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Putin will eine "neue Welt": Diese bittere Realität müssen wir anerkennen


Tagesanbruch
Diese bittere Realität müssen wir anerkennen

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 06.10.2023Lesedauer: 6 Min.
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Herr über Desinformation und Aggression: Russlands Präsident Wladimir Putin (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Herr über Desinformation und Aggression: Russlands Präsident Wladimir Putin (Archivbild). (Quelle: IMAGO/Mikhail Metzel)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

was Wladimir Putin gestern in Moskau von sich gegeben hat, offenbart, was er wirklich im Schilde führt. Die Mission Russlands sei nämlich nicht weniger, als eine "neue Welt" zu schaffen, sagte Putin.

Wie seine "neue Welt" aussieht, wissen wir schon. Seit seinem brutalen Krieg gegen Tschetschenien hat er nicht nur Grosny, sondern auch Städte in Syrien mit seinen Bomben dem Erdboden gleichgemacht. Sein Angriffskrieg gegen die Ukraine ist nur ein weiteres menschenverachtendes und zynisches Mittel, um seine langjährige Fehde mit dem Westen zu verschärfen.

Der Kriegsverbrecher aus dem Kreml sagte dazu: "Wir haben im Wesentlichen die Aufgabe, eine neue Welt aufzubauen." Und obwohl Putin in Bezug auf die Ukraine immer wieder historisch argumentiert hatte, behauptete er jetzt, dass der Konflikt in der Ukraine gar "kein territorialer" sei. Russland habe "keine Interessen im Hinblick auf die Eroberung einiger Gebiete".

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Es ist egal, was Putin gestern sagte oder morgen von sich geben wird: Statt seiner Worte müssen wir die Realität anerkennen und anfangen, auch unsere eigenen Schwächen rigoros zu bekämpfen. Tun wir das nicht, fliegt uns womöglich schon bald alles um die Ohren. Denn diese Realität ist: Unsere Demokratie, unsere Freiheit und unsere Art zu leben, sind in großer Gefahr.

Vieles davon geschah in den vergangenen Jahren schleichend. Und ohne einen größeren Zusammenhang wirkte es oft so, als wären es einzelne Probleme, die jeweils für sich genommen gelöst werden müssten.

Diese Realitäten sind ein gefährlicher Mix aus Migration, Desinformation und kriegerischer Aggression. Putin gießt gezielt mit diesen Mitteln seit Jahrzehnten Öl ins Feuer. Das müssen wir endlich realisieren.

In einem aufschlussreichen Interview mit meinem Kollegen Christoph Schwennicke sagte die FDP-Politikerin Linda Teuteberg kürzlich zur Frage, von wem die Demokratie bedroht werde: "Durch Diktatoren wie Lukaschenko oder Putin, die beide versuchen, über organisierte irreguläre Migration auf dem Landweg an der europäischen Außengrenze unsere Demokratien zu destabilisieren. Dieses staatlich orchestrierte Schleppertum ist Teil hybrider Kriegsführung, die in Deutschland noch immer unzureichend verstanden wird."

Wir müssen aus dieser richtigen Analyse als Deutschland, als Europa und auch in Amerika die richtigen solidarischen Schlüsse ziehen. Anstatt einander zu bekämpfen, oder wie Ungarn nach Putins Pfeife zu tanzen, müssen wir gemeinsame Lösungen finden. Tun wir es nicht, werden die gesellschaftlichen Unruhen, werden die Spaltungen noch größer, als sie ohnehin schon sind.

Die Erfolge der Rechtspopulisten weltweit zahlen jeden Tag auf das Konto des Kremls ein. Mit dem Geld, das wir einst Putin für sein Gas gaben, finanzierte er sie. Sein Geist und die damit erzielten Spaltungen machen unsere gemeinsamen Antworten so schwierig. Weil der Druck inzwischen sehr groß ist, scheinen sich aber Chancen zu ergeben.

Dazu hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) meinen Kollegen Christoph Schwennicke und Tim Kummert ein Interview gegeben. In diesem spricht er sich für eine deutlich restriktivere Migrationspolitik aus und warnt vor "Magneten", die die Menschen nach Deutschland zögen. Natürlich muss man solche Vorschläge diskutieren. Und dass sie längst nicht ausreichen, um die Fluchtursachen am Ende zu lösen, ist auch klar. Es geht nicht um reine Abschottung, aber um Alternativen zum anhaltenden Kontrollverlust.

Wir müssen endlich aktiv werden. Die vielfältigen Krisen wachsen uns sonst über den Kopf. Die Menschen fühlen das nicht nur, sie erleben es. Demokratische Erfolge von Demokratie-Feinden sind die Folge.

In den USA ist derzeit zu erleben, was die Stunde geschlagen hat. Probleme mit Migration, gepaart mit Desinformation, einhergehend mit Putins kriegerischer Aggression gegen die Ukraine, haben hier längst einen toxischen politischen Mix ergeben, der die Demokratie lähmt. Zuletzt konnten einige wenige Rechtsradikale im US-Kongress meutern. Was die Ukraine betrifft, setzen sie damit fast eins zu eins den Willen des Kremls um: Kümmert euch lieber um Amerika. Die Ukraine geht euch nichts an.

Die Republikaner wollen jetzt die südliche Grenzsicherung gegen die endlosen illegalen Grenzübertritte aus Mittel- und Südamerika zur Voraussetzung für weitere Hilfen für die Ukraine machen. Der rechtskonservative Jim Jordan sagte dazu jüngst: "Das drängendste Problem für die Amerikaner ist nicht die Ukraine." Jordan kandidiert als Nachfolger von Kevin McCarthy als Sprecher für das Repräsentantenhaus.

Die Biden-Regierung geht aus diesem Grund jetzt einen dramatischen Schritt: Ausgerechnet der US-Präsident will nun seine Exekutivgewalt nutzen, um den Bau einer Grenzmauer in Texas gegen Flüchtlinge zu ermöglichen.

Ein Mauerbau gegen Migranten durch die Demokraten? Was für eine unerwartete Wende! Der Populist Donald Trump wurde für seine Mauerpläne einst weltweit, zuvorderst aus Deutschland kritisiert. Weil global mit dem Krieg in der Ukraine zu viel auf dem Spiel steht, sind auch die Demokraten jetzt offenbar bereit, ein Problem anzugehen, das lange ignoriert wurde.

Das ändert nichts daran, dass mit Donald Trump und seinen MAGA-Republikanern Kräfte am Werk sind, die eine seit langem von Putin genutzte Strategie perfektioniert haben: Desinformation, sogenannte "alternative Fakten", wurden von ihm zur neuen vermeintlichen Wahrheit erhoben. Sie gipfelten in seiner Lüge, die Wahl von 2020 sei gestohlen worden. Auch hier müssen wir der Realität ins Auge blicken und uns klarmachen, wie gefährlich die Lage ist.

Desinformationen gehen um die Welt wie eine Pandemie. In Moskau werden beispielsweise Trumps Schergen, wie der US-Fernsehmoderator Tucker Carlson, nicht ohne Grund gefeiert, zitiert und weiterverbreitet. Demokratieverächter wie Carlson erledigen die schmutzige Arbeit des Kremls. Sie spalten und zersetzen unsere Gesellschaften. Sie zerstören deren Einheit, die der beste Schutz gegen Aggressoren und Diktatoren wie Putin sind.

Plötzlich steht darum auch die Unterstützung für die Ukraine auf dem Spiel. Fallen die USA aufgrund innenpolitischer Streitigkeiten von Demokraten und Republikanern hierbei aus, wird es dunkel in Europa. Ohne die Amerikaner, auch das gehört zum Einschätzen der Realität, wären wir der Ukraine militärisch kaum zur Seite gesprungen. Auf den transatlantischen Zusammenhalt sind wir angewiesen.

Unsere Gesellschaften diesseits und jenseits des Atlantiks müssen darum endlich verstehen, dass wir uns vor Problemen nicht wegducken können. Dass sie sich nicht allein dadurch lösen lassen, indem wir Populisten für ihre Propaganda kritisieren. Konsequent müssen wir die Probleme selbst angehen und sie besser lösen, als diese es vorgeben zu tun.

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Zögerlichkeit ist dafür die falsche Strategie. Das gilt für die Lösung der Fluchtbewegungen, aber auch für die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine und erst recht für den Kampf gegen den grassierenden Rechtspopulismus.

Das Schwierige daran ist: Es muss uns in Deutschland, Europa und Amerika gemeinsam gelingen. Nur dann haben wir zumindest die Chance, den Populisten und damit auch den Putins dieser Welt ihr menschenverachtendes Handwerk zu legen.


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Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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Verwendete Quellen
  • Mit Material von afp und dpa
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