Diskussionen mit Kindern Wenn Eltern zu viel reden
Eltern haben es heutzutage nicht leicht. Die Großfamilie, bei der man sich etwas "abschauen" könnte, gibt es kaum mehr. Stattdessen aber gibt es jährlich eine wahre Flut an Erziehungsratgebern, die sich inhaltlich teils massiv unterscheiden. Häufig passiert es dann, dass Eltern ihre Kinder wie Partner behandeln, damit aber nicht den gewünschten Erfolg haben und sich fragen, warum sie beim Reden das Gefühl bekommen, ihr Kind höre ihnen gar nicht zu. Ulrich Gerth, der Vorsitzende der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, erklärt in einem Gespräch mit eltern.t-online.de, dass dem tatsächlich oft so ist und woran das liegt.
Erziehung nicht zum Beziehungsproblem machen
Grundsätzlich, so Ulrich Gerth, machen viele Eltern heutzutage einen großen Fehler: Sie machen zu selten klar, ob es sich um eine Sache handelt, die verhandelbar ist oder um einen Punkt, der bereits schon entschieden wurde. "Wenn es zu einer Situation kommt, in der man redet und erklärt und dabei auf taube Ohren stößt, dann handelt es sich in der Regel um Themen, die bereits von den Eltern entschieden wurden." Da es aber nicht ganz einfach auszuhalten ist, wenn das Kind böse auf einen ist - schließlich soll es einen ja möglichst toll finden und lieb haben - geraten Eltern oft in eine Falle, indem sie ein Beziehungsproblem aus der Sache machen und letztendlich um Zustimmung heischen. "Das allerdings ist für das Kind belästigend und treibt es ganz ungut in die Enge. Dabei zeigt es nur einen gesunden Widerstand gegen eine Entscheidung, die von ihm so nicht widerspruchslos akzeptiert wird. Das ist normal und ein Stück weit auch notwendig für die kindliche Entwicklung."
Eltern müssen Widerstand auch aushalten können
Eltern müssen lernen, zu respektieren und auch auszuhalten, dass ihre Kinder auch mal anders über eine Entscheidung denken und Widerstand leisten werden. Doch dann sollte man sich nicht darauf einlassen, stundenlang auf das Kind einzureden, um es von der Richtigkeit der Entscheidung zu überzeugen. Schließlich haben Eltern die Entscheidungskompetenz und müssen dann und wann auch den Mut haben, dazu zu stehen. Denn: "Solange diskutieren, bis sich eine solche Sache in Wohlgefallen auflöst, das geht gar nicht!"
Diskussionen als positives Kräftemessen
Natürlich hat jedes Kind das Recht auf die Erklärung einer Entscheidung. Und in Punkten, die verhandelbar sind, soll man sich auch darauf einlassen, zu diskutieren. Und man kann und darf auch mal eine Entscheidung zurücknehmen, wenn das Kind die besseren Argumente hat. "Wenn es zu diskutieren gilt und die eigene Meinung wirklich zählt, kann es gerade für größere Kinder und Jugendliche sehr spannend sein, eine Sache auszudiskutieren. Allerdings nur, wenn es wirklich um den Diskurs geht, Argumente ausgetauscht und Kompromisse ausgehandelt werden können. Man zeigt seinem Kind so, dass man es ernst nimmt, ihm auf gleichem Level entgegenkommt. Jugendliche schätzen solche fairen 'Kämpfe' sehr, schließlich handelt es sich dabei um ein positives Kräftemessen." Und um eine optimale Möglichkeit, eine gute Form von Nähe herzustellen. Nicht zuletzt dadurch, dass man besser versteht, was im anderen vorgeht, wie er eine Sache empfindet und sich dabei fühlt.
Diktatur ist einfacher als Demokratie
Die Entwicklung, die das Thema Erziehung in den letzten Jahren und Jahrzehnten durchgemacht hat, ist, da ist sich Ulrich Gerth sicher, auch wenn es manchmal an geeigneten Vorbildern mangelt, trotzdem positiv zu sehen. "Man muss ja auch mal sehen, von welchen Konzepten wir uns verabschiedet haben. Gewalt, wenig Respekt vor dem Kind - dass das erschüttert wurde, ist gut. Kinder werden heute viel mehr als früher in ihrer Würde und ihren Rechten geachtet. Das allerdings bringt auch wieder eine ganze Menge Verunsicherung mit sich. Schließlich ist Diktatur immer einfacher als Demokratie." Der Diplom-Psychologe weist aber auch auf die negative Seite dieser Modernisierung hin. "Je mehr man liest, umso breiter ist der Kanon des Möglichen. Und wenn man dann 'Rezepte' aus Erziehungsratgebern befolgt und diese nicht den gewünschten Erfolg bringen, sucht man die Schuld schnell bei sich selbst. Dabei sollten Eltern gerade heute verstärkt auf ihren Bauch vertrauen. Was sagt mir mein Gehirn, aber eben auch: Was sagt mein Gefühl?" Der Austausch mit anderen Eltern kann hier sehr hilfreich sein. Im vertrauten Gespräch kann man aus den Erfahrungen der anderen eine Menge lernen und Trost finden darin, dass bei anderen Familien auch nur mit Wasser gekocht wird.
Zu getroffenen Entscheidungen auch stehen
"Erziehung ist immer konfliktträchtig, birgt immer Verunsicherung. Und gerade deshalb sollte man viel häufiger auf seine Intuition vertrauen!" Dann merkt man auch schnell, wenn man sich mal wieder mit 'Zu-viel-reden' selbst in eine Erziehungssackgasse gefahren hat. "Ich bin ein Freund von relativer Konsequenz", meint Ulrich Gerth. "Schließlich ist es ja auch eine tolle Erfahrung, wenn das Kind merkt, dass es mit guten Argumenten etwas bewirken kann. Wenn allerdings meine Entscheidung schon feststeht, dann muss ich das dem Kind auch sagen. Und dabei bleiben!" Dann weiß das Kind, woran es ist, merkt, dass diese Sache nicht verhandelbar ist und akzeptiert die Entscheidung dann auch oft erstaunlich schnell.