Bisher waren diese begrenzt – jetzt werden schwere Geschütze aufgefahren. In Washington ist eine Richtungsentscheidung gefallen, und wir können davon ausgehen, dass der Joe die Hightech-Blockade bald auf andere Geschäftsfelder ausdehnt.

Schlägt Xi Jinping zurück? Zwar hat er sich gerade erst als neuer Kaiser bejubeln lassen – bei seinen Entscheidungen bekleckert er sich aber nicht mit Ruhm: Chinas Wirtschaft stottert, denn die ständigen Corona-Lockdowns fordern ihren Tribut. Einen Handelskrieg kann Herr Xi überhaupt nicht gebrauchen. Mit gleicher Münze heimzahlen wird sein Regime die Attacke deshalb wahrscheinlich nicht sofort. Doch die Revanche ist nur eine Frage der Zeit.

Die Folgen könnten schwerwiegend sein. Dass China von Halbleiter-Importen so abhängig ist, galt bisher als Lebensversicherung für das kleine Taiwan nebenan. Der Herrscher in Peking würde sich den demokratischen Inselstaat nur zu gerne einverleiben, aber lästigerweise wird dort der Großteil der Computerchips hergestellt, die sein Reich so dringend braucht – weshalb Taiwan nicht in Feuer und Krieg versinken darf. Nun werden allerdings immer weniger der begehrten Chips nach China verkauft, was die Hemmschwelle für eine Invasion senken könnte.

Die US-Regierung hat soeben eindringlich vor einem baldigen chinesischen Angriff gewarnt, berichtet unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns. Industriekapitäne bekommen für dieses Szenario praktische Vorbereitungstipps zu hören, und spätestens an dieser Stelle sollten wir auch in Deutschland die Ohren spitzen: Der Direktor der US-Cybersicherheitsbehörde legt den Chefs großer Konzerne nahe, sich jetzt konkret auf eine gefährliche Krise einzustellen.

Was folgt daraus? Lieferketten breiter aufstellen, Alternativen zu chinesischen Produkten organisieren: Das ist seit den Engpässen während der Covid-Pandemie eigentlich nichts Neues mehr – aber es ist immer noch viel zu wenig passiert. Es genügt für eine Firma eben nicht, ihre unmittelbaren Zulieferer zu überprüfen. Was bringt es, wenn der Geschäftspartner zwar in Italien produziert, in dessen Turbinen aber ein spezielles Teil doch wieder nur in China zu bekommen ist?

Das ist leider kein konstruiertes Szenario. Hören Sie sich an, was zum Beispiel dieser deutsche Fahrradhersteller zu erzählen hat, der wegen Lieferengpässen bei ein paar Spezialschrauben seine Produktion um ein Viertel reduzieren musste. Und dann überlegen Sie mal, was geschieht, wenn so etwas Herstellern von Autos, Medizintechnik, Kraftwerken widerfährt. Eine krisensichere Aufstellung erfordert tiefe Einblicke, wer was wo mit welchen Zulieferern produziert, die komplette Wertschöpfungskette entlang.

Geht das? Vermutlich ja – mit ein bisschen Druck jedenfalls. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die billigen Klamotten, die wir tragen, werden dank des Lieferkettengesetzes inzwischen einer peniblen Inspektion unterzogen: Keine Kinderarbeit darf drinstecken und auch keine Baumwolle, die von uigurischen Zwangsarbeitern im chinesischen Xinjiang gepflückt wurde. Auflagen, Druck von Menschenrechtsorganisationen und der eine oder andere Shitstorm haben dafür gesorgt, dass sich Hersteller nicht mehr damit herausreden können, über die Herkunft ihrer Waren leider kaum etwas zu wissen.

Was bei der Durchsetzung elementarer Menschenrechte geht, kann auch an anderer Stelle funktionieren. Die Totalabschottung von China ist kein realistisches Ziel, die Risikominimierung jedoch schon. Deutsche Mittelständler können ihre Spezialschräubchen ja auch künftig gern aus China importieren, wenn das gut und günstig ist. Aber eben nicht mehr ohne Alternative: Ein zweiter Zulieferer, der das gleiche Teil anderswo herstellt, sollte dringend ebenfalls ins Portfolio gehören. Denn wenn es in der Straße von Taiwan erst mal so richtig kracht, ist ansonsten in der deutschen Wirtschaft ganz schnell der Ofen aus. Ob der Kanzler das bedenkt, wenn er nächste Woche zum Kaiser nach Peking fliegt?


China kommt, Hamburg kuscht

So richtig scheint man das Problem mit China hierzulande noch nicht verstanden zu haben: Die Ampelparteien wollen es dem chinesischen Staatskonzern Cosco offenbar tatsächlich gestatten, sich im Hamburger Hafen einzukaufen. Statt der bislang vorgesehenen 35 Prozent soll Cosco "nur" 24,9 Prozent am Containerterminal Tollerort übernehmen dürfen. "Eine Teiluntersagung ist eine Notlösung, die den Schaden begrenzt", hieß es aus Regierungskreisen gestern Abend.

Kleinlaut fügte man hinzu: "Nach wie vor gilt, dass eine Volluntersagung aus unserer Sicht der richtige Schritt gewesen wäre, um unsere Infrastruktur zu schützen." Doch damit konnten sich Robert Habeck, Annalena Baerbock und weitere Bundesminister nicht gegen den Hamburger Ex-Bürgermeister Olaf Scholz durchsetzen, dem die Hafenwirtschaft wichtiger ist als die Unabhängigkeit.

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Und was geschieht, falls die Chinesen tatsächlich Putin nachahmen und Taiwan angreifen? Dann ist man in Deutschland eben wieder mal völlig überrascht, stopft Hunderte Milliarden in Hilfsprogramme und badet die Konsequenzen aus.


Krisenvesper im Élysée

Zuletzt waren vor allem Zeichen der Entfremdung zwischen Paris und Berlin zu beobachten: Deutschland dürfe sich nicht "isolieren", mahnte der französische Präsident Emmanuel Macron auf dem jüngsten EU-Gipfel angesichts der deutschen Vorbehalte gegen einen europäischen Gaspreisdeckel. Der im nationalen Alleingang beschlossene 200-Milliarden-Euro-"Doppelwumms" des Kanzlers kam im Nachbarland ebenfalls nicht gut an. Eine für diese Woche geplante gemeinsame Kabinettssitzung beider Regierungen wurde verschoben. "Europas Führungsduo außer Betrieb", fassten die Kollegen die "Süddeutschen Zeitung" die Lage zusammen.

Wenn Olaf Scholz heute zum Krisenlunch im Élysée-Palast eintrifft, gibt es also viel zu besprechen. Das betrifft auch die Verteidigungspolitik, in der Macron sich schon seit Jahren um einen gemeinsamen europäischen Ansatz bemüht – was den Kanzler nicht davon abhielt, wiederum im Alleingang 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu stecken. Während Scholz Allianzen für einen gemeinsamen europäischen Raketenschild ohne Frankreich schmiedet, kommen deutsch-französische Projekte wie ein Kampfflugzeug und ein Kampfpanzer kaum vom Fleck. Als ich den Kanzler vor einigen Wochen fragte, warum er sich nicht stärker für eine europäische Armee einsetzt, meinte er übrigens, dass die EU-Partner kein gesteigertes Interesse daran hätten.


Vertrödelter Klimaschutz

In anderthalb Wochen beginnt die Weltklimakonferenz in Ägypten. Heute stellen die Vereinten Nationen ihren Bericht zu den bisherigen Plänen der Staaten vor. Er dürfte ebenso ernüchternd ausfallen wie der letzte Report aus dem vergangenen Herbst: Die Nationen müssten "ihre Klimaanstrengungen dringend verdoppeln", wenn sie einen globalen Temperaturanstieg über 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts verhindern wollen, hieß es damals. Um das Ziel zu erreichen, müssten bis Ende dieses Jahrzehnts die Treibhausgasemissionen um 45 Prozent im Vergleich zu 2010 sinken. Stand jetzt wird der Ausstoß 2030 sogar um rund 16 Prozent höher sein als 2010. Wir rennen sehenden Auges in die größte Katastrophe seit Menschengedenken hinein.


Was lesen?

Die Schuldenbremse führt dazu, dass jede Krise gewaltiger erscheint als ihre Vorgängerin. Das hat Folgen für uns alle, schreibt meine Kollegin Ursula Weidenfeld.


Tierschützer haben schockierende Aufnahmen aus einem Geflügelstall veröffentlicht. Wer den Text unseres Korrespondenten Patrick Schiller liest, wird künftig nicht mehr bei Lidl einkaufen.

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Im Dezember bekommen auch Rentner die Energiepreispauschale. Doch die Sache hat einen Haken, berichtet meine Kollegin Christine Holthoff.


Was amüsiert mich?

Manchmal ist so ein Technikversagen ja gar nicht verkehrt.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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