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Ex-Politikchef der "Bild": "Döpfner hat wohl den falschen Leuten vertraut"


Ex-Politikchef der "Bild"
"Kein Minister würde solche Nachrichten verschicken"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 19.04.2023Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Mathias Döpfner: "Möglicherweise war Döpfner etwas naiv. Das fällt ihm jetzt auf die Füße", meint Georg Streiter über den Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)

Georg Streiter war jahrelang Politikchef der "Bild"-Zeitung – und kritisiert heute offen viele Zustände bei seinem ehemaligen Arbeitgeber. Wie blickt er auf die jüngsten Entwicklungen bei Axel Springer?

Es gab wohl schon mal ruhigere Zeiten bei Axel Springer: Erst in der vergangenen Woche machte die Wochenzeitung "Die Zeit" interne Chat- und SMS-Nachrichten von Konzernchef Mathias Döpfner öffentlich. Das Blatt zitierte etwa Nachrichten, in denen sich Döpfner unter anderem abfällig über Ostdeutsche oder Muslime äußerte. Es war ein weiteres Beben, nachdem in den vergangenen Jahren gleich mehrfach der Chefredakteur bei der großen "Bild"-Zeitung ausgetauscht worden war. Heute blicken viele gespannt auf das neue Buch von Autor Benjamin von Stuckrad-Barre: Es wird vermutet, dass die fiktive Geschichte ein Schlüsselroman ist, der die Vorkommnisse der vergangenen Jahre bei Springer aufarbeitet.

Georg Streiter kennt das Innenleben von Axel Springer gut: Viele Jahre war er unter anderem Politikchef bei der "Bild"-Zeitung. Auch heute noch schreibt er auf seiner eigenen Website regelmäßig über die Situation bei dem Konzern und die deutsche Medienlandschaft. Im Gespräch mit t-online spricht Streiter darüber, wie es zu seiner Zeit in dem Unternehmen zuging, wie mächtig die "Bild"-Zeitung aus seiner Sicht heute noch ist und warum er sich nicht scheut, seinen alten Arbeitgeber zu kritisieren.

t-online: Herr Streiter, Sie kennen das Unternehmen Axel Springer aus Ihrer Zeit bei der "Bild"-Zeitung gut. Können Sie sich an eine Phase erinnern, in der es ähnlich turbulent zuging wie zuletzt?

Georg Streiter: Es gab bei Springer mal eine Zeit, in der der Medienunternehmer Leo Kirch die Macht an sich reißen wollte. "Bild" hatte ihn damals zum Feind erklärt. Das war auch eine spektakuläre Auseinandersetzung, ist aber schon lange her.

Bei Kirch ging es allerdings um jemanden von außen. Die aktuelle Affäre betrifft das Innenleben des Konzerns.

Da wird gerade eine zerrüttete Liebe aufgearbeitet.

Zwischen wem?

Zwischen Vorstandschef Mathias Döpfner und Julian Reichelt. So wirkt es zumindest auf mich. Beide waren Brüder im Geiste und sind journalistisch im Gleichschritt marschiert. Aber diese Freundschaft, die auf gemeinsamem Größenwahn basierte, ist zerbrochen. In gewisser Weise geht es in dieser Krise auch um das Ende von falschen Freundschaften. Möglicherweise war Döpfner etwas naiv. Das fällt ihm jetzt auf die Füße.

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(Quelle: Thomas Imo/photothek.net/imago images)

Zur Person

Georg Streiter (67) war viele Jahre als Journalist für verschiedene Medien bei Axel Springer tätig. Ab 1979 arbeitete er für die "Bild"-Zeitung in Köln, ab 1994 war er bei der "Bild am Sonntag". Dazwischen lagen auch Stationen beim Kölner "Express", bei der "Hamburger Morgenpost" und beim "Stern". Zwischen 2005 und 2010 leitete er bei "Bild" das Politikressort. Danach war er unter anderem sechseinhalb Jahre stellvertretender Regierungssprecher unter Angela Merkel.

Wie meinen Sie das?

Solche Nachrichten von Döpfner, wie sie in der "Zeit" erschienen sind, kann man vielleicht aussprechen. Aber auf keinen Fall hätte er das aufschreiben und verschicken dürfen. Denn wir sehen ja gerade, wie sich dieser Skandal verselbstständigt. Keine Bundeskanzlerin, kein Bundeskanzler, kein Minister würde solche Nachrichten verschicken. Wenn ich Chef eines großen Konzerns bin, ist eben nichts privat. Döpfner hat wohl den falschen Leuten vertraut.

Was hätten Sie zu Ihrer Zeit bei "Bild" mit vergleichbaren Nachrichten eines Konzernchefs gemacht, wenn Sie Ihnen zugespielt worden wären?

Die hätten wir natürlich auch veröffentlicht. Döpfner hat genau das erlebt, womit "Bild" seit Jahrzehnten seine Geschichten macht: Wenn Promis irgendwelche peinlichen Nachrichten verschicken, freut sich die Redaktion, wenn ihnen so was in die Hände fällt. Davon lebt "Bild".

In diesen Chatnachrichten äußerte sich Döpfner unter anderem verächtlich gegenüber Ostdeutschen, Muslimen oder lobte den Klimawandel. Für einige Aussagen hat er sich entschuldigt. Allerdings nicht dafür, dass er versucht hat, die FDP im vergangenen Bundestagswahlkampf zu pushen. Gab es ähnliche Fälle während Ihrer Zeit als Politikchef?

So konkret und plump wurde das selten gemacht. Aber weder "Bild" noch eine andere Zeitung ist eine demokratisch organisierte Institution. Mathias Döpfner ist der Boss. Er kann selbstverständlich versuchen, Einfluss auf seine Medien zu nehmen. Es ist dann eine Frage des Rückgrats der Chefredakteurinnen und -redakteure, ob sie dem folgen oder nicht.

Gebracht haben seine Wünsche jedenfalls wenig: Die FDP erreichte nicht die von Döpfner erhoffte Stimmenzahl von 16 Prozent, so wie es in dem Bericht zu lesen war. Wie mächtig sind "Bild" und der Boulevard noch in der heutigen Zeit?

Die politische Macht von "Bild" ist schon lange geschrumpft. Ich kann mich etwa erinnern, wie wir damals Bundestagsabgeordnete dazu aufgerufen haben, gewissen Gesetzen nicht zuzustimmen. Vor 30 Jahren hätten vielleicht noch die Parlamentarier davor gezittert. Aber diese Zeiten sind schon lange vorbei. In dem Moment, in dem Journalisten Macht verspüren und diese einsetzen wollen, haben sie verloren und geraten auf die schiefe Bahn. Das ist übrigens nicht nur bei "Bild" so.

Weiß das auch die Redaktion?

Die Redaktion weiß das, aber die Chefs wollten es lange nicht wahrhaben. Mir tun viele Mitarbeiter leid. Ich gehöre nicht zu denen, die die Existenz von "Bild" als einen Skandal begreifen. Für mich hat dieses Medium seine Berechtigung. Doch das Machtgehabe vieler Entscheider schadet den Kolleginnen und Kollegen, die dort hart arbeiten. Hoffnung macht mir allerdings, dass sich Mathias Döpfner offenbar gar nicht mehr wirklich für den deutschen Markt interessiert. Er schaut immer mehr nach Amerika. Man kann den deutschen Mitarbeitern nur wünschen, dass er Richtung USA entschwindet und dort ganz wichtig wird.

In den USA kamen durch die "New York Times" allerdings viele der Vorwürfe des Machtmissbrauchs von Julian Reichelt gegenüber Frauen auf. Seit Montag befasst sich auch ein ganzer Podcast mit diesen Vorwürfen. Wie war der Umgang mit Frauen während Ihrer Zeit bei "Bild"?

Natürlich war "Bild" nie ein Hort der Tugend. Aber mir ist aus meiner Zeit in der Redaktion kein Fall in Erinnerung, in dem systematisch ein Machtgefälle so ausgenutzt wurde. Dadurch wird alles Private plötzlich beruflich. So was vergiftet das Klima.

Sie kritisieren offen Axel Springer. Das trauen sich nicht viele ehemalige oder noch aktive Mitarbeiter. Häufig ist von Angst die Rede. Woran liegt das?

Ich nehme das auch wahr. In dem Unternehmen habe ich immer noch viele gute Bekannte. Andere werfen mir dagegen vor, ich sei ein "Kameradenschwein". "Bild" ist qua Definition eine Krawallzeitung, aber auch für den Krawall müssen klare Regeln gelten. Ich bekämpfe nicht die "Bild"-Zeitung. Ich versuche zu bekämpfen, was dort schiefläuft. Freundschaft muss auch Unangenehmes aushalten.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Georg Streiter
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