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Essen | Islamistische Banner auf Pro-Palästina-Demo


Islamistischer Aufmarsch in Essen
"Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft handeln"

  • Marianne Max
Von Marianne Max

06.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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Eine Fahne mit arabischer Schrift weht bei der Kundgebung: Bei der Demo in Essen wurden islamistische Banner gezeigt. (Quelle: Christoph Reichwein/dpa)

Bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Essen wurden auch Fahnen geschwenkt, die an islamistische Gruppen wie den IS erinnern. Wie blicken Menschen darauf, die einst vor den Islamisten geflohen sind?

Frauen und Männer laufen strikt voneinander getrennt – und an der Spitze der Demonstration wehen zahlreiche islamistische Flaggen: In Essen hatten sich am Freitag rund 3.000 Menschen zu einer vermeintlich pro-palästinensischen Demonstration versammelt. Wie die Polizei später feststellte, wurde schnell deutlich: Der bei der Polizei angegebene Versammlungsgrund "Pro Palästina" war möglicherweise nur vorgeschoben.

Statt sich mit der Zivilbevölkerung in Gaza zu solidarisieren, die aktuell unter der Terrororganisation Hamas sowie israelischen Luftschlägen leidet, wurden bei der Kundgebung extremistische und anti-israelische Ziele verfolgt. Mit Schildern und schwarzen Bannern der in Deutschland verbotenen islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir forderten mehrere Teilnehmer etwa die Errichtung eines Kalifats. Einige weiße Fahnen erinnerten zudem an die der islamistischen Taliban, die seit 2021 in Afghanistan herrschen.

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Ihre Anhänger eint eine islamistische Ideologie, für die sie andere Muslime, Atheisten, Angehörige anderer Religionen, Frauen oder Homosexuelle notfalls mit Gewalt zu ihrer Lebensweise, ihrem extremistischen Glauben zwingen. Viele Menschen, die selbst oder deren Familie vor einem solchen Islamismus aus ihren Heimatländern nach Deutschland flüchten mussten, sind in tiefer Sorge. t-online hat mit einigen von ihnen Kontakt aufgenommen.

"Ablehnung des radikalen Islam ist Teil unserer Genetik"

Bardia Razavi, ausgewandert aus Iran wegen des islamistischen Regimes

"Meine Eltern entschieden sich in den 80ern, die Islamische Republik Iran zu verlassen – in dem Streben nach einem Neuanfang in einem freien westlichen Land. Die postrevolutionäre Gesellschaft des Iran hatte ihnen die Luft zum Atmen abgeschnürt. Ich bin 1983 in Teheran geboren, verbinde aber keine Kindheitserinnerungen mit dem Land, weil ich bereits als Kleinkind nach Hamburg kam und mich die Stadt seitdem nicht mehr losgelassen hat.

Obwohl ich mich kaum an den Iran erinnern kann, ist die Auswanderungsgeschichte meiner Familie Teil meiner Vita. Die Ablehnung des radikalen Islam ist Teil unserer Genetik als Deutsch-Iraner. Die Auswanderung unserer Familien war mit der Hoffnung verbunden, nie wieder Opfer radikaler Islamisten zu werden. Wenn ich in Essen Menschen mit islamistischen Flaggen sehe, erlebe ich ein persönliches Retrauma in Echtzeit."

"Diese Flaggen symbolisieren Jahre des Terrors und der Gewalt"

Wadud Salangi, afghanischer Journalist aus Berlin

"Als Journalist, der 2021 vor den Taliban in Afghanistan geflohen ist und weiterhin über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan berichtet, ist es ein zutiefst beunruhigender Anblick, Demonstranten zu sehen, die diese Fahnen schwenken. Dies erinnert uns schmerzlich an die gnadenlose Brutalität, die wir erlebt haben.

Es ruft schmerzliche Erinnerungen an den 20. Januar 2016 wach, als ein Selbstmordattentäter der Taliban sieben unserer engagierten Kollegen bei Tolonews brutal tötete und 18 weitere verletzte. Ebenso werden die Schrecken der IS-Gruppe lebendig, die 2018 zwei meiner engsten Freunde und Kollegen aus Afghanistan in einem Selbstmordattentat tötete, das gezielt auf mich und einige andere Kollegen abzielte.

Diese Flaggen symbolisieren Jahre des Terrors und der Gewalt. Es ist inakzeptabel, sie im Herzen Europas zu sehen. Die deutsche Regierung sollte nicht nur diese Demonstranten und ihre Online-Unterstützer festnehmen, sondern auch entschlossen gegen diese Ideologien vorgehen. Wir dürfen ihnen nicht erlauben, Wurzeln zu schlagen."

"Den Aufruf zum Dschihad zu hören, macht mir Angst"

Suhrab (Name geändert), geflohen vor der Taliban-Herrschaft in Afghanistan

"Viele von uns, die nach Deutschland gezogen sind, taten dies, um von Orten wegzukommen, an denen strenge islamische Regeln den Menschen kein freies Leben erlauben. Aber jetzt sehen wir in Deutschland Flaggen und Schilder, die die extremistischen Gruppen unterstützen, die wir hinter uns gelassen haben. Das ist beunruhigend, denn Deutschland sollte ein Ort sein, an dem jeder seine eigenen Überzeugungen haben und ohne Angst leben kann.

In Afghanistan zum Beispiel haben die Taliban viele Aspekte des Lebens eingeschränkt, insbesondere für Frauen und Mädchen, und ihnen Bildung und grundlegende Menschenrechte vorenthalten. Wenn ich jetzt sehe, wie die Taliban und ähnliche Gruppen in Deutschland bei Demonstrationen ihre Flaggen hissen, habe ich Angst, dass die Freiheit hier in Deutschland in Gefahr sein könnte.

Wir sind nach Deutschland gekommen, weil es hier fair zugeht und wir ein Leben ohne die Angst führen wollen, die wir zu Hause hatten. Aber zu sehen, wie diese Gruppen gelobt werden, und den Aufruf zum Dschihad zu hören, macht mir Angst. Ich frage mich, warum Menschen aus ihren Heimatländern fliehen, wo der islamische Extremismus das soziale Gefüge der Gesellschaft zerstört hat, nur um dieselben Ideologien zu unterstützen, die eine große Gefahr für die europäischen Werte und die Demokratie darstellen."

"Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft handeln"

Mahsa Haddadi, Menschenrechtsaktivistin der Initiative Hamrah.united

"Ich bin aus dem Iran geflohen, weil dort der Terror durch Islamisten den Alltag regiert. Für mich war es ein Albtraum, in einem Land zu leben, in dem extremistische Ideologien und Gewalt die Norm waren. Deshalb macht es mich heute umso besorgter zu sehen, wie solche Gedanken und Ideologien sich hier in meiner zweiten Heimat verbreiten. [...]

Die jüngsten Ereignisse in Essen werfen ein alarmierendes Licht auf die aktuelle Situation in Deutschland. Die Tatsache, dass extremistisches Gedankengut bei Pro-Palästinenser-Demonstrationen präsent ist, beunruhigt mich zutiefst. Es ist bedauerlich, dass berechtigte Kritik am Vorgehen im Gazastreifen von solchen Extremisten gekapert wird. Oft frage ich mich, ob die Menschen, die "Free Palästina" rufen, wirklich verstehen, wofür sie kämpfen und welche Auswirkungen die Ideologien eines Kalifats haben können. [...]

Persönlich habe ich oft das Gefühl, nicht vollständig zu dieser Gesellschaft zu gehören. Dies zeigt sich in positiven Äußerungen wie "Sie sprechen aber gut Deutsch", aber auch in negativen Erfahrungen, wenn ich mit Rassismus im Alltag, in der Schule und im Arbeitsleben konfrontiert bin. [...] Die Lücke, die durch dieses Gefühl der Entfremdung entsteht, wird von Extremisten ausgenutzt, um junge Menschen anzuziehen.[...]

Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft handeln. Nicht durch rassistische Narrative oder Abschottungstaktiken, sondern durch Aufklärung und Bildung. Wir sollten uns bewusst machen, dass dies der Weg ist, um unsere Gesellschaft vor extremistischem Gedankengut zu schützen und gleichzeitig unsere Werte und Prinzipien zu verteidigen."

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Dafür muss ich einen neuen Wortschatz finden

Saba Farzan, Vorsitzende des FDP-Ortsverbandes Gendarmenmarkt und Mitglied im Landesvorstand der Berliner FDP

"Was machen solche hasserfüllten und antidemokratischen Demonstrationen mit einer deutsch-iranischen Liberalen? Einem früheren sechsjährigen politischen Flüchtlingskind? Dafür muss ich einen neuen Wortschatz finden, weil es mich und so viele Freunde mit ähnlicher Biografie bis ins Knochenmark erschüttert.

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Der politische Islam löscht im Nahen Osten Menschenleben aus und er bedroht in Europa unsere innere Sicherheit – es ist wohl die letzte Chance, die unsere freie und säkulare Welt noch hat, sich zu wehren. Wie? Durch die volle Härte des Rechtsstaates. In meinem politischen Wirken setze ich mich dafür ein – auch weil ich in diesem Leben nicht noch einmal ein Land verlieren werde."

"Mit Verboten allein wird das Problem nicht verschwinden"

Navid Wali ist pädagogischer Mitarbeiter einer Beratungsstelle gegen religiös begründeten Extremismus. Auf Instagram ist er in der Extremismus-Prävention aktiv

"Ich bin 1990 inmitten eines jahrzehntelang geführten Konfliktes in Afghanistan geboren,[...] 1992 beschlossen meine Eltern, die Flucht anzutreten. Über Nacht mussten sie ihre gesamte Existenz aufgeben und aufgrund von Machtkämpfen islamistischer Milizen die Flucht in die Ungewissheit antreten.

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Ich bin entsetzt und sprachlos über die Genehmigung der Demonstration in Essen, die von der dem Verfassungsschutz bekannten Hizb ut-Tahrir nahestehenden "Generation Islam" durchgeführt wurde. Insbesondere aufgrund der seit dem 7. Oktober aktuellen Entwicklungen hätte ich nicht damit gerechnet, dass wir mit solch einer Machtdemonstration einer islamistischen Organisation auf deutschen Straßen konfrontiert werden würden. [...]

Ich thematisiere seit Jahren die Gefahr dieser Hizb ut-Tahrir nahestanden extremistischen Bewegungen und erwarte, dass die Verantwortlichen für diese Genehmigung zur Rechenschafft gezogen werden. [...]

Mit Verboten allein wird aber das Problem nicht verschwinden, daher ist es umso wichtiger muslimisch-migrantisch geführte zivilgesellschaftliche Organisation sichtbarer zu machen und stärker zu fördern. Die Gegennarrative müssen mindestens genauso viel gesellschaftliche und mediale Aufmerksamkeit bekommen, wie es aktuell bei diesen extremistischen Gruppierungen der Fall ist."

"Kein Zeichen des Friedens für Gaza"

Nesam Halim, Politikwissenschaftler in Frankfurt am Main

"Ich war fassungslos und sprachlos, nachdem ich Bilder und Videos von den Demonstrationen in Essen am Freitag und von einer kleineren Demonstration in Frankfurt vor ungefähr einer Woche gesehen habe. Familienmitglieder und Freunde von mir, die vor den Mudschahedin, den Taliban, dem radikalen Extremismus und Fundamentalismus geflohen sind, wurden durch die Bilder und Videos retraumatisiert. [...]

In keiner Rede auf der Demonstration in Essen oder in Frankfurt hat man sich von der Taliban, dem IS oder der Hamas abgegrenzt, die dieselben Flaggen nutzen. Diese Demonstrationen waren für mich kein Zeichen des Friedens für Gaza und sie haben dem gerechtfertigten Anliegen, auf das Leiden der Palästinenser aufmerksam zu machen, geschadet. [...]

Von der Bundesregierung erwarte ich, dass sie diese Gruppierung nicht mit der muslimischen Mitte verwechseln. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung die Thematik differenzierter behandelt und die Bestärkung von Islamophobie in der Gesellschaft und in den Medien nicht fördert. Es muss klar sein, dass wir uns nicht gegen den Islam oder das islamische Glaubensbekenntnis positionieren, aber gegen den Antisemitismus und die Hassbotschaften aus den Demonstrationen. [...] Die Demonstration in Essen wird von der Mehrheit der muslimischen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland abgelehnt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • bpb.de: "Die Hizb ut-Tahrir in Deutschland"
  • tagesschau.de: "Islamistische Banner bei Demo in Essen"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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Meinung|Beschlüsse auf dem FDP-Parteitag
  • Florian Schmidt
Von Florian Schmidt



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