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Sudan: Putins Söldner mit dem Finger am Abzug der Kalaschnikow


Tagesanbruch
Die nächste Großkrise

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 20.04.2023Lesedauer: 7 Min.
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Kämpfe im SudanVergrößern des Bildes
Rauch steigt aus einem zentralen Viertel von Khartum auf. (Quelle: Marwan Ali/AP/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

aus der Ferne scheinen selbst große Dinge klein. Die Detonationen donnern in der Ukraine, der Krieg fordert verheerend viele Opfer. Der Kampf gegen Putins Aggression stellt alle anderen bewaffneten Konflikte rund um den Globus in den Schatten. Denkt man sich jedenfalls so. Aber es stimmt nicht. Der blutigste Konflikt des vergangenen Jahres wurde nicht um Kiew, Cherson und den Donbass geführt. Sondern in Äthiopien.

Ach so? Selbst gut informierte Menschen, zu denen man als Journalist ja auch gehören sollte, müssen da kurz nachdenken. Das ist verständlich. Der Krieg in Ostafrika war aus unserer europazentrierten Perspektive einfach sehr weit weg. Da schrumpfen Bedeutung und Gewicht. So können schon mal die Größenordnungen durcheinandergeraten.

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In Äthiopien gibt es mittlerweile immerhin einen brüchigen Frieden, sodass wir uns anderen Konflikten zuwenden können. Das müssen wir auch, denn die heimtückische Schrumpfung ferner Konflikte hat unvermindert Konjunktur. In diesen Tagen kann man in einem anderen fernen Land Bomben explodieren und Artillerie feuern hören. Brandneue und brandgefährliche Kämpfe haben begonnen, und wieder erfüllen sie alle Voraussetzungen, um von uns Europäern mit einem gelangweilten Gähnen abgetan zu werden. Undurchsichtige Lage, viele Akteure, wahnsinnig weit weg und in einem Land, mit dem die wenigsten von uns etwas verbinden: Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für nachhaltige Aufmerksamkeit.

Doch feine Linien führen aus der Fremde zurück in unseren Teil der Welt. Unter der heißen Sonne des Kampfgebiets, wo zwei verfeindete Lager zum Showdown um die Macht antreten, sehen wir üble, uns aber wohlbekannte Typen: Putins Söldnertruppe Wagner treibt sich zum Beispiel dort herum. Deren Männer ziehen an Strippen, schmieden Allianzen und halten die Finger stets am Abzug ihrer Kalaschnikows, damit der Reichtum aus den üppigen Goldvorkommen des Krisenstaates seinen Weg in Putins Kriegskasse findet. Ein strategisch wichtiger Marinestützpunkt soll für die Russen ebenfalls herausspringen – jedenfalls dann, wenn sie in den heftigen Kämpfen, die jetzt ausgebrochen sind, nicht auf das falsche Pferd setzen. Wahrscheinlich halten deshalb selbst die Wagner-Milizionäre erst mal still. Nicht einmal sie blicken so richtig durch, was als Nächstes im Sudan passiert.

An der Oberfläche erscheint die Sache einfach: Zwei mörderische Machtmenschen haben als Verbündete wider Willen bisher nebeneinander am Kabinettstisch der Militärregierung in Khartum gesessen. Das Misstrauen und die Spannungen zwischen ihnen wurden schließlich zu groß. Jetzt fechten die beiden – und die ebenso mörderischen Organisationen hinter ihnen – ein für alle Mal aus, wer das Sagen hat.

Stellen wir die Kontrahenten kurz vor: Die eine machthungrige Clique ist die sudanesische Armee mit dem Oberkommandierenden General al-Burhan an der Spitze. Ihr Gegner ist eine zweite Armee, die sich nur offiziell nicht so nennt: die berüchtigten "schnellen Unterstützungskräfte" oder RSF ("Rapid Support Forces"), eine paramilitärische Truppe mit 100.000 Kämpfern unter Führung eines Schlächters mit dem Kampfnamen Hemedti. Dessen Truppe ist aus einer Reitermiliz hervorgegangen, die im Auftrag des damaligen Diktators in der Unruheprovinz Darfur Aufständische und Zivilisten ermordete. Der Genozid in Darfur löste weltweit Entsetzen aus. Die Truppe war dort für Vergewaltigungen und Massaker verantwortlich, während die reguläre Armee sich anderen Unterdrückungsaufgaben im Sudan zuwandte. Das ist lange her. Der Diktator ist längst weg vom Fenster. Die Demokratiebewegung, die ihn gestürzt hat, leider auch. Die willigen Vollstrecker des Diktators von einst sind jetzt selbst die Herren. Und sie gehen sich gegenseitig an die Gurgel, weil es sich lohnt.

Als gewöhnliche Zuschauer in Europa mag es uns schwerfallen, für den verwickelten Konflikt im Sudan genügend Interesse aufzubringen. Mächtige Akteure im Hintergrund gleichen das doppelt und dreifach für uns aus: Nicht nur die Russen, auch die Militärdiktatur in Ägypten, die diktatorischen Scheichs in Saudi-Arabien und die nicht minder diktatorischen Vereinigten Arabischen Emirate spinnen im Sudan ihre Netze. Die Oberdiktatoren aus China sind ebenfalls schon lange vertreten. Es geht nicht nur um Gold und Öl. Die Söldner der RSF haben für die reichen Geberländer von der arabischen Halbinsel auch anderswo die Drecksarbeit gemacht: Im Bürgerkrieg im Jemen waren sie für die Saudis und Emiratis im Einsatz, auch in Libyen waren sie am Werk.

Man kann sich die waffenstarrende Elite im Sudan, die nun aufeinander losgeht, am besten als zwei mafiöse Clans vorstellen. Ihre schamlose Selbstbereicherung hat Tradition: Als der vorige Diktator gestürzt wurde, fand man bei ihm zu Hause Säcke voller Geld im Wert von mehr als 100 Millionen Euro. Seine Nachfolger ticken genauso. Die meisten Menschen im Land sind arm, aber die Taschen der Militärs sind prall gefüllt. RSF-Chef Hemedti hat sich eine Goldmine nach der nächsten unter den Nagel gerissen und mit Riesensummen in der Tasche seine Geschäfte in alle Richtungen expandiert. Auch der Menschenhandel mit Flüchtlingen gehört dazu. Am Tag vor dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde Hemedti noch schnell in Moskau bei Präsident Putin vorstellig. Er gilt als Geschäftspartner der Wagner-Söldner bei deren Goldschmuggel aus dem Sudan.

Man wusste also, welche abstoßenden Typen im Sudan ihr grausames Spiel betreiben. Trotzdem haben der plötzliche Ausbruch der Kämpfe und das Tempo, in dem sie sich über das ganze Land ausgebreitet haben, selbst abgebrühte Beobachter erschreckt. Die Brutalität, zu der die schwerbewaffneten Feinde fähig sind, ist in der leidvollen Geschichte des Sudan leider nur zu gut belegt. Der Versuch, eine Feuerpause zustande zu bekommen, um wenigstens die dringendste humanitäre Hilfe zu leisten, hat überhaupt nichts bewirkt. Eine Operation der Bundeswehr, um deutsche Staatsbürger zu evakuieren, ist aufgrund der unkontrollierbaren Lage gestern ebenfalls gescheitert. US-Diplomaten kamen unter Beschuss, auch der Botschafter der EU wurde attackiert, mehrere Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden getötet.

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Die Zahl der zivilen Opfer steigt stündlich. Milizionäre rauben Menschen in deren Häusern aus, Soldaten plündern, Krankenhäuser werden angegriffen, die Berichte über Vergewaltigungen nehmen zu. Bekommt man die Gewalt nicht schnell in den Griff, kann sie die ganze Region erschüttern. Mehr als 45 Millionen Menschen leben im Sudan. Falls sie ihr Heil in der Flucht suchen müssen, sind es nicht mehr nur feine Linien, die vom Konflikt in der Ferne zu uns nach Europa führen. Dann ist es ein dicker Pfeil.

Gibt es Hoffnung? Kurzfristig leider nicht viel. Gerät der Showdown um Macht, Gold und Geld vollständig außer Kontrolle oder mündet in einen Dauerkonflikt, stört er allerdings die Geschäfte der mächtigen Strippenzieher, die sich am Sudan bereichern. Bei den Russen, Emiratis, Saudis oder Ägyptern dürfen wir auf moralische Skrupel zwar nicht hoffen – aber darauf, dass anhaltende Kämpfe um die Goldgrube ihnen nicht in den Kram passen. Gier ist keine Tugend. Aber hoffentlich erweist sie sich diesmal wenigstens als zweckdienlich.


Bayern-Bosse im Feuer

Heute Morgen wird in Fußballdeutschland eine Bilanzrechnung aufgemacht: Als Julian Nagelsmann den FC Bayern trainierte, spielte die Mannschaft um die Deutsche Meisterschaft, in der Champions League und um den DFB-Pokal. Dann setzten die Münchner Bosse Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić den Julian vor die Tür und verpflichteten für bis zu zwölf Millionen Euro pro Jahr den neuen Coach Thomas Tuchel. Kaum hat dessen Amtszeit begonnen, fliegen die Bayern erst aus dem DFB-Pokal – und gestern Abend auch noch aus der Champions League: 1:1 zu Hause nach einem müden Kick gegen Manchester City.

Wie der Fehler in dieser Rechnung heißt, erkennt jeder Bolzplatzstepke: nicht Tuchel, sondern Kahn und Salihamidžić. "Den besten Bayern-Kader" aller Zeiten hätten sie zusammengekauft, rühmten sie sich im vergangenen Sommer. Zugleich ist es der teuerste. Offenkundig haben sie vor lauter Geld ausgeben jedoch das Wichtigste vergessen: den Verein und das Team zu einer schlagkräftigen Truppe zusammenzuschweißen.


Ohrenschmaus

Welcher Song richtet Sportfreunde nach der Enttäuschung gestern Abend wieder auf? Na, dieser!


Scholz in Bedrängnis

Der Cum-Ex-Steuerskandal um die Hamburger Warburg-Bank wird immer unangenehmer für den Kanzler. In der Hansestadt befasst sich seit zweieinhalb Jahren ein Untersuchungsausschuss mit den Fragen, warum die dortige Finanzverwaltung dem Geldhaus 2016 zunächst Steuerschulden in Höhe von 47 Millionen Euro erlassen wollte, im Jahr darauf eine weitere Rückzahlung über 43 Millionen Euro erst nach einer Intervention des Bundesfinanzministeriums einforderte – und welche Rolle der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz dabei spielte. Der räumt zwar Treffen mit dem Warburg-Chef Christian Olearius ein, will sich an die Termine aber nicht konkret erinnern können und bestreitet jede Einflussnahme.

Heute kommt ein weiterer Untersuchungsausschuss hinzu, und zwar im Bundestag: Die Unionsfraktion will ihn einsetzen, und weil dem Antrag nur 25 Prozent der Mitglieder des Parlaments zustimmen müssen, kann sie das aus eigener Kraft tun. Während die SPD in dem Vorhaben ein politisch motiviertes Manöver sieht, reklamieren CDU und CSU weiterhin "erheblichen Aufklärungsbedarf" und äußern Zweifel an Scholz’ Gedächtnislücken. So oder so ist die Sache unangenehm für den Kanzler, weil sie das Thema am Kochen hält.


Das Historische Bild

"Great Eastern" lautet der Name dieses Schiffs, dem wir eine der größten Errungenschaften des 19. Jahrhunderts zu verdanken haben. Mehr hier.


Lesetipps





Zum Schluss

Apropos Ernährung: Kürzlich war ich auf einem Biobauernhof und fragte die anwesenden Vierbeiner, was sie von Fleischessern wie mir halten. Ihre Antwort war eindeutig.

Ich wünsche allen Zwei- und Vierbeinern einen gesunden Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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