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Tempolimit auf der Autobahn: Es gibt kein Menschenrecht auf Raserei


Tagesanbruch
Eine krasse Pflichtverletzung

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 19.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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Für ein Tempolimit auf Autobahnen gibt es eine gesellschaftliche Mehrheit. (Quelle: imago-images-bilder)

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Und dann zu schöneren Dingen. Urlaub nämlich. Wobei man sich da mittlerweile auch nicht mehr sicher sein kann und genau überlegen muss, wo man die schönsten Tage des Jahres verbringt. Gluthitze in Griechenland und Spanien, Wassernotstand in Italien, Waldbrände in Kanada, Überschwemmungen, Dürren und Stürme an vielen Traumzielen: Der Klimawandel macht das Reisen zum Wagnis. "Die Situation verändert sich dramatisch", sagt der Tourismusprofessor Stefan Gössling, dessen Beruf es wirklich gibt, im Interview mit meiner Kollegin Sandra Simonsen.

Je dramatischer und größer das Problem, desto eher neigen wir Menschen zum Igel-Reflex: Wir fahren die Stacheln aus und verkriechen uns unter dem nächsten Busch. Ja, ja, ich weiß, dass es schlimm ist, und ja, ja, wir sollten schnell handeln, aber bitte nicht in meinem Vorgarten! So kommt es, dass man den Mund hält, wenn Freunde und Bekannte erzählen, dass sie mit der gesamten Familie nach Thailand, Florida oder auf die Kanaren jetten. Oder dass man sich zwar vehement für mehr Klimaschutz ausspricht, aber den eigenen CO2-Fußabdruck geflissentlich verschweigt. Weil die Klimakrise übermenschliche Dimensionen angenommen hat, erscheint sie nicht mehr beherrschbar: Warum soll ich mein Leben ändern, wenn es eh nix bringt?

Der Punkt ist: Die Krise ist sehr menschlich. Und sie ist lösbar – zumindest insoweit, als wir die schlimmsten Auswüchse noch verhindern können. So funktioniert die Logik der Kipppunkte: Ist einer überschritten, gibt es kein Zurück – aber vorher zählt jedes einzelne Gramm Kohlenstoffdioxid, das weniger in die Atmosphäre entweicht. Wenn die Mehrzahl der Menschen das verinnerlicht und an Lösungen mitwirkt, bekommen wir das Problem in den Griff.

Deutschland hat dabei eine besondere Verantwortung. Weil es wie auch andere Industrieländer eine historische Emissionsschuld abträgt. Und weil es als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt die Möglichkeiten hat, klimaneutrale Technologien zur Marktreife zu bringen und deren massenhaften Einsatz zu fördern – hierzulande, aber auch rund um den Globus.

All das sollte man wissen, wenn man die neuen Statistiken des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung betrachtet. Denn die sind leider ernüchternd: Die Energieziele der Bundesregierung liegen demnach in weiter Ferne. Zwar erreicht der Windkraftausbau an Land schon 51 Prozent des Ziels für das Jahr 2030. Bei der Windkraft auf See sind jedoch gerade einmal 28 Prozent erreicht. Bei der Elektromobilität sieht es noch düsterer aus: Von den angepeilten 15 Millionen Elektroautos sind erst 1,2 Millionen zugelassen, und E-Tankstellen sucht man vielerorts noch vergeblich. Das Fazit der Experten: Beim derzeitigen Ausbautempo werden die Ziele bis 2030 nie und nimmer erreicht.

In vielen anderen Ländern sieht es ähnlich aus. So entsteht eine globale Vertrödelungskette, die unweigerlich die nächsten Kipppunkte auslöst: Wälder sterben, die Eiskappen an den Polen schmelzen, der Golfstrom versiegt, der Permafrostboden in Sibirien taut auf.

Diese Woche markiert dabei eine wichtige Zäsur: Bis zum 17. Juli hätten die Bundesministerien ihre Klimaschutz-Sofortprogramme für die Sektoren Verkehr und Gebäude vorlegen müssen. Doch FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, SPD-Bauministerin Klara Geywitz und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen ignorieren die gesetzliche Frist. Das kann man entweder mit der üblichen politischen Taktiererei erklären. Oder man prangert es als krasse Pflichtverletzung an. Umso mehr, als es für Windräder in der Nähe von Wohngebieten und ein Tempolimit auf Autobahnen mittlerweile eine gesellschaftliche Mehrheit gibt. "Unbeliebt ist nicht der Klimaschutz, sondern eine Bundesregierung, die sich, wie zuletzt beim Heizungsgesetz, in Klientel- und Identitätspolitik verrennt", schreibt meine Kollegin Sonja Eichert. "Die politisch Verantwortlichen sollten endlich Ernst machen mit echtem Klimaschutz: Die Waldbrände, Überflutungen und gebrochenen Hitzerekorde bieten zynischerweise eine günstige Gelegenheit für die Regierung, um endlich wirksame politische Maßnahmen umzusetzen. Viele Menschen werden sich wohl in diesem Sommer klarmachen, was uns künftig blüht."

Ich möchte zweierlei ergänzen: Zwar geben die Ampelkoalitionäre nach den trägen Merkel-Jahren nicht genug Gas, aber sie legen die Hände auch nicht in den Schoß. So ist beispielsweise die Solarstromproduktion in Deutschland in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Außerdem werden wir das Kippen des Klimas nicht verhindern, wenn wir nur darauf warten, dass "die da oben" endlich mal in die Pötte kommen. Gesetze sind wichtig, internationale Abkommen sind wichtig, Selbstverpflichtungen von Unternehmen sind wichtig. Aber einen Hebel hat auch jeder einzelne Bürger in der Hand. Es gibt kein Menschenrecht auf Langstreckenflüge, Zweitwagen, Billigklamotten, stromfressende Bitcoins, Raserei auf der Autobahn und tägliches Fleisch. Aber es ist das Recht aller heutigen und künftigen Generationen, in einer intakten Umwelt zu leben.

Wäre es nicht schön, dieses Ziel gemeinsam zu erreichen? "Die beste Möglichkeit, seine Träume zu verwirklichen, ist aufzuwachen", lautet ein chinesisches Sprichwort. Höchste Zeit also, dass unser Wecker bimmelt.


Prozess gegen Klimakleber

Apropos Klimaschutz: In Berlin beginnt heute der Prozess gegen mehrere Aktivisten der "Letzten Generation", die Straßen blockiert haben. In einem Fall kam deshalb ein Rettungsfahrzeug drei Minuten später zu einem Einsatzort. Die Aktionen der Klimakleber sind wirklich kein geeignetes Mittel, das sehen die meisten Bürger so. Ebenso sollten die meisten Leute verstanden haben, dass es beim Klimaschutz nun wirklich pressiert.

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China muss mitmachen

John Kerry hat das verstanden: Der amerikanische Klimabeauftragte setzt sich seit Jahren für globale Regeln gegen die Erderhitzung ein. Weil China dabei eine Schlüsselrolle spielt, besucht er heute die Diktatoren in Peking. Nach US-Außenminister Blinken und Finanzministerin Yellen ist er schon der dritte hochrangige amerikanische Gast innerhalb weniger Wochen. Auch Präsident Joe Biden hat verstanden, dass sich keines der globalen Probleme ohne die Chinesen lösen lässt.


Grüne beim großen Geld

Apropos alle gemeinsam: Außenministerin Annalena Baerbock beginnt ihre politische Sommerreise bei der Deutschen Bank in Frankfurt und dem BASF-Konzern in Ludwigshafen. Unter dem Motto "Gemeinsam stark" spricht sie über Deutschlands Widerstandsfähigkeit. Wirtschaftsminister Robert Habeck weilt derweil in Indien. Seine Gespräche dürften sich um dasselbe Thema drehen.


Keine Macht für niemand

Es gab eine Zeit, da wusste jeder, was Anarchisten sind. Heute sind sie Paradiesvögel. Und welcher Ort wäre für Paradiesvögel besser geeignet als ein Schweizer Dorf? Eben. Deshalb werden heute in St-Imier nördlich von Bern 4.000 Teilnehmer zu einem internationalen Anarchistenkongress erwartet, der an die Gründung der "Antiautoritären Internationale" anno 1872 erinnert. Da das Dorf auch nur 5.000 Einwohnern hat, dürfte das lustig werden.


Ohrenschmaus


Lesetipps

Die USA verlegen Kampfjets und einen Zerstörer in den Nahen Osten. Die Gefahr einer Eskalation im Konflikt mit dem Iran wächst. Abschreckung scheint jedoch der letzte Ausweg zu sein, berichtet unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns.


Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann redet gern Klartext. Was sie im Interview mit unserem Reporter Tim Kummert über Putin sagt, hat es in sich.



Zum Schluss

Im Urlaub hat man endlich Zeit für die wesentlichen Dinge.

Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Tag. Morgen schreibt David Digili den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Freitag wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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