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Russland-Afrika-Gipfel: Putin nimmt Afrika als Geisel – die Situation kippt


Tagesanbruch
Die Situation kippt

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.07.2023Lesedauer: 6 Min.
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Putin besucht vor dem Treffen mit Afrikas Staatschefs publicityträchtig die Nikolaus-Kathedrale nahe Sankt Petersburg.Vergrößern des Bildes
Putin besucht vor dem Treffen mit Afrikas Staatschefs publicityträchtig die Nikolaus-Kathedrale nahe Sankt Petersburg. (Quelle: Alexander Demyanchuk/Pool via REUTERS)

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Im Leben ist alles eine Frage der Perspektive. Wer die Fähigkeit besitzt, neben der eigenen auch andere Sichtweisen einzunehmen, hat einen entscheidenden Vorteil: Er sieht mehr, versteht Entwicklungen, Beweg- und Hintergründe besser und kann die Erkenntnisse nicht nur im eigenen Interesse, sondern im besten Fall auch zum Wohle vieler Mitmenschen einsetzen. Mehrere Perspektiven einzunehmen muss man allerdings lernen: Neben einem Mindestmaß an Intelligenz und Bildung erfordert es auch Empathie.

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Die ersten beiden Voraussetzungen können wir bei vielen Europäern voraussetzen – an der dritten scheint es arg zu mangeln: Im privaten Umfeld mögen die meisten Leute Einfühlungsvermögen zeigen, doch je weiter entfernt ein Ereignis stattfindet, desto größer ist das Desinteresse. Wie sonst ist es zu erklären, dass sich hierzulande zwar die öffentliche Anteilnahme am Streit um das Heizungsgesetz, an einem übergriffigen Rammstein-Rocker und an einem vermeintlichen Löwen schier überschlägt – gleichzeitig die Mehrheit aber wegschaut, wenn sich auf unserem südlichen Nachbarkontinent himmelschreiende Dramen abspielen?

  • Schon fast 2.000 Bootsinsassen sind in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken – ob Flüchtlinge oder Migranten, es sind Menschen. Und täglich werden es mehr.
  • 100 Tage dauern die Kämpfe im Sudan nun schon, 3,3 Millionen Menschen sind aus ihren Heimatorten vertrieben worden. Jede Stunde wird ein Kind getötet oder verletzt.
  • Ostafrika erlebt die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, die Klimakrise und lokales Missmanagement vereinen sich zu einem Todessturm: Mehr als 40 Millionen Menschen sind von Hunger bedroht, viele müssen ihre Dörfer verlassen und wandern auf der Suche nach Wasser gen Norden. Sieben Milliarden Dollar Akuthilfe hat die internationale Staatengemeinschaft versprochen – gerade mal ein Drittel davon ist zusammengekommen.
  • Nun hat Russland auch noch das Abkommen mit der Ukraine für den Getreideexport gestoppt. Zwar versucht die EU den Transport über Landwege zu organisieren, doch der ist kompliziert, teuer und allenfalls für einen Bruchteil des Korns erfolgversprechend. Für die Menschen in Ostafrika wäre das die Katastrophe in der Katastrophe.
  • In Niger hat es offenbar vergangene Nacht einen Putsch gegeben. Das Land in Westafrika kämpft mit dschihadistischer Gewalt, die zur Flucht von Hunderttausenden führte. Ein Umsturz hätte auch für Europa weitreichende Folgen: Der Niger ist einer der letzten Verbündeten des Westens in der Sahelregion. Die Nachbarn Mali und Burkina Faso haben sich anderen Partnern zugewandt, darunter Russland.
  • Zeitgleich beuten Putins renitente Wagner-Söldner Goldminen und Diamantenvorkommen in Afrika aus, stützen Diktatoren und unterdrücken Demokraten. Damit ist die Agenda gesetzt, wenn die russische Regierung heute die Regierungschefs 49 afrikanischer Staaten zu einem "Gipfeltreffen" in Sankt Petersburg empfängt.

Es herrscht himmelschreiendes Leid an vielen Orten Afrikas, und es sollte uns nicht nur deshalb interessieren, weil wir weniger Klimaflüchtlinge in Europa haben wollen. Wer zur Empathie fähig ist, den muss das Schicksal so vieler Menschen auch emotional berühren. Erst recht, weil niemand dazu verurteilt ist, dem Schrecken einfach zuzusehen. Die EU könnte mehr tun, die Bundesregierung könnte mehr tun, Unternehmen könnten mehr tun, aber auch jeder Einzelne kann helfen: Organisationen wie Unicef, Aktion Deutschland Hilft und die Welthungerhilfe bitten seit Monaten händeringend um Spenden.

Vor acht Monaten habe ich mir in Ostkenia angesehen, welche Verheerungen der Klimawandel dort anrichtet: Die Situation kippt. In Rigdam traf ich den Dorfvorsteher Garad Mahumed Waeys. "Die letzten drei Jahre hat es kaum geregnet, da reicht dann auch das Wasser aus dem Brunnen nicht mehr", berichtete er mir. "Die Herden sterben, es wächst fast nichts mehr, und das Wenige, was bleibt, wird von Schädlingen zerfressen. Das Problem ist der Klimawandel, das sieht doch jeder! Früher hat es mehrmals im Jahr ausgiebig geregnet. Jetzt nicht mehr. Wasser ist für uns das Wichtigste auf der Welt geworden." Als ich ihn fragte, ob er eine Botschaft an die Deutschen loswerden wolle, schaute er mich an uns sagte: "Weißt du, ihr seid ja unsere Brüder. Bitte unterstützt uns. Wir können doch nichts dafür, dass wir unsere Herden verlieren. Bald haben wir nichts mehr zu essen."

Wer auch nur ein Quäntchen Empathie besitzt, wird sich da nicht lange bitten lassen.


Technik, die begeistert

Sein Heizungsgesetz hat er noch nicht durchs Parlament bekommen, und auch sonst war es bisher kein gutes Jahr für Robert Habeck – aber dass sich der grüne Klimaminister deshalb in den Schmollwinkel verzogen hätte, kann man ihm nicht vorwerfen. Gestern leitete der Vizekanzler in Vertretung des urlaubenden Olaf Scholz eine Kabinettssitzung, auf der die Aktualisierung der Nationalen Wasserstoffstrategie beschlossen wurde: Wasserstoff soll künftig vor allem in der Industrie und im Verkehr fossile Energieträger ersetzen, die Aktualisierung sieht die Verdoppelung der heimischen Produktion vor. Statt bisher fünf Gigawatt sollen bis 2030 mindestens zehn Gigawatt in Deutschland entstehen. Den restlichen Bedarf, rund zwei Drittel, decken dann hoffentlich Importe.

Heute Morgen hat der Minister einen Termin, der erst mal unspektakulär klingt: Er wird zum Baubeginn eines Konverters von SuedLink im Landkreis Heilbronn erwartet. Hinter diesem schnöden Umwandler von Gleich- in Wechselstrom verbirgt sich allerdings das mit einer Investitionssumme von zehn Milliarden Euro größte Infrastrukturvorhaben der deutschen Energiewende. Die 700 Kilometer lange Stromtrasse SuedLink soll als Gleichstrom-Erdkabelverbindung die windreichen Regionen Norddeutschlands mit Bayern und Baden-Württemberg verbinden. Bisher bremsten Genehmigungsverfahren und ungeklärte Eigentumsverhältnisse bei betroffenen Grundstücken das Projekt immer wieder aus. Insofern ist der Startschuss nun ein großer Erfolg. Die Fertigstellung soll bis 2028 gelingen – und muss das auch, wenn der Energiekonzern EnBW dann tatsächlich wie angekündigt aus der Kohle aussteigt.


Meloni bei Biden

Ihre postfaschistische Partei bleibt unheimlich, ihre Ansichten zu Homosexuellen und Migranten sind es auch. Im Hinblick auf die europäische Zusammenarbeit und die Unterstützung für die Ukraine hat sich die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bislang jedoch erstaunlich solidarisch gezeigt. Als sie kürzlich im italienischen Parlament von russlandfreundlichen Politikern der Fünf-Sterne-Bewegung deshalb hart kritisiert wurde, reagierte sie mit einer flammenden Gegenrede.

Gute Voraussetzungen, um sich heute bei ihrem ersten großen Besuch im Weißen Haus in Washington als verlässliche Verbündete zu präsentieren. Bei dem Treffen mit US-Präsident Joe Biden stehen neben Russlands Angriffskrieg in der Ukraine auch die Entwicklungen in Nordafrika, eine engere transatlantische Zusammenarbeit im Hinblick auf China und die bevorstehende G7-Präsidentschaft Italiens im kommenden Jahr auf der Tagesordnung.


Endlich Ruhe bei der Bahn?

Eine stufenweise Einkommenserhöhung um insgesamt 410 Euro pro Monat sowie eine Laufzeit von 25 Monaten: Das sieht der Schlichterspruch im Tarifstreit der Deutschen Bahn vor, den sowohl der Staatskonzern als auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG als Kompromiss anerkannt haben. Heute wollen sie ihren jeweiligen Gremien die Annahme empfehlen. Endgültig aufatmen können Fahrgäste aber noch nicht: Während die Zustimmung der Bahn als Formsache gilt, müssen die Gewerkschaftsmitglieder bis Ende August per Urabstimmung entscheiden.

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Ohrenschmaus

Wer im Jahr 1990 verliebt war, dem klang dieser Song in den Ohren. Prince hat ihn geschrieben, aber niemand hat ihn so innbrünstig gesungen wie Sinéad O'Connor. Nun ist sie gestorben. Ihr Lied und die Liebe bleiben.


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China fordert den Westen immer selbstbewusster heraus. Das hat nun militärische Folgen auf den Weltmeeren, berichtet unser USA-Korrespondent Bastian Brauns.


Der enge Kontakt zwischen Redakteuren und Lesern ist ein Markenzeichen von t-online. Beim Lesertag in unserem Newsroom in Berlin konnten nun beide Seiten wertvolle Erfahrungen sammeln, wie Ihnen mein Kollege Mario Thieme zeigt.


Zum Schluss

Von der Klimakrise bis zur Umweltverschmutzung: Wir wissen ja, wie die Menschheit Probleme löst.

Ich wünsche Ihnen einen engagierten Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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