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Politische Systeme prägen die Erziehung: Ossis und Wessis berichten


25 Jahre nach der Wiedervereinigung
Erziehen Ost-Eltern ihre Kinder anders als West-Eltern?

t-online, Simone Blaß

21.10.2015Lesedauer: 5 Min.
Straffe Ordnung bei den DDR-Pionieren oder antiautoritäre Erziehung im West-Kinderladen - beides prägt.Vergrößern des BildesStraffe Ordnung bei den DDR-Jungpionieren oder antiautoritäre Erziehung im West-Kinderladen - beides prägt. (Quelle: dpa/FSU-Fotozentrum; dpa/imago-Konnerth)
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25 Jahre nach der Wiedervereinigung gleichen sich Ost und West bei Kinderzahl und Bildung an. Aber es gibt immer noch Unterschiede zwischen "Ossis" und "Wessis". Und eine Menge Vorurteile. Wie aber sieht es in den Familien wirklich aus? Wir haben uns mit Elternpaaren unterhalten, die beide Seiten erlebt haben.

Wie wichtig sind Themen wie Freiraum, Selbstständigkeit und Gehorsam? Dass die Erfahrungen aus der Kindheit in den eigenen Erziehungsstil einfließen, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch wie stark ist die Prägung? Und was macht man daraus?

Die DDR ist ein Teil der Identität

"Die Spuren der DDR nicht anzuerkennen, bedeutet, ein Stück der eigenen Herkunft abzuschneiden und auf diesen Erfahrungsschatz zu verzichten", schreibt Michael Hacker in seinem Buch "Dritte Generation Ost". Eltern, die ihre Kindheit und Schulzeit als "Ossi" verbracht haben, sind anders aufgewachsen als "Wessis". Sie kennen noch "allgegenwärtigen Druck, ein grundsätzliches gegenseitiges Misstrauen, ein diffuses Gefühl von Angst, das zugleich weggelacht wurde".

Sind Eltern, die in Frankfurt an der Oder aufgewachsen sind, deshalb anders als jene aus Frankfurt am Main? Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Schließlich spielen noch andere Faktoren eine Rolle: Bildungshintergrund, Werte innerhalb der Familie und individuelle Erlebnisse.

Das zweite Kind nicht in die Krippe gegeben

Ramona und Christian sind das beste Beispiel dafür. Sie kommen aus dem Osten, die Mauer fiel, als sie 13 waren. Trotzdem haben beide sehr unterschiedliche Kindheitserfahrungen in ihre Ehe mitgebracht.

Christian kam, wie es üblich war, mit acht Wochen in die Krippe, dann in den Kindergarten und in den Hort. "Der Staat wollte die Kinder erziehen", sagt er im Gespräch mit t-online.de.

Auch Ramonas Mutter beugte sich dieser Erwartung zunächst und gab ihren Sohn mit neun Wochen weg. "Noch heute erzählt sie, wie sie den ganzen langen Weg zur Arbeit geweint hat, weil sie ihr Kind nicht bei sich haben durfte." Bei ihrer Tochter, also bei Ramona, entschied sie sich dagegen und blieb mit dem Baby zu Hause.

Diese Erfahrung spiegelt sich bis heute in Ramonas eigener Mutterrolle. Bei jedem ihrer drei Kinder genoss sie die Symbiose zwischen Mutter und Kind im ersten Jahr nach der Geburt. Aber danach freute sie sich auch wieder auf ihren Arbeitsplatz.

Das kollektive Töpfchentraining ist Geschichte

Es scheint, als hätten Eltern, die im Osten aufgewachsen sind, weniger Bauchschmerzen, schon die Kleinsten in der Krippe betreuen zu lassen.

"Ich habe schon das Gefühl, dass es mir leichter gefallen ist als anderen Eltern, meine Kinder in die Krippe zu geben und arbeiten zu gehen. Es ist einfach für mich normal. Es ist ja auch ein gewaltiger Unterschied zu den Einrichtungen, die ich als Kind erlebt habe", findet Christian.

Das Ablegen der Säuglinge in Reihen von Gitterbetten ist genauso Geschichte wie das kollektive Töpfchentraining. "Trotzdem, oder gerade deswegen, haben wir uns die Einrichtung, in die wir unsere Kinder gegeben haben, sehr genau angesehen und uns für die Eingewöhnung länger Zeit gelassen als andere", sagt er.

Im Westen hält sich hartnäckig das Rabenmutter-Vorurteil

Eltern aus den neuen Bundesländern haben in ihrer Kindheit erfahren, dass Berufstätigkeit und Mutterschaft harmonieren können. Westdeutsche kennen ein anderes Bild: Nur wenige Mütter arbeiteten und wenn, dann nur für ein paar Stunden. Die Kinder wurden nicht in den Kindergarten geschickt, um betreut zu sein, sondern wegen der Sozialisation. Wer sein Kind nicht selbst betreute, galt schnell als Rabenmutter.

Die Chefredakteurin der "taz", Bascha Mika, hat einmal gesagt, dass Westmütter noch heute so ein "Fauchen" in der Stimme hätten, wenn sie das Wort "Fremdbetreuung" aussprächen.

Ein weiteres Vorurteil: Westmütter mischen sich dauernd in der Kita und in der Schule ein. Ostmütter dagegen passen sich viel besser an.

Ramona kann darüber nur schmunzeln. Selbst aktiv im Elternbeirat, hält sie mit ihrer Meinung grundsätzlich nicht hinterm Berg. Sie erwartet geradezu, dass einiges anders gemacht wird als früher.

Tiefe Verunsicherung bei Wende-Kindern

Doch wie es gemacht werden sollte, ist oft nicht klar. "Im Unterschied zu den um 1970 Geborenen, die eine abgeschlossene Kindheit hatten, schon zu Hause ausgezogen waren und sofort die neuen Freiheiten ausnutzten, als die Mauer fiel, waren die Jüngeren oft pessimistischer, fühlten sich heimatlos, ärgerten sich mehr über Dinge. Eltern und andere Autoritäten waren entmachtet", schreibt Sabine Rennefanz in ihrem Buch "Eisenkinder".

Die Jugendlichen dieser Zeit erlebten eine tiefe existenzielle Angst. Sie konnten nicht auf die Erfahrungen ihrer Eltern zurückgreifen, mussten ein neues Rollenbild schaffen.

Unterschiedliche Auffassung von Selbstständigkeit

Isabella fiel das nicht schwer. Die zweifache Mutter war Kind in der DDR. Sie war elf, als die Mauer fiel. "Mir wurde erst im Laufe der Jahre klar, dass beide Seiten von etwas anderem sprachen, wenn sie ihre Kinder zur Selbstständigkeit erziehen wollten." Im Westen sei das individuelle Wohlbefinden des Kindes stärker in den Fokus gerückt, während es im Osten auf alltagstaugliche Selbstständigkeit angekommen sei. "Dazu gehörte eine gehörige Portion Gehorsam", erinnert sie sich im Gespräch mit t-online.de.

Sie selbst handhabt das bei ihren Söhnen anders: "Ich lasse ihnen viel mehr durchgehen als meine Eltern das bei mir getan haben und ich finde es wichtiger, dass sie sich selbst finden und entfalten können. Spannend finde ich, dass mein Mann deutlich strenger mit den Kindern ist als ich. Und das, obwohl er doch der Wessi ist", lacht sie.

Unbehagen gegenüber Hierarchien und Uniformen

"Nicht alles war damals schlecht. Die Strukturen und Rituale haben den Kindern auch Halt gegeben. Ich glaube, dass wir das auch ein Stück weit mehr praktizieren als viele andere Eltern", meint Christian. Seine Frau ergänzt: "Letztendlich geht es doch darum, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen und sich bewusst zu machen, ob man das ein oder andere übernehmen möchte. Vielleicht einfach in anderer Form."

Die Vorstellung allerdings, dass ihre Kinder einmal zu den Pfadfindern gehen möchten, jagt vor allem Ramona einen Schauer über den Rücken. "Ich hätte ein echtes Problem mit diesen Uniformen und Hierarchien."

Ramona kann trotzdem verstehen, dass es Menschen aus der ehemaligen DDR gibt, die immer noch Halt in Hierarchien suchen. "Ich denke, manche Bürger haben sich in der Freiheit verloren und wünschen sich die Ordnung und Struktur zurück."

Allerdings gibt es auch die Kehrseite: Menschen, die in der DDR Erfahrungen gemacht haben, die sie heute jede Autorität anzweifeln lassen.

Christian kennt das aus seinem Bekanntenkreis. Bei manchen sind die "Bestimmer", wie Ramona sie nennt, zum Beispiel die Leitung des Kindergartens, die Rektorin der Schule oder der Chef, ein ständiges Thema. Deren Entscheidungen würden durchgängig in Frage gestellt.

Von beiden Systemen das Beste übernehmen

Ramona und Christian finden einen solchen Umgang mit der Vergangenheit anstrengend. Schließlich könne man jetzt frei entscheiden, in welche Kita oder Schule das Kind kommt und welche Arbeit man annimmt.

In ihrer Familie gibt es klare Regeln, aber auch viel Freiheit. Und das erwarten sie auch von den "Miterziehern": "Wir trauen unseren Kindern das zu, was sie sich auch selbst zutrauen. Unsere drei Jungs sollen die Welt für sich entdecken und ihre Erfahrungen machen. Auch mal negative."

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Unterschiede zwischen Eltern, die im Osten aufgewachsen sind und solchen aus dem Westen verbracht haben, gibt es, da sind sich alle einig. Noch. Denn "Einheit in den Köpfen braucht mehr als eine Generation", besagt eine Studie des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

"Trotzdem sollte es nie darum gehen, auf- oder abzuwerten", fasst Isabella zusammen. "Sondern darum, offen für die Vorteile des anderen Systems zu sein, zu verstehen und aus Fehlern zu lernen."

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