Der Essensreste-Sammler
Der Pensionär, der vom Wohlstandsmüll lebtEugene auf seinem täglichen Streifzug durch seine Heimatstadt Nizza, Südfrankreich. Auf den ersten Blick sieht Eugene aus wie ein betagter Mann, der gerade seinen Einkauf erledigt. Doch der 87-jährige Rentner geht nicht in den Supermarkt, zum Metzger oder Bäcker, um Wurst, Brot, Milch, Obst und Gemüse zu besorgen - er geht täglich "containern": Er besorgt sich das, was er an Lebensmitteln benötigt, aus Mülltonnen und Containern. Mit seiner kärglichen Rente finanziert der Franzose seine Wohnung und sein betagtes altes Auto. Eric Gaillard, Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters, hat den französischen Pensionär, der vom Wohlstandsmüll lebt, mehrere Tage begleitet.
Eugene hat früher als Innenausstatter gearbeitet und ist seit 24 Jahren in Rente. Im letzten Jahr begann er Mülltonnen auf der Suche nach verwertbaren Lebensmittelabfällen zu durchforsten...
... und war erstaunt über die meist stattliche Ausbeute für einen Ein-Personen-Haushalt.
Ein ganz normaler Rentner, der von Lebensmittelabfällen lebt? Immerhin bezieht Eugene rund 1000 Euro Rente im Monat. Er könnte es sich durchaus leisten, im Supermarkt einzukaufen.
Seine Rente ist nicht üppig. Doch sie reicht aus, um die Unterhaltskosten für seine kleine Eigentumswohnung und seinen Kleinwagen zu bezahlen.
In seinem Auto verstaut er seine "Einkäufe" und fährt täglich seine Container-Route ab.
An bestimmten Abfallplätzen ist Eugene nicht der Einzige auf der Suche nach Essbarem. Denn Mülltonnen wie diese hier werden meist mehrmals am Tag mit frischer Ware bestückt.
Zum Beispiel mit Baguette und anderen Backwaren. Hier reißt sich der Rentner mit anderen Müllsammlern um Brot vom Vortag, das im Handel nicht mehr verkauft werden kann.
Dieser Container gehört zum benachbarten Supermarkt. Erfahrene Lebensmittelsammler tragen Plastikhandschuhe und rücken mit Einkaufswagen an.
Zwischen seinen täglichen Touren ruht sich Eugene auf einer Parkbank aus. Immerhin lebt er dort, wo andere Menschen Urlaub machen: an der Cote d'Azur.
Danach geht es weiter zur nächsten Tonne. Hier findet er an diesem Nachmittag die Grundlage für sein Abendessen...
...: frische Eier. Mit dem Essen ist Eugene nicht wählerisch. Bei ihm kommt das auf den Tisch, was sich in Abfalltonnen findet.
Während des Zweiten Weltkriegs, damals war er ein Teenager, habe er auch Lebensmittelabfälle gesammelt, erzählt Eugene. Die Zeiten damals seien hart gewesen und er musste ja irgendwie über die Runden kommen. So wie heute.
Eine Fischpfanne? Omelette mit Gemüse? So genau ist das für den Betrachter nicht zu erkennen. Der Rentner ist pragmatisch: Hauptsache es ist warm, es schmeckt und es nährt.
Eugenes Kühlschrank ist prall gefüllt. So wie bei seinen wohlhabenden Nachbarn. Nur mit dem Unterschied, dass die Lebensmittel des Rentners erst kürzlich das Haltbarkeitsdatum überschritten haben, das Gemüse Druckstellen aufweist und die Puddingpackung eingerissen ist. Deshalb wurden die sonst noch völlig intakten Lebensmittel von der Konsumgesellschaft aussortiert und weggeworfen.
Die besten Schnäppchen kann Eugene spät abends machen. Dann, wenn die Supermärkte schließen und die abgelaufene Ware in den Müllcontainer landet.
Im Schatten der Dunkelheit belädt er ganz in Ruhe den Kofferraum seines alten Kleinwagens. Um ihn herum herrscht Stille statt emsige Geschäftigkeit. Die Läden und Supermärkte haben längst geschlossen und die herkömmlichen Shopper sind längst zu Hause.
Eugene lebt allein in seiner kleinen Eigentumswohnung. Er komme mit seinem bescheidenen Leben gut zurecht, sagt er. Doch sein Traum ist es nach Las Vegas zu gehen, in die große glitzernde Stadt der Glücksspieler.
Las Vegas wird wohl ein Traum bleiben. Eugene am Black-Jack-Tisch oder an einem Spielautomaten, den er mit Silbergeld füttert? Nein, das ist nicht seine Welt. Überhaupt, wie soll er sich diesen Traum von seiner kleinen Rente erfüllen? Vielleicht hätte er Glück im Spiel und könnte seine Kasse aufbessern. In seiner Heimat jedenfalls ist ein massives Defizit in der Rentenkasse. Deshalb hat kürzlich eine Kommission der sozialistischen Regierung in Paris empfohlen, das Renteneintrittsalter von bislang 60 auf 62 Jahre zu erhöhen und wohlhabenden Rentnern weniger Steuervergünstigungen zu gewähren.