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SPD: Olaf Scholz muss die Ampel retten – neue Minister als Regierungsanker?


Tagesanbruch
Der Kanzler braucht neue Leute

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.10.2023Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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ISRAEL-PALESTINIANS/GERMANY SCHOLZVergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Die Deutschen erhoffen sich vom Kanzler mehr Führung. (Quelle: Liesa Johannssen/reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

linker Haken, Kopfnuss, Nasenstüber: Monatelang haben sich die Leute von den Grünen und der FDP gegenseitig verhauen, während ihr Boss von seinem Kanzleramtsschild zuguckte. Sie haben sich vermöbelt wie der jähzornige Fischhändler Verleihnix und der hitzige Schmied Automatix in den Asterix-Comics, und nun haben sie den Salat: Bei den Protestwahlen in Bayern und Hessen haben die drei Ampelparteien eine krachende Niederlage kassiert und wanken nun mit blauen Augen durchs Berliner Regierungsviertel. Im Unterschied zu Asterix und seinen Galliern besitzen sie allerdings keinen Zaubertrank, der sie binnen Sekunden wieder vor Kraft strotzen lässt. Im Gegenteil: Wochen- und womöglich monatelang werden sie nun angeschlagen durch den politischen Alltag hinken.

Der Kanzler ist angezählt. Er hat seinen Laden nicht im Griff. Seine Autorität erodiert. Er erklärt seine Politik nicht so, dass die Menschen sie verstehen, er wirkt wie ein Buchhalter statt wie ein Regierungschef. Fast die Hälfte aller deutschen Wahlberechtigten beurteilt einer Forsa-Umfrage zufolge die Arbeit der Ampelkoalition schlechter als die der Großen Koalition zuvor. Zwei Drittel der Befragten erwarten von Olaf Scholz endlich mehr Führung.

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Aber wen kann der Kanzler eigentlich führen? FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Vordenker Robert Habeck hauen sich doch bei jedem Pieps gleich wieder eine rein. Frau Baerbock macht eh, was sie will. Und die SPD-Minister? Überwiegend blasse Gestalten.

  • Innenministerin Nancy Faeser: nach dem Hessen-Debakel eine wandelnde politische Leiche.
  • Gesundheitsminister Karl Lauterbach: von Freund und Feind gleichermaßen für seine Schrulligkeit verlacht.
  • Bauministerin Klara Geywitz? Findet vor lauter Baustellen die Schaufel nicht mehr.
  • Entwicklungsministerin Svenja Schulze? Hat seit der Kürzung ihres Etats wegen der Bundeswehr-Aufrüstung nichts mehr zu melden.

Wäre da nicht Oberverteidigungsminister Boris Pistorius, der beliebteste deutsche Politiker, hätte der SPD-Kanzler gar keinen Hoffnungsträger mehr in seinen Reihen. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Erst recht nicht, wenn ein kalter Winter naht, in dem die Energiepreise genauso steigen könnten wie die Rauflust der Koalitionäre.

Die SPD ist immer noch die stärkste Partei im Bundestag, aber sie stellt in der Bundesregierung zu viele schwache Leute. Dabei gibt es sie, die profilstarken Genossen – nur bekleiden sie die falschen Ämter:

  • Parteichef Lars Klingbeil ist ein geschickter Stratege mit starker Medienpräsenz. Ihm wäre zuzutrauen, als Innenminister die schwierige Migrationsfrage zu lösen (oder wenigstens geräuschlos zu managen). Dass er kein Jurist ist, eigentlich eine Voraussetzung für das Amt, darf in dieser prekären Lage kein Hinderungsgrund sein. Und die Partei können Saskia Esken und Kevin Kühnert auch allein zusammenhalten.
  • Andrea Nahles kann so geschliffen und schlagfertig reden wie wenige andere Politiker und hat ihre Karenzzeit nun lange genug auf B-Posten abgesessen. Wie wäre es mit dem Arbeitsministerium – und dessen bisheriger Hausherr Hubertus Heil erlöst Frau Geywitz von ihren Baustellen?
  • Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher ist nicht nur ein erfahrener Verwaltungsexperte, sondern auch ein respektierter Mediziner. Karl Lauterbach nur Letzteres. Tschentscher könnte die kniffligen Konflikte in der Gesundheitspolitik schlichten und gleichzeitig der Ampeltruppe die dringend benötigte Seriosität einhauchen.

Klingt alles logisch? Finde ich auch. Warum wird Olaf Scholz eine Kabinettsumbildung trotzdem verweigern? Nein, nicht weil die Neuen in ihren bisherigen Ämtern unverzichtbar wären. Die SPD ist drauf und dran, in zwei Jahren das Kanzleramt zu verlieren. Will sie den Trend noch umkehren, muss sie jetzt damit beginnen. Der Grund ist ein anderer: Olaf Scholz hält sich für klüger als so ziemlich alle anderen politischen Geister in diesem Land, an einmal gefällten Entscheidungen hält er eisern fest. Deshalb nahm er auch das flehentliche Rücktrittsgesuch der überforderten Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erst dann an, als es gar nicht mehr anders ging.

Was gestern Frau Lambrecht war, ist heute Frau Faeser: Selbst in der SPD finden einige, dass sie als Bundesinnenministerin nicht mehr zu halten ist, berichtet unser Reporter Johannes Bebermeier. Trotzdem hat ihr Scholz gestern demonstrativ den Rücken gestärkt. Das kann man nobel finden. Oder für einen schweren politischen Fehler halten. Immer mehr Genossen werden nervös: Die Erfolge, die Scholz ihnen versprochen hat, bleiben aus. Der Traum von einer mindestens achtjährigen Kanzlerschaft beginnt sich in den Albtraum eines scheiternden Regierungsbündnisses zu verwandeln. Sie ahnen: Macht der Kanzler noch lange mit dieser Mannschaft weiter, können sie wohl eine zweite Legislaturperiode abhaken. Da braut sich was zusammen.


Ohrenschmaus

Die Folgen der Wahlen in Hessen und Bayern sind viel weitreichender, als manche Beobachter meinen. Unser Politikchef Christoph Schwennicke erklärt sie gemeinsam mit mir hier im Video-Podcast. Da geht's ans Eingemachte, ich weiß. Und weil ich außerdem weiß, dass Christoph meinen Musikgeschmack teilt, empfehle ich Ihnen (und dem Kanzler) anschließend etwas richtig Lautes, um den Kopf wieder freizubekommen: Wer das hier aushält, übersteht auch den nächsten Zoff mit dem Christian und dem Robert.


Hass, Rache – und ein Quäntchen Hoffnung

Die Bilder aus Israel sind kaum zu ertragen. Leichen auf den Straßen, Blutlachen, Häuserkämpfe. Die palästinensischen Hamas-Terroristen haben die Hölle geöffnet und rühmen sich nun ihrer barbarischen Taten. Abscheulicherweise finden sie vielerorts in der arabischen Welt, aber auch bei manchen Arabern hierzulande Zustimmung. Als empathischer Mensch fragt man sich in solchen Momenten, wie brutal und wie abgestumpft jemand sein muss, der die Ermordung tanzender Jugendlicher und wehrloser Kinder bejubelt.

Oder wie verzweifelt. Der Gazastreifen ist ein mit zwei Millionen Menschen völlig überfülltes Freiluftgefängnis, in dem sich die Lebensperspektive mehr oder weniger auf zwei Optionen beschränkt: entweder Hungerleider oder Hamas-Kämpfer. Viele junge Palästinenser empfinden dieses Leben als Hölle und sehen nicht ein, dass ihnen verwehrt bleibt, was Israelis auf der anderen Seite des Zaunes genießen: Freiheit, Wohlstand, Besitz. So werden sie zu fügsamen Figuren in den Händen der Hamas-Agitatoren und zu Mördern in den Killerkommandos der Terroristen.

Auch denen geht es um Besitz: den Besitz des Bodens im Heiligen Land. Jeden Zentimeter wollen sie von den Juden zurückerobern, so haben sie es geschworen. Gestern Abend drohten sie, ihre Geiseln zu erschießen, falls die israelische Luftwaffe weiterhin Ziele in Gaza bombardiert. Aber genau das hat die Armee vor; eilig wurden Hunderttausende Reservisten mobilisiert. Der jüdische Staat ist bis ins Mark erschüttert; und seine Antwort wird brutal ausfallen. "Israel wird mit aller Kraft zurückschlagen", prophezeit Oberst Markus Reisner im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke. "Um ohne jeden Zweifel klarzumachen, dass eine solche Attacke für die Verantwortlichen nicht ohne härteste Konsequenzen bleiben wird. Von israelischen Ministern und Generalstabschefs gibt es bereits sehr zugespitzte Aussagen, wonach die Hamas bald Geschichte sein solle. Sie wollen die Hamas auslöschen."

Auch bei diesen Schlägen sterben Hunderte Zivilisten – durch Beschuss und wohl auch durch Blockade. "Wir belagern Gaza vollständig", kündigt Verteidigungsminister Joav Gallant martialisch an. "Kein Essen, kein Wasser, kein Gas, alles ist gekappt. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln entsprechend."

Massenmorde hier, Entmenschlichung der Gegner dort: So eskaliert die Gewalt in Nahost, dreht sich die Spirale aus Hass und Rache immer weiter, angetrieben von gewissenlosen Anführern in Gaza und Teheran sowie von kompromisslosen Politikern in Jerusalem. Es ist erschütternd.

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So gering sie auch ist, bleibt aber dennoch die Hoffnung, dass die Feinde irgendwann wieder miteinander reden. Historische Parallelen gibt es durchaus. Nach 200 israelischen und 1.200 palästinensischen Todesopfern gelang es Anfang der 1990er Jahre, die erste Intifada durch Diplomatie, Kompromisse und den langsamen Aufbau von Vertrauen zu beenden: Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin reichte PLO-Chef Jassir Arafat die Hand. Ach, gäbe es doch heute wieder einen wie Rabin!


Was steht an?

Heute ist der Welttag der seelischen Gesundheit. Den können wir angesichts der bitteren Nachrichtenlage gut brauchen. Ich für meinen Teil werde am Abend mit lieben Menschen etwas Schönes unternehmen.


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Der Internationale Währungsfonds stellt seine Prognose für die Weltwirtschaft vor. Auch diese Entwicklung entscheidet darüber, ob Deutschland bald aus der Krise herausfindet.


Die deutsch-französische Kabinettsklausur in Hamburg endet. Kanzler Scholz und Präsident Macron wollen den politischen Stillstand zwischen den beiden wichtigsten EU-Ländern beenden. Dafür müssten sie aber erst mal zu führen beginnen.


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Zum Schluss

Ach ja, die Ampelleute …

Wie auch immer Sie politisch denken, ich wünsche Ihnen einen dynamischen Tag. Morgen schreibt Heike Vowinkel den Tagesanbruch.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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