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Auto| Unfallforscher zu Tempo 130: Es gibt etwas Besseres als Tempolimits


Streit um Tempolimit
"Tempo 130: Für Nutzen fehlen die Beweise"

InterviewVon Markus Abrahamczyk

Aktualisiert am 07.07.2021Lesedauer: 3 Min.
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Tempo 130: Man habe versäumt, den Nutzen von Tempolimits zu testen, sagt UDV-Leiter Siegfried Brockmann.Vergrößern des Bildes
Tempo 130: Man habe versäumt, den Nutzen von Tempolimits zu testen, sagt UDV-Leiter Siegfried Brockmann. (Quelle: Ralph Peters/imago-images-bilder)

Auf einmal ist er wieder da: der Streit über Tempo 130. Im Grunde wüssten wir aber gar nicht, worüber wir da eigentlich diskutieren, sagt ein Experte. Ohnehin gebe es eine bessere Lösung als das starre Tempolimit.

Die Diskussion über das Tempolimit auf deutschen Autobahnen rückt näher ins Zentrum des Wahlkampfs. SPD und Grüne wollen es, eine Mehrheit der Deutschen auch. Selbst die Autoindustrie sieht sich davon nicht mehr großartig bedroht.

FDP, CDU und CSU hingegen stellen sich weiterhin quer: Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet nennt die Debatte über ein pauschales Tempolimit "unlogisch".

Was also bringt Tempo 130 eigentlich? Niemand wisse das so recht. Denn es fehlten die nötigen Daten, sagt Siegfried Brockmann. Ohnehin gebe es bessere Lösungen als ein starres Tempolimit, erklärt der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gespräch mit t-online.

t-online: CDU-Chef Armin Laschet hat sich einmal mehr gegen ein pauschales Tempolimit auf deutschen Autobahnen ausgesprochen und dafür viel Kritik erhalten. Was sagen Sie als Unfallforscher?

Siegfried Brockmann: Tempolimit ist nicht gleich Tempolimit. Hier muss man genau hinsehen: Lehnt man ein Tempolimit prinzipiell ab? Eines von 130 km/h? Oder nur ein generelles Limit? Aus der Wissenschaft wissen wir leider nur sicher: Wenn langsamer gefahren wird, dann sind die Anhaltewege kürzer und die Crashenergie wird kleiner. Darüber hinaus gibt es wenige sichere Daten, auf die wir zurückgreifen können. Die einzige verlässliche Untersuchung hierzu stammt von der BASt (Bundesanstalt für Straßenwesen) und ist aus den 70er-Jahren. Für den Nutzen von genau Tempo 130 haben wir deshalb keine Evidenz: Wissenschaftlich betrachtet gibt es niemanden, der sagen kann, was es konkret bringt. Tempo 130 ist deshalb eher eine beliebige Geschwindigkeitsgrenze als eine irgendwie wissenschaftlich argumentierbare.#

Das müsste so nicht sein.

Richtig. Ich habe, genau wie andere Experten, immer wieder gesagt: Lasst es uns großflächig untersuchen. Und zwar nicht nur mit Tempo 130, sondern auch mit anderen Limits. Dann wüssten wir heute längst, ob Tempo 130 überhaupt der richtige Wert ist. Baden-Württemberg wollte das mal machen, aber der Bund hat immer blockiert, was ich persönlich sehr bedaure.

Wenn aber eine – zwar knappe – Mehrheit der Deutschen für dieses Tempolimit ist, kann es doch nicht ganz falsch sein, es einfach zu beschließen?

Eine Mehrheit der Deutschen: Ja. Aber wohl keine Mehrheit der Autofahrer.

Den Preis für das Rasen weniger Autofahrer – etwa Umweltschäden und hohe Unfallfolgekosten – muss aber die gesamte Gesellschaft bezahlen.

Wir würden die Einhaltung eines solchen Tempolimits künftig nicht stärker kontrollieren und durchsetzen können als bislang. Deshalb ist es nicht egal, ob eine Maßnahme grundsätzlich akzeptiert wird – oder eben nicht. Die Diskussion der Experten dreht sich übrigens weniger darum, ob ein Tempolimit sinnvoll ist oder nicht. Sondern, ob angesichts der technischen Möglichkeiten nicht intelligentere Lösungen als starre Limits möglich wären.

Nämlich?

Nämlich mit Wechselverkehrszeichen. Das muss nicht immer an Schilderbrücken sein, sondern geht auch deutlich günstiger. Dadurch könnte eine Verkehrszentrale den Verkehr gezielt steuern, indem sie beispielsweise das erlaubte Höchsttempo senkt, wenn es nötig ist. Und zwar bei Bedarf auch runter auf deutlich weniger als Tempo 130. Davon könnten wir am Ende mehr Nutzen haben als von einer starren Grenze von 130 km/h. Man könnte ein Tempolimit also auch positiv gestalten. Man muss aber auch bereit sein, das nötige Geld dafür auszugeben.

Wird es mit dem autonomen Auto nicht ohnehin im Grunde zu Tempo 130 kommen?

Das passt auf der Zeitschiene nicht zur aktuellen Diskussion. Bis Autos wirklich komplett autonom auf der Autobahn fahren, also ohne dass es noch Fahrer braucht, wird es noch 15 Jahre dauern. Die Elektrifizierung ist allerdings schneller. Und Fahrer eines E-Autos wollen hohe Reichweiten. So mancher fährt deshalb ökonomischer, also unter anderem auch langsamer.

Volkswagen-Chef Herbert Diess folgert daraus, dass ein Tempolimit unnötig ist.

In den nächsten zehn Jahren wird der Anteil der Verbrenner ja noch deutlich überwiegen und damit das Geschwindigkeitsniveau bestimmen. Da sehe ich ein Tempolimit eher als Verkaufsargument pro Elektroauto.

Auch manche Fahrassistenten mögen keine Raser.

Zumindest haben sie damit ihre Schwierigkeiten. Der automatische Spurwechsel-Assistent beispielsweise ist bereits weitverbreitet. Schon in den kommenden drei Jahren wird hier Level 3 erreicht sein (was das bedeutet, erfahren Sie hier).

Ein automatisierter Spurwechsel muss auch ein Auto einberechnen, das mit Tempo 280 auf der linken Spur heranrast. Das kann schon ein Mensch kaum schaffen. Aber die Technik kann es schon gar nicht. Auch aus diesem Blickwinkel sind gleichförmigere Geschwindigkeiten sinnvoll.

Herr Brockmann, vielen Dank für das Gespräch.

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