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Sahra Wagenknecht und die Linke: Trennungen sind schmerzhaft


Tagesanbruch
Wagenknechts letzter fieser Trick

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 07.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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Sahra Wagenknecht: Sie geht – aber nicht so ganz. (Quelle: IMAGO/RAINER UNKEL/imago-images-bilder)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

Trennungen sind oft schmerzhaft und werden schnell dreckig. Letzteres passiert gerne dann, wenn es gemeinsame Kinder, Haustiere, Immobilien, Projekte, also geteilte Verantwortung und Besitz gibt. Wenn man eigentlich gar nicht mehr miteinander will oder kann, aber man wegen äußerer Faktoren nicht voneinander loskommt.

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Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kunst- und Musikgeschichte lebt vom Schmerz solcher Zeiten. "Go Your Own Way", also: Geh deinen eigenen Weg, textete Fleetwood-Mac-Gitarrist Lindsey Buckingham 1977 wütend. Fleetwood-Mac-Sängerin Stevie Nicks hatte sich gerade von Buckingham getrennt, in der Band allerdings blieben alle beide.

"Am Boden zerstört" sei er gewesen, sagte Buckingham. "Und doch musste ich Hits für sie machen." Seine Wut und den Frust verarbeitete Buckingham nicht nur in diesem Song – was wiederum Wut und Frust bei Nicks verursachte. Ein Perpetuum Mobile der Verletzung.

Ähnlich verquast verläuft gerade die Scheidung zwischen Sahra Wagenknecht und der Linken. Das politische Duo Infernale hat sich nach Jahren der Verletzung, ja Verstümmelung, endlich offiziell getrennt – aber kommt doch noch nicht so richtig voneinander los.

Der Grund? Seit Jahren kritisiert Wagenknecht die Linke, seit Monaten torpediert sie sie öffentlich. Mit dem Plan, eine eigene Partei zu gründen, ging sie in den Medien hausieren, schimpfte auf die Linke und warb um deren Mitglieder und Wähler – während sie für die Linke im Bundestag saß, wegen der Linken eine saftige Diät kassierte, von der Macht ihres Linken-Mandats zehrte. In der Parteizentrale und in den Linken-Büros war man erst entsetzt, dann zunehmend konsterniert über die Dreistigkeit, mit der die eigene Genossin agierte.

Als Wagenknecht dann vor zwei Wochen gemeinsam mit neun anderen Abgeordneten ihren Austritt aus der Linken bekannt gab, seufzten viele in der Partei selig und befreit: "Endlich!" Doch der ganz große Befreiungsschlag blieb aus. Denn Wagenknecht spielte einen letzten fiesen Trick im Scheidungsdrama.

Sie und ihre Mitstreiter traten zwar aus der Partei Die Linke aus, nicht aber aus der Fraktion im Bundestag. Trotz Konkurrenzprojekt, trotz heftiger Ablehnung ihrerseits, trotz völlig vergifteter Verhältnisse behielten sie ihre Mandate und beantragten, in der Fraktion bleiben zu dürfen. Wagenknecht blieb damit ihrer Linie gegenüber der Linken bis zum Ende treu: Noch einmal Foltern fürs Gefühl.

Von einem "höchst unmoralischen 'Diebstahl'" sprach Gregor Gysi angesichts dieser Taktik. Schließlich war die 2021 bereits auf unter fünf Prozent Zustimmung geschrumpfte Linke nur noch dank dreier gewonnener Direktmandate in den Bundestag eingezogen – Gysi hatte eines davon geholt, Wagenknecht keines. Zurückgeben sollten die zehn Abtrünnigen ihre Mandate, auf dass neue Linke nachrücken könnten, forderte Gysi. Vergeblich.

Nun muss die Fraktion den finalen Trennungsschritt selbst gehen, indem sie Wagenknechts Antrag ablehnt, die zehn Abgeordneten verstößt – und sich damit selbst den vorläufigen Todesstoß versetzt. Die so geschrumpfte Linke nämlich wird im Bundestag ihren Status als Fraktion verlieren. Damit büßt sie zentrale Rechte im Parlament und viele Finanzmittel für Büros und Angestellte ein.

Als "Gruppe" können die rund 28 verbliebenen Linken dann in Zukunft zwar vermutlich weiterarbeiten. Der Ältestenrat aber, der sich aus Vertretern aller Fraktionen im Bundestag zusammensetzt, muss darüber entscheiden, welche Rechte ihnen dann zugestanden werden. Und zunächst einmal sind die Folgen für die Linke bitter: Rund 100 Mitarbeiter wird sie aus ihren Büros entlassen müssen. Auch Kleine Anfragen, ein wichtiges Werkzeug der Opposition im Parlamentarismus, dürfen ihre Abgeordneten dann nicht mehr stellen.

Letzteres hat auch Auswirkungen auf Medien und Öffentlichkeit. Denn die Linke hat Experten in ihren Reihen, die auf von anderen Parteien wenig beackerten Feldern arbeiten und fleißig erhellende Anfragen stellen – Rechtsextremismus, Waffenrecht und Abschiebungen, um nur drei Themen zu nennen. Praktische Arbeit und Felder, die Wagenknecht und ihre Mitstreiter wenig interessieren.

Trotz aller negativer Konsequenzen: Die Rest-Linke hat endgültig die Nase voll von Wagenknecht, sie will die Trennung nun rigoros vollziehen. Infrage steht nur noch das "Wann", nicht mehr das "Ob". An diesem Dienstag tagt die Linken-Fraktion und diskutiert, spätestens in der nächsten Woche wird sie wohl über Wagenknechts Antrag auf Verbleib in der Fraktion entscheiden. Kurz darauf nämlich steht der Bundesparteitag der Linken an – Wagenknecht soll dieses Treffen nicht schon wieder überschatten.

Und die Marschrichtung in der Fraktionsfrage ist klar: Die Trennung müsse nun schnell vollzogen werden, sagte Parteichefin Janine Wissler am Montag. Es bestehe "vollkommene Einigkeit darüber, dass man mit einer Partei, die konkurrierend zur Linken ist, nicht in einer Fraktion bleiben kann". Noch deutlicher wurde Dietmar Bartsch: Die Linke lebe, die Fraktion aber sei "politisch tot".

Als Gruppe also soll es weitergehen für die Linke im Bundestag. Und auch sonst bemüht sich die Partei, nach vorne zu blicken: Am Wochenende haben ihre Spitzen aus Bund und Ländern sich getroffen und ein Papier zur Wirtschafts- und Industriepolitik verabschiedet. Beim Bundesparteitag dann soll neues Personal vorgestellt, die Kandidaten für die Europawahl, die Strategie für die Landtagswahlen im Osten beraten und mit der Basis ein Schlussstrich unter das Kapitel Wagenknecht gezogen werden.

Erste Hinweise deuten derweil vorsichtig darauf hin, dass der Abgang ihres prominentesten Mitglieds die Linke nicht schwächen, sondern stärken könnte: Zum einen hat die Partei außer den neun Abgeordneten im Bundestag keine prominenten Mandatsträger an Wagenknecht verloren. Der große Exodus ist bisher ausgeblieben. Und auch an der Basis gab es in den vergangenen Wochen Bewegung – allerdings, so die Linken-Spitze, seien mehr Menschen in die Partei eingetreten oder zurückgekehrt als ausgetreten.

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Zweitens und mindestens ebenso wichtig: In den Umfragen, in denen als neue Option das "Bündnis Sahra Wagenknecht" angeboten wird, hat die Linke bisher keinen Prozentpunkt an ihre ehemalige Mitstreiterin abtreten müssen. Stattdessen scheinen vor allem die AfD, die Union und die SPD Wähler an die neue Kraft zu verlieren.

Für Fleetwood Mac wurde das aus Trennungsschmerz geborene Album, auf dem sich "Go Your Own Way" findet, zu einem ihrer größten Hits. Ganz so groß dürfte der Erfolg der Linken nach der Scheidung von Wagenknecht zwar nicht ausfallen. Das politische Ende aber muss für sie nicht zwangsläufig folgen. Schon das wäre mehr, als viele erwartet hatten.


Schwere Geburt

Schon vor dem Gipfel von Bund und Ländern am Montag krachte es ordentlich. Dabei sollte Migration das wichtigste Thema sein – und da sind alle Parteien bemüht, zumindest den Anschein zu vermitteln, an einem Strang zu ziehen. Überraschend aber brachten die von CDU, CSU und dem Grünen-Realo Kretschmann regierten Bundesländer neue Forderungen zum Treffen in Berlin und forderten unter anderem Asylverfahren außerhalb Europas.

Schon die Vorabdiskussionen zwischen den Länderchefs uferten deswegen aus, das Gespräch mit Kanzler Scholz startete mit drei Stunden Verspätung.

Einen kleinen Etappenerfolg verkündeten die Ministerpräsidenten Boris Rhein (Hessen, CDU) und Stephan Weil (Niedersachsen, SPD) kurz bevor die Abendnachrichten starteten: Das gut vorbereitete Paket zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung wurde beschlossen. Das bedeutet: In Zukunft soll es sehr viel weniger Bürokratie, sehr viel mehr Tempo unter anderem beim Bau von Stromleitungen, Mobilfunkmasten, Wohnungen, Straßen und Brücken geben.

In der Nacht kam es dann noch zu weiteren Einigungen, auch beim Streitthema Migration. Einen Überblick dazu finden Sie hier.

Heute wollen um 11 Uhr CDU-Chef Friedrich Merz und Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (ebenfalls CDU) vor den Kameras Bilanz ziehen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) will das in Potsdam vor einer Landrätekonferenz bereits ab 9.30 Uhr tun.


Was steht noch an?

In Tokio kommt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit ihren Amtskollegen aus den G7-Ländern, also aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, USA und Großbritannien, zusammen. Hauptthemen werden dabei der Kampf Israels gegen die Hamas sowie der Ukraine gegen Russland sein. In Berlin diskutieren Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hingegen ab 9 Uhr auf einem Gipfel mit der Maschinenbau-Branche.


In Leipzig beginnt um 9 Uhr der Prozess gegen Gil Ofarim. Der Musiker hatte im Oktober 2021 in einem Video, das viral ging, Antisemitismus-Vorwürfe gegen ein Leipziger Hotel erhoben. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft allerdings hat sich der Vorfall nicht so zugetragen. Ofarim muss sich nun wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung vor Gericht verantworten.


Was lesen?

26 Jahre lang stand Hans Meiser beim Privatsender RTL vor der Kamera. Als Talkshow-Pionier schrieb er TV-Geschichte, mit der Sendung "Notruf" wurde er zur Legende in deutschen Haushalten. Nun ist Meiser gestorben. Mein Kollege Steven Sowa beschreibt in seinem Nachruf eine Karriere, die auch ihre Schatten hatte.


Bei einer hitzigen Sitzung hat der ehemalige US-Präsident Donald Trump in seinem Betrugsprozess ausgesagt. Sein Image als erfolgreicher Geschäftsmann bröckelt. Doch Trump schlägt auch daraus wieder Profit, wie USA-Korrespondent Bastian Brauns erklärt.


Bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Essen wurden auch Fahnen geschwenkt, die an islamistische Gruppen wie den IS erinnern. Wie blicken Menschen darauf, die einst vor den Islamisten geflohen sind? Meine Kollegin Marianne Max hat sie gefragt.


Zum Schluss

Bewerbungsgespräche 2023:

Ich wünsche Ihnen einen guten Dienstag. Morgen startet Florian Harms wieder mit Ihnen in den Morgen.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @AnnLei1

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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