Der Bentley Mulsanne
Insgesamt tritt der 5,57 Meter lange und 1,92 Meter breite Bentley Mulsanne erhaben, dominant und maskulin auf. Die bullige Front krönt auf Wunsch und gegen Aufpreis ein polierter Edelstahlgrill. Putzen möchten wir den nicht müssen.
Der Mulsanne präsentiert sich aus allen Perspektiven massiv und wie aus einem Guss, eine Skulptur auf vier Rädern. Die großen Rundscheinwerfer machen das Design des Bentley gefälliger als die eckigen Leuchten bei Rolls-Royce.
Gegen Aufpreis gibt es bei Bentley ein geflügeltes "B" als Kühlerfigur, die sich wie die berühmte Emily von Rolls-Royce in den Wind streckt oder der Orientierung dient.
Von der Seite erkennt man nicht nur den enormen Radstand von über drei Metern, sondern auch, wie hoch der Bentley ist. 1,52 Meter sind eine Hausnummer für eine Limousine – mit der Lift-Funktion wächst der Brite noch höher.
Das Heck spiegelt aus unserer Sicht nicht die Dynamik der Front wider. Unter dem optisch aufgesetzten Kofferraumdeckel ist Platz für 443 Liter – nicht viel für so ein großes Auto.
Im Komfortmodus gleitet er majestätisch über alle Unwegsamkeiten hinweg, während im Sportmodus die Lenkung deutlich fester und das Luftfahrwerk spürbar härter wird, aber weit entfernt von "hart" bleibt.
Überraschend direkt folgt unser Testwagen mit optionalen 21-Zoll-Rädern jedem Lenkbefehl, auch wenn sich das hohe Gewicht vor allem in engen Kurven bemerkbar macht.
Die Formensprache des Mulsanne lehnt sich an historische Vorbilder aus dem eigenen Haus, wie dem legendären "8 litre", an. Anders als bei Rolls-Royce öffnen sich die riesigen und schweren Türen konventionell und nicht gegenläufig. Geschlossen werden sie sanft mit der Servo-Softclose-Automatik.
Die Frage, ob selbst Fahren oder lieber gefahren werden, ist gar nicht einfach zu beantworten – beides ist reizvoll, luxuriös und extrem erholsam.
Alles was metallisch glänzt, ist auch Metall und kein Kunststoff, auf den Bentley fast komplett verzichtet hat. Dafür gibt es feinstes Leder wohin man sieht und fasst.
Die massiven Schalter und Lufteinlässe sind ein traditionelles Markenzeichen der britischen Luxusmarke, die seit 1998 zum VW-Konzern gehört.
Im Mulsanne finden sich erlesende Details en masse: Schon die Einstiegsleisten zeugen von der hohen Qualität …
... die sich auch bei dem Champagner-Kühler zwischen den Rücksitzen für fast 10.000 Euro zeigt.
Oder da wären die individualisierbaren Schreibutensilien, die dem Design des Innenraumes angepasst sind.
Das große Panoramaglasdach lässt viel Licht in den Innenraum hinein. Die elektrischen Sonnenschutz-Rollos schützen auch die Privatsphäre der Gäste im Fond.
Auf dem klassischen Drehzahlmesser sind selten über 2.000 Umdrehungen zu sehen, selbst wenn der Zeiger des Tachos nebenan mit Vehemenz in Richtung 296 marschiert.
Das feine Holz-Furnier verbirgt diskret dahinter moderne Technik von Audi inklusive des MMI-Bediensystems. Insgesamt finden sich an Bord des Mulsanne deutlich weniger Assistenzsysteme als in den deutschen Oberklassenlimousinen Audi A8, BMW 7er und Mercedes S-Klasse.
Die bewusst eingesetzte Technik verleitet nicht dazu, ständig rumzuspielen und auszuprobieren, was vielleicht auch ein Grund ist, warum wir uns im Bentley wie in kaum einem anderen Fahrzeug so entspannen konnten.
Bei Bentley steht man zunehmend vor der Herausforderung, einen Kompromiss zwischen moderner Elektronik und bewusstem Verzicht auf technische Spielereien zu finden.
Neben dem grandiosen Naim-Soundsystem gibt es vorne und auf Wunsch auch hinten, Bildschirme zum TV- oder DVD-Schauen. Ganz neu ist die Integration von iPads in die typischen Picknick-Tischchen aus Holz.
Dem Platzangebot und den Sitzen attestieren wir in beiden Reihen First-Class-Standard. Neben Sitzheizung gibt es optional auch Belüftung und Massage, letztgenannte allerdings nur mit einer Stärke.
Den Mulsanne gibt es als Viersitzer mit durchgehender Mittelkonsole hinten oder als Fünfsitzer mit zusätzlichem Mittelplatz. Hätten wir die Wahl, würden wir uns für die zweite Variante entscheiden, da sie die nahezu identischen Funktionen samt elektrischer Verstellung der Einzelsitze bietet.
Interieur wie Exterieur lassen sich mit Hilfe der nahezu unendlich langen Aufpreisliste entsprechend des eigenen Geschmacks in verschiedensten Farben und Varianten individualisieren.
Kontrastnähte, Rautensteppung oder gestickte Bentley-Logos – fast alle Wünsche sind realisierbar und werden per traditioneller Handarbeit im Werk in Crewe erfüllt.
Als Ergebnis der vielen Arbeitsstunden begeistert höchste Material- und Verarbeitungsqualität die Sinne.
Was viele gar nicht wissen: Queen Elisabeth II lässt sich seit vielen Jahren nicht mehr in einem Rolls-Royce, sondern in einer ihrer beiden Bentley State Limousinen chauffieren.
Der Achtzylinder Twin-Turbo-Motor mit traditionell sechs-dreiviertel Liter großem Hubraum ist leider von Plastik umringt, was den besonderen Charme so ansehnlicher Details wie der Namensplakette des Monteurs oder das zusätzliche Logo im Motorenraum trübt. Der Sound aus den beiden ovalen Endrohren ist im normalen Betrieb sehr dezent, aber bei Volllast deutlich als kerniger V8 wahrnehmbar. Das gefällt uns und wirkt nie störend oder unangemessen – ganz im Gegenteil.
Anders als die Continental-Baureihe, bei der es neben dem Zweitürer auch die Limousine gibt, zielt der noch größere und teurere Mulsanne eher auf konservatives Klientel.
Vom Mulsanne gibt es derzeit "nur" die von uns getestete Limousine. Wir fänden ein Coupé ebenso reizvoll, wie ein Cabrio oder einen praktischen Shooting Brake.
Von den besonderen Qualitäten und dem einzigartigen Charakter des über 300.000 Euro teuren Bentley Mulsanne zeigte sich unser Autor Christian Sauer sehr angetan.