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USA: Die ewige Besatzungsmacht in Deutschland?


Tagesanbruch
Aufgewacht, "Besatzungsmacht"!

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 08.08.2023Lesedauer: 7 Min.
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Kreml-Propaganda und Anti-Amerikanismus: Maximilian Krah (l.), Tino Chrupalla (m.) und Alice Weidel (r.) auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg.Vergrößern des Bildes
Kreml-Propaganda und Anti-Amerikanismus: Maximilian Krah (l.), Tino Chrupalla (m.) und Alice Weidel (r.) auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg. (Quelle: IMAGO/Revierfoto)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

was einem als Deutscher in den USA viel häufiger als anderswo begegnet, ist ein gewisser Stolz auf eigene deutsche Wurzeln. In vielen Gesprächen wollen Amerikaner mir hier nicht nur unbedingt mitteilen, dass sie entweder schon einmal in Deutschland gewesen sind oder dort stationiert waren, sondern dass ihre Vorfahren sogar von dort kommen.

Das ist mehr als nur eine anekdotische Evidenz von mir. Von rund 333 Millionen Amerikanern geben bis heute rund 50 Millionen an, eine deutsche Herkunft zu haben. Das sind um die 15 Prozent der US-Bevölkerung und damit deutlich mehr als jede andere Gruppe. Es folgen Iren mit rund 11, Mexikaner mit 10 und selbst Engländer mit nur 8 Prozent.

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Diese bis heute andauernde Verbundenheit mit Deutschland ist familiär und über Jahrhunderte historisch gewachsen. Aber sie ist längst nicht selbstverständlich und sie ist im Wandel begriffen. Denn heute sind es weniger Europäer und Deutsche, die nach Amerika auswandern. Erfasst man jene Menschen, die heute in den USA leben, aber in einem anderen Land geboren wurden, sind darunter 25 Prozent Mexikaner, gefolgt von sechs Prozent Chinesen und Indern. Insgesamt übertreffen Einwanderer aus dem asiatischen Raum sogar noch jene aus dem lateinamerikanischen.

Für uns Deutsche, aber auch für uns Europäer insgesamt heißt das: In den kommenden Jahrzehnten wird die Anzahl jener Amerikaner mit einer deutschen oder europäischen Erfahrung immer weiter abnehmen. Statt persönlicher Erlebnisse werden immer häufiger nur noch Erzählungen aus dem Geschichtsbuch oder nostalgische Blicke auf den Familienstammbaum bleiben. Das wird langfristig politische Auswirkungen haben, die wir uns vielleicht nicht wünschen sollten.

Deutsche Diplomaten sorgen sich bereits jetzt: Dass die aktuelle Biden-Regierung mit ihren noch durch und durch europäisch geprägten Vertretern, wie dem Präsidenten selbst oder seinem Außenminister Antony Blinken, womöglich die letzte sein könnte, die sich so stark in europäische Befindlichkeiten und Perspektiven hineinversetzen kann.

Warum erzähle ich Ihnen heute davon? In mir hallen noch immer die Worte nach, die auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg gefallen sind. Es ging dabei viel um das Verhältnis Deutschlands zu Amerika. Bisweilen wirkte es so, als seien die USA sogar das Streitthema Nummer eins innerhalb der AfD. Die Rechtsaußen-Partei einigte sich schließlich auf folgenden Passus für ihr Europawahlprogramm: "Jegliche Dominanz außereuropäischer Großmächte in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik lehnen wir ab."

Hinter dieser scheinbaren Kompromissformel stecken in Wahrheit purer Anti-Amerikanismus, pure Kremlpropaganda und damit pure Realitätsverweigerung. Die AfD opfert damit unsere nationale Sicherheit auf einem Altar aus Nationalismus und eigentlich längst vergessener deutscher Großmannssucht.

Was uns einst in zwei von uns verschuldete Weltkriege führte, erlebte in Magdeburg eine Wiederauferstehung. Vielfach wurde ein Bild gezeichnet, das uns Deutsche als Quasi-Vasallen der USA abwerten soll. Unverhohlen sprach etwa Jurij Christopher Kofner, selbst Russlanddeutscher, davon, wir müssten "unsere Heimat zurückerobern". Denn Deutschland sei ein von den USA und auch von der EU "besetztes Land".

Das ist lupenreine, aber in der AfD weitverbreitete Kremlpropaganda. Sie gärt seit Jahren bei Verschwörungstheoretikern, wie etwa dem Schweizer Autor Daniele Ganser. Dieser Mann schreibt Bücher, deren Titel lauten "Imperium USA: Die skrupellose Weltmacht". In Interviews sagt er: "Deutschland ist natürlich ein besetztes Land." Sein Argument dafür ist die Präsenz amerikanischer Truppen auf unserem Boden.

Eine Erzählung, die bei den verfassungsfeindlichen und gewaltbereiten Reichsbürgern nur zu gerne genutzt wird. Genüsslich spinnt sie auch der Kremlherrscher und Kriegsverbrecher Wladimir Putin weiter. Die Sowjetunion habe irgendwann ihre Truppen abgezogen, sagte er im März dieses Jahres dem staatlichen TV-Sender Rossija-1. "Aber das war bekanntlich nicht der Fall bei den Amerikanern. Sie besetzen Deutschland weiterhin", so Putin.

Bei der AfD in Magdeburg hörte sich das dann so an: "Europa muss einen eigenen Pol in der multipolaren Weltordnung konstituieren. Europa muss sich von jedem Großmachtanspruch emanzipieren, die Geschicke Europas lenken zu wollen, auch von den USA", kommentierte etwa der Delegierte Hans Neuhoff die Ziele seiner Partei.

Dabei ist die enge, transatlantische Bindung an die USA im gegenseitigen Interesse unserer Bevölkerungen. Denn sie garantiert uns Frieden, Freiheit und Wohlstand. Und wie ich weiter oben geschrieben habe, ist der Fortbestand dieser engen Freundschaft aufgrund demografischer Entwicklungen in den USA längst kein Selbstläufer. Diese Freundschaft sollte nicht mit Argwohn und Unsinn beschädigt werden, sondern vielmehr ganz gezielt ausgebaut werden.

Die Parteiführung der AfD um Tino Chrupalla und Alice Weidel führte in ihrem Leitantrag zu China und Russland an: "Für Deutschland ist China einer der wichtigsten Handelspartner" und "Russland war über Jahrzehnte ein zuverlässiger Lieferant und Garant einer erschwinglichen Energieversorgung, die aufgrund unserer energieintensiven Industrie die Achillesferse der deutschen Volkswirtschaft darstellt." Das ist beides nicht falsch.

Zu den USA ist dort zu lesen: "Die geopolitischen und ökonomischen Interessen der USA unterscheiden sich jedoch in zunehmendem Maße von denen Deutschlands und anderer europäischer Staaten."

Was die AfD wirtschaftlich dabei einfach unter den Tisch fallen lässt: Laut Statistischem Bundesamt ist China zwar bezogen auf den Umsatz (Export und Import) der wichtigste Handelspartner. Das mit Abstand wichtigste Land für die deutschen Exporte aber sind die USA. 2022 erzielte Deutschland einen Außenhandelsüberschuss von mehr als 64 Milliarden Euro. Bei China und Russland hingegen verzeichnete Deutschland ein Defizit von rund 85 Milliarden und 21 Milliarden Euro.

Es ist Deutschlands enormer Überschuss im Außenhandel mit den USA, der einst Donald Trump so wütend machte. Er wollte nicht für deutsche Sicherheit bezahlen, während sich die Bundesregierung bequem in günstige Gasabhängigkeit von Russland begab. Der Präsident drohte damit, rund 10.000 US-Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Eine Entscheidung, die die Biden-Regierung umgehend nach Amtsantritt revidierte.

Die USA mögen mit ihrer Militärpräsenz zwar auch eigene geopolitische Interessen verfolgen. Aber sie teilen jene in Bezug auf die Nato mit unseren eigenen, den übrigen europäischen Verbündeten und mit Kanada. Die Vereinigten Staaten sind dabei mit Abstand das Land mit den höchsten jährlichen Militärausgaben aller Nato-Staaten. Im Jahr 2022 lagen diese bei geschätzt 821,8 Milliarden Dollar. In absoluten Zahlen, aber auch im Verhältnis zum eigenen Bruttoinlandsprodukt ist Deutschland von diesen mehr als 3,5 Prozent noch Lichtjahre entfernt.

Spricht man mit Amerikanern, missfällt ihnen bisweilen deshalb die Hybris, mit der insbesondere wir Deutsche oft über das in unseren Augen extrem mangelhafte Sozialsystem der USA sprechen. Für die eigene Sicherheit zu sorgen, hat seinen Preis. Würde die AfD ihre Vorstellung von einer autarken deutschen oder auch europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik umsetzen wollen, ginge das für weite Teile der Deutschen mit einem empfindlichen Wohlstandsverlust einher. Und selbst dann wären Deutschland und Europa nicht vergleichbar mit einer Großmacht, die für die eigene Sicherheit sorgen könnte.

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Amerikanische Truppen auf deutschem Boden bedeuten aber nicht nur Sicherheit. Sie bedeuten auch Völkerverständigung. Denn wie ich eingangs schrieb: Viele Amerikaner waren in ihrem Leben in Deutschland stationiert und fühlen sich uns und unserer Kultur (ja, auch dem Bier) verbunden. Solche Biografien werden allerdings immer weniger. Denn inzwischen rotieren US-Soldaten so oft, dass ihr Aufenthalt oftmals nur noch Monate und keine Lebensabschnitte umfasst.

Solche zu Zehntausenden gemachten Erfahrungen beeinflussen auch die amerikanische Politik zu unseren Gunsten. Wir sollten uns darum bemühen. Dazu bräuchte es einen massiven Ausbau von zivilen Möglichkeiten der Begegnung zwischen Amerikanern, Europäern und Deutschen: Ausbildung, Studium, aber auch beruflichen und kulturellen Austausch. Wir sind dabei in der Bringschuld. Im Gegensatz zu uns kämen die USA wohl auch alleine klar.

Als Verbündete müssen wir deshalb nicht jede Entscheidung der Amerikaner mitgehen. Der Irak-Krieg etwa war so ein Fall, bei dem das Nein des damaligen deutschen Bundeskanzlers bis heute richtig war. Auch wenn dieser Gerhard Schröder hieß. Ein Mann, der zugleich Deutschlands industrielles Schicksal und seine eigene Ehre mutwillig an Wladimir Putin und dessen Erdgas verkaufte.

Russland haben wir zwar sein Erdgas zu verdanken. Aber auch einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf europäischem Boden, Tod und Zerstörung bei unseren ukrainischen Freunden.

Den Amerikanern hingegen haben wir zu verdanken: die Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg; eine neue Chance als freie, demokratische Nation mit der dazugehörigen freien Presse; den Wiederaufbau unseres Landes mithilfe eines historisch einmaligen, viele Milliarden schweren Wirtschaftsförderungsprogramms, dem Marshallplan; die Luftbrücke mit "Rosinenbombern" und die Bewahrung einer feindlichen Übernahme unserer Hauptstadt Berlins durch die Sowjetunion und schließlich: unsere Wiedervereinigung.

Ich sage es Ihnen, wie es ist: Hätte es die Amerikaner nicht gegeben, dann hätten Tino Chrupalla, Alice Weidel und die Björn Höckes dieser Partei ihren demokratiefeindlichen Stuss in Magdeburg wahrscheinlich niemals verzapfen können. Dann wäre zumindest ein großer Teil unseres Landes womöglich noch immer unter dem Einfluss Russlands, einer de-facto Diktatur.

Deutschland ist nicht besetzt von Amerikanern. Die AfD und mit ihr zu viele Menschen in unserem Land sind besetzt von einem Denken, das von Anti-Demokraten stammt.


Was steht an

Apropos Magdeburg: Dort gab der US-Konzern Intel nach langen Verhandlungen vor Kurzem den Zuschlag für den Bau einer neuen Chipfabrik. Heute will der taiwanesische Chipkonzern TSMC über den milliardenschweren Bau einer Halbleiter-Fabrik in Dresden entscheiden. Das sind wichtige Entscheidungen, die nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern uns auch unabhängiger von Importen machen.

Bundeskanzler Olaf Scholz beginnt am Dienstag seine Sommerreise in seiner Funktion als SPD-Bundestagsabgeordneter. Ausgerechnet dort, wo ein Wildschwein zur Löwin verklärt wurde. Am ersten von insgesamt vier Reisetagen stehen nämlich Termine in den Brandenburger Gemeinden Stahnsdorf, Kleinmachnow, Wildau und Beeskow an.

Die Staats- und Regierungschefs der südamerikanischen Amazonasländer beraten heute im brasilianischen Belém über den Schutz des Regenwaldes. Beim "Amazonas-Gipfel" wollen sich die Vertreter von Brasilien, Bolivien, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru, Suriname und Venezuela zudem auf eine gemeinsame Position für die UN-Klimakonferenz COP28 in Dubai Ende des Jahres einigen. Der Amazonas-Regenwald gilt als CO2-Speicher und hat eine wichtige Funktion im internationalen Kampf gegen den Klimawandel.


Lesetipps

Wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage will die Opposition die Regierung unter Druck setzen. Die Union fordert darum ein "Sofortprogramm" für die deutsche Wirtschaft. Die Idee ist zwar grundsätzlich gut – doch der Vorstoß noch unausgereift, kommentiert mein Kollege Tim Kummert.

Wären Sie davon betroffen? Meine Kollegin Christine Holthoff hat sich mit drohenden Steuererhöhungen beschäftigt. Die Kommunen haben versprochen, sich nicht an der Grundsteuerreform zu bereichern. Doch gerade sieht es ganz danach aus. Es braucht jetzt eine klare Ansage, findet sie.

Wladimir Putin hält an seinen Kriegszielen in der Ukraine fest, ernsthafte Gesprächsangebote kommen aus Moskau nicht. Es scheint, als wolle der Kremlchef den Krieg in die Länge ziehen. Dafür gibt es Gründe, von denen mein Kollege Patrick Diekmann berichtet.


Was mich amüsiert

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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