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Putsch im Niger: General ernennt sich zu De-facto-Präsident


Putsch im Niger
General ernennt sich zu De-facto-Präsident

Von dpa, afp, aj, cli, cry, mam

Aktualisiert am 28.07.2023Lesedauer: 7 Min.
Oberst Amadaou Abdramane verkündet die Machtübernahme der Armee im Niger im TV.Vergrößern des BildesOberst Amadaou Abdramane verkündet die Machtübernahme der Armee im Niger im TV. (Quelle: via REUTERS/dpa)
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Nach einem Militärputsch im Niger hat sich ein General zum De-Facto-Präsidenten ernannt. Ein Umsturz hätte auch für den Westen weitreichende Folgen.

Der Chef der Präsidentengarde im Niger, General Omar Tchiani, hat sich selbst zum Präsidenten des Nationalen Rats und damit zum neuen Machthaber des Landes ernannt. Tchiani äußerte sich am Freitag im nationalen Fernsehen.

Zuvor hatte es einen Militärputsch in dem westafrikanischen Land gegeben. Offiziere der Präsidentengarde hatten den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum am Mittwoch in seinem Palast festgesetzt. Die Streitkräfte Nigers stellten sich am Donnerstag auf die Seite der Putschisten.

Was ist über den Putsch bekannt und welche Auswirkungen hat er? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wer ist für den Putsch verantwortlich?

Der Coup ist wohl dem engsten Kreis des Präsidenten entsprungen. Die Präsidentengarde, eine Eliteeinheit der Armee, setzte am Mittwochvormittag den seit 2021 amtierenden demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum in seinem Palast in Niamey fest und versperrte den Zugang zum Palast und zu mehreren Ministerien. Die Institutionen der siebten Republik seien aufgelöst, die Luft- und Landesgrenzen geschlossen und es herrsche eine landesweite Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr (Ortszeit), sagte Oberst Amadaou Abdramane am Mittwochabend im nationalen Fernsehsender RTN.

Er sprach von einem sogenannten "Nationalen Rat für die Rettung des Vaterlandes", der die Macht übernommen habe und erklärte, die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte hätten beschlossen, dass "dem Regime, das Sie kennen", ein Ende gesetzt werden solle, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage "und der schlechten Regierungsführung". Man werde alle Verpflichtungen des Landes achten.

Im Laufe des Donnerstags hatten die nigrischen Streitkräfte zudem verkündet, sich dem Putsch anzuschließen. Der Schritt solle die "körperliche Unversehrtheit des Präsidenten und seiner Familie" gewährleisten sowie eine "tödliche Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Sicherheitskräften" vermeiden, heißt es auf Facebook und Twitter.

Ähnlich äußerte sich nigrischen Medien zufolge auch die Opposition. So hieß es in einem Schreiben: "Die ehemalige politische Opposition Nigers, die sich nun in der Union der nigrischen Patrioten (UPN) zusammengeschlossen hat, missbilligt zwar jeglichen [...] gewaltsamen Machtwechsel, unterstützt aber die Beweggründe des CNSP ... nämlich die ständige Verschlechterung der Sicherheitslage [...] und die schlechte wirtschaftliche und soziale Regierungsführung", hieß es in dem Schreiben vom Donnerstag. Unklar blieb, welche und wie viele Parteien hinter der Botschaft standen.

Unbestätigten Berichten zufolge könnte nun der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, die Führung eines Militärrats übernehmen. Die Armee des Landes hat derzeit rund 25.000 Soldaten. Der Präsidialgarde gehören unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 700 und 1.000 Gardisten an.

Nigers Außenminister Hassoumi Massoudou rief die meuternden Militärangehörigen derweil dazu auf, Bazoum freizulassen und ihre Forderungen im Dialog zu klären. Dem französischen Nachrichtensender France 24 sagte der Minister am Donnerstag: "Wir sind die legalen und legitimierten Autoritäten in Niger." Er habe außerdem mit Bazoum gesprochen und erklärte dazu, dass es dem Präsidenten gut gehe.

Am Donnerstagabend zogen Hunderte Demonstranten durchs Zentrum der Hauptstadt Niamey und skandierten "Kein Putsch". Einige der Demonstranten hätten versucht, zum Amtssitz des Präsidenten zu gelangen, wurden aber von der Präsidentengarde mit Warnschüssen vertrieben, berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP. Trotz eines Protestverbotes waren für den Freitag neue Demonstrationen angekündigt.

Wen trifft der Putsch?

Nigers Präsident Mohamed Bazoum hatte sein Amt erst 2021 nach demokratischen Wahlen angetreten. Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso war Niger als Partnerland des Westens in der Sahelregion in den Fokus gerückt. Erst Ende vergangenen Jahres hatte die EU eine Militärmission unter Beteiligung der Bundeswehr in dem Land beschlossen. Mehr über die Aktivitäten der Bundeswehr in der Region lesen Sie hier.

Bazoum diente unter seinem Vorgänger Mahamadou Issoufou seit 2011 als Außen- und Innenminister, bis er zur Nachfolge des nach zwei Amtszeiten ausgeschiedenen Issoufou antrat und mit rund 56 Prozent der Stimmen gewann. Issoufou behielt viel Einfluss. Bazoums Amtseinführung galt dennoch als der erste friedliche demokratische Machtwechsel im Land seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1960.

Auf dem Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) rief Bazoum die Bevölkerung auf, die hart erkämpften Errungenschaften der Demokratie zu retten. Dafür würden die Menschen sorgen, die die Demokratie liebten, schrieb er am Donnerstag. Dort forderte auch Außenminister Hassoumi Massoudou "alle Demokraten und Patrioten" auf, dieses "gefährliche Abenteuer" scheitern zu lassen.

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Was macht das Land so fragil?

Die Ereignisse zeigten die Fragilität des Landes, sagte der Regionalbüroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing, der Nachrichtenagentur dpa. "Deutschland und Europa haben Millionensummen in Niger investiert, von Militär- bis Entwicklungszusammenarbeit. Die Hilfsprogramme wecken auch Begehrlichkeiten." Laessing fügte hinzu: "Ein Coup kann alles ändern und würde auch Russland die Tür öffnen, sich breitzumachen." Bereits am Donnerstagabend waren unter den Demonstrierenden auch russische Flaggen zu sehen.

Die Hilfsorganisation Aktion warnt nun davor, dass die humanitäre Lage schlechter wird. "Die aktuellen politischen Entwicklungen im Niger erfolgen zu einer Zeit, in der das Land die schlimmste Krise seit einem Jahrzehnt erlebt", sagte Helene Mutschler, die Geschäftsführerin der Organisation, am Freitag. Dürren, Überschwemmungen und eine spät einsetzende Regenzeit verschärften die Ernährungssituation. Die Fortführung der humanitären Arbeit sei daher unerlässlich. Als Folge des Putsches habe die Organisation ihre Arbeit jedoch in Teilen des Landes vorübergehend eingestellt, so Mutschler.

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Auch die Vereinten Nationen hatten bereits am Donnerstag angekündigt, ihre humanitären Hilfsprogramme auszusetzen. Wegen des Putsches sperrten die nigrischen Behörden den Luftraum sowie die Landesgrenzen. Bis zum 4. August seien Landungen im Niger für alle Flüge untersagt. "Unsere humanitären Operationen sind ausgesetzt", sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric daher am Donnerstag in New York.

Außerhalb der großen Städte ist in Niger der Staat kaum präsent. Von einer Fläche, die dreieinhalbmal so groß wie Deutschland ist, sind zwei Drittel Wüste. Der Niger hat die höchste Geburtenrate und die jüngste Bevölkerung der Welt. Mit seinen rund 26 Millionen Einwohnern ist es zudem eines der ärmsten Länder der Welt. Auf dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen belegte das Land in der Sahelzone zuletzt Platz 189 von 191. Mehr als 40 Prozent der Menschen leben in extremer Armut.

Wie riskant ist die Lage für den Westen?

Ein Umsturz hätte für den Westen weitreichende Folgen: Der Niger ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt der westlichen Bemühungen gerückt, dem gewaltsamen Vormarsch der Dschihadisten in Westafrika und auch einem wachsenden militärischen Einfluss von Russland entgegenzuwirken.

Putsche in den benachbarten Ländern Mali und Burkina Faso seit 2020 gingen mit einer Abwendung von europäischen Partnern und zuletzt der Forderung nach Abzug der UN-Friedensmission zur Stabilisierung Malis einher. Das Dreiländereck wird seit Jahren von Gruppen terrorisiert, die unter anderem den Terrormilizen al-Qaida und "Islamischer Staat" anhängen. Das bedroht auch bislang stabile, angrenzende Staaten.

Was sagt die Bundesregierung?

Außenministerin Annalena Baerbock hat nach dem Putsch im Niger am Donnerstag mit ihrem Amtskollegen Massoudou telefoniert und dabei die "volle Unterstützung" Deutschlands für die demokratische Entwicklung in dem westafrikanischen Land deutlich gemacht. Dazu gehöre auch die umgehende Freilassung des nigrischen Präsidenten, sagte die Grünen-Politikerin laut einer Mitteilung des Auswärtigen Amts.

Baerbock betonte, trotz schwieriger Umstände habe sich die Regierung unter Bazoum bemüht, "sich als verlässlicher Partner zu positionieren, Armut zu bekämpfen, das Leben seiner Bevölkerung nachhaltig zu verbessern und so dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen". Zuvor hatte sie sich bereits auf Twitter geäußert.

Bereits kurz nach den ersten Berichten über den Vorfall im Niger hatte das Auswärtige Amt das Vorgehen gegen Bazoum verurteilt und seine Freilassung gefordert. Ein Sprecher rief deutsche Staatsangehörige auf, die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts zu befolgen und sich in die Krisenvorsorgeliste des Ministeriums einzutragen.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Auch international riefen die Vorgänge noch vor der Verkündung im Fernsehen scharfe Verurteilungen hervor. Unter anderem die Vereinten Nationen, die EU, die USA und die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas forderten eine Freilassung Bazoums und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung.

Die französische Regierung gab am Freitag bekannt, noch Spielraum für eine Abwendung des Putsches zu sehen. "Wenn ich von einem versuchten Staatsstreich spreche, dann deshalb, weil wir die Dinge nicht als endgültig betrachten", sagte Außenministerin Catherine Colonna laut französischen Medien am Rande der Reise von Präsident Emmanuel Macron nach Papua-Neuguinea. Die Putschisten hätten noch Zeit, den internationalen Forderungen nach Wiedereinsetzung Bazoums nachzukommen.

Macron sagte, er habe mit Bazoum gesprochen und arbeite mit den Staats- und Regierungschefs der Sahel-Region zusammen, um die Demokratie in Niger zu verteidigen. Dabei unterstütze er auch eine mögliche Verhängung von Sanktionen. In französischen Diplomatenkreisen wurde die Lage als weiterhin "sehr verworren" bezeichnet.

US-Außenminister Antony Blinken hatte den Putsch bereits am Donnerstag während eines Besuchs in Neuseeland verurteilt. Die USA seien in Kontakt mit der Regierung des Nigers sowie mit ihren Partnern. Es gebe Bemühungen, die Situation friedlich zu lösen. Erst bei einem Telefonat mit Bazoum am Morgen habe er klargemacht, dass die USA diesen als den demokratisch gewählten Präsidenten des Nigers unterstützten.

Nach Angaben von EU-Diplomaten sprachen auch der Außenbeauftragte Josep Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel zweimal mit dem 63-jährigen Bazoum. Wie ein Sprecher der UN mitteilte, sprach auch UN-Generalsekretär António Guterres mit dem Präsidenten.

Die EU ließ am Donnerstag offen, ob sie ihre Militärhilfen an den Staat einstellen werde. Um den Niger stärker in seinem Kampf gegen Terroristen zu unterstützen und so die Sahelregion zu stabilisieren, hatte die EU zuletzt im vergangenen Dezember eine dreijährige militärische Partnerschaftsmission mit dem Namen EUMPM beschlossen. Die nigrischen Streitkräfte sollen durch sie eigentlich in die Lage versetzt werden, Bedrohungen besser abzuwehren und die Bevölkerung zu schützen.

Finanzielle Unterstützung für die Streitkräfte gab es bis zuletzt unter anderem durch die sogenannte europäische Friedensfazilität. Die Mitgliedstaaten bewilligten aus dem Finanztopf erst im Juni weitere fünf Millionen Euro. Sie ergänzten bereits im Juli 2022 und März 2023 angenommene Unterstützung in Höhe von insgesamt 65 Millionen Euro.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen Reuters, afp und dpa
  • spiegel.de: "Putsch im Niger"
  • tagesschau.de: "Soldaten verkünden Machtübernahme der Armee"
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