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Wie blinde Eltern den Alltag mit ihren Kindern meistern


Familie & Beruf
Wie blinde Eltern den Alltag mit ihren Kindern meistern

t-online, Simone Blaß

28.12.2011Lesedauer: 5 Min.
Man braucht nicht unbedingt ein intaktes Sehvermögen, um ein Kind zu erziehen.Vergrößern des BildesMan braucht nicht unbedingt ein intaktes Sehvermögen, um ein Kind zu erziehen. (Quelle: imago-images-bilder)
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Begegnet einem auf der Straße eine blinde Mutter mit ihrem Kind oder ihren Kindern, dann fragt man sich automatisch, wie sie das macht. Ist es doch für einen Sehenden schon nicht immer einfach, gerade ein kleines Kind vor allen Gefahren zu beschützen. Erfahren Sie, wie Eltern trotz Blindheit ihren Alltag bewältigen.

Blinde Eltern haben mit Vorurteilen zu kämpfen

Auch wenn es sicher kaum jemand zugeben würde, es ist für viele nicht selbstverständlich, dass Menschen mit einer Behinderung Kinder bekommen. "Da wird befürchtet, sie könnten den vielfältigen erzieherischen Aufgaben nicht gerecht werden", schreibt Dr. Eva-Maria Glofke-Schulz in einem Magazin für blinde und sehbehinderte Menschen. "Es wird gern mit zweierlei Maß gemessen und wenig bedacht, wie viele Eltern ohne definierte Behinderung ihrer Rolle hilflos gegenüberstehen oder ihren Kindern Leid antun."

Besonders schwierig wird die Situation, wenn die Gefahr besteht, dass das Kind ebenfalls behindert sein könnte. Die Eltern, die sich trotzdem für ein Kind entscheiden, sehen sich häufig in einer Verteidigungsposition. "Nicht selten müssen sie sich dann die Frage gefallen lassen: 'Muss das denn sein?' Gern wird auch mit den Kosten gewunken, die auf die Allgemeinheit zukommen könnten. Oder es wird spekuliert, wie schwer es 'das arme Kind' haben wird“, ärgert sich die ebenfalls blinde Psychotherapeutin, die sich ehrenamtlich in der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe engagiert. Sie verweist darauf, dass auch gesunde Eltern keine Garantie auf ein gesundes Kind haben und es immer noch eine rein private Entscheidung ist, die man zu treffen hat.

Kreativität und Einfallsreichtum sind hier besonders gefragt

Man braucht nicht unbedingt ein intaktes Sehvermögen, um ein Kind zu erziehen. Ganz andere Fähigkeiten sind gefragt: Verantwortungsbewusstsein, Vertrauen in sich selbst und in das Kind, gute Nerven und Humor stehen dabei an erster Stelle. Bei sehbehinderten oder blinden Menschen kommt noch eine große Portion Kreativität dazu. Denn für so manche Situation im Alltag, die für andere Eltern ganz einfach zu lösen ist, müssen sie sich etwas einfallen lassen, um ihrem sehenden Kind gerecht zu werden. "Viele praktische Probleme im Umgang mit dem Kind müssen bedacht und gelöst werden: Wie etwa schneide ich, ohne hinschauen zu können, einem kleinen Kind die Fingernägel? Denke ich an Winternachmittagen daran, das Licht anzumachen, damit mein Kind nicht im Dunkeln sitzt?"

Intuition ist eine der wichtigsten Eigenschaften aller Eltern

Birgit Schopmans ist ebenfalls blind und berichtete in Foren immer wieder vom Alltag mit ihrer damals noch kleinen Tochter. Auch im Umgang mit ihr kamen selbstverständlich immer der Hörsinn, der Geruchssinn und der Tastsinn stärker zum Tragen als bei anderen Eltern. Über die üblichen Maßnahmen wie Herdschutzgitter oder Steckdosenschutz hinaus müssen blinde Eltern ganz besonders gründlich und auch erfinderisch sein im Auffinden von Gefahrenquellen. "Wenn sehende Mütter kurz gucken, was das Kind gerade so treibt, setze ich eher mein Gehör ein oder fühle, was Hannah gerade in der Hand hat, wenn ich mir nicht sicher bin, ob sie vielleicht doch beispielsweise ein Messer vom Frühstückstisch ergattert hat." Ein wichtige Rolle spielt auch hier die Intuition, genau wie bei sehenden Müttern. Denn wer kennt sie nicht, die verdächtigen Momente, in denen unser Nachwuchs so außergewöhnlich still ist? Da ist meistens was im Busch.

Manchmal geht es nicht ohne die Hilfe Sehender

Solange die Kinder noch so klein sind, dass sie zum Beispiel die Gefahren durch den Verkehr nicht richtig einschätzen können, steht die Sicherheit an erster Stelle. So mancher Besuch auf dem Spielplatz oder Ausflug muss verschoben werden, bis jemand dabei sein kann, der den blinden Elternteil unterstützt. "Obwohl mir klar ist, dass hier Hannahs Sicherheit vorgeht, fällt es mir manchmal nicht leicht, diese Grenze für mich zu akzeptieren. In solchen Momenten tröste ich mich damit, dass die Situation wieder anders aussieht, wenn Hannah etwas älter ist." Ohne ein bisschen Assistenz geht es nicht immer. Allein schon bei den Hausaufgaben sind blinde Mütter auf die Hilfe anderer angewiesen. Kann der Vater sehen oder sind Großeltern in der Nähe, dann lösen sich auch diese Probleme relativ schnell. Braucht man allerdings professionelle Assistenz, wird es schwieriger, denn ein Rechtsanspruch besteht nicht. Und auch wenn die Finanzierung durch Krankenkassen, Pflegekassen, Jugendämter und Sozialämter trotzdem für gewöhnlich sichergestellt ist, die Angst vor amtlicher Bevormundung, vor institutioneller Einmischung und vor dem bürokratischen Hürdenweg ist oft zu groß.

Andere Formen der Verständigung

Als besonders schwierig empfinden wohl alle blinden Eltern den fehlenden Blickkontakt zu dem Baby. Was so manches Mal auch dazu führt, dass dieses anfangs sehr irritiert ist und mehr weint. Doch lange bevor die eigentliche sprachliche Kommunikation beginnt, finden Eltern und Kind schnell andere Formen der Verständigung. "Falls ich noch nicht gemerkt habe, dass Hannahs Brot schon aufgegessen ist, und sie ein zweites möchte, macht sie auf sich aufmerksam, indem sie mit dem Frühstücksbrett klappert oder mir dieses in die Hand gibt", so die Diplom-Sozialpädagogin, die in einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen arbeitet. "Mit meinem Mann macht Hannah viele Späße über Fratzenschneiden und ähnliches. Späße zwischen ihr und mir laufen eher über lustige Geräusche oder einen scheinbaren Kampf um ein Spielzeug oder eine Socke."

Die Kinder blinder Eltern dürfen nicht überfordert werden

Ein einschneidender Punkt ist, wenn die Kinder merken, dass ihre Eltern anders sind als andere Eltern. Dieser Zeitpunkt fällt etwa mit dem Eintritt in den Kindergarten zusammen. Hier kann hilfreich sein, der Institution anzubieten, eine Fragestunde zu veranstalten, in der die Kinder und eventuell auch ihre Eltern alle Fragen der blinden Person selbst stellen können, um so das eigene Kind etwas zu entlasten.

Sehende Kinder von blinden Eltern erleben von klein auf, dass es nicht nur eine Art gibt, die Welt wahrzunehmen. Sie lernen von ihren Eltern, wie man schwierige Aufgaben mit Ideenreichtum löst und dass es normal ist, anders zu sein. Sie werden vergleichsweise früh selbstständig und natürlich versuchen sie auch mal, ihren Vorteil für sich zu nutzen und den blinden Elternteil zu täuschen. "Ein Kind wäre kein Kind, würde es nicht von Zeit zu Zeit versuchen, Schwächen seiner Eltern auszunutzen - Blindheit bietet sich da natürlich an", so Eva-Maria Glofke-Schulz. "Da wird eben mal vor den Augen der blinden Mutter heimlich eine Zusatzportion Pudding aus der Schüssel gemopst, da wird mal die Note unter einer Klassenarbeit beschönigt. Auf der anderen Seite sind Kinder bereit, sich in ihre Eltern einzufühlen und ihnen zur Seite zu stehen." Sie lesen ihren blinden Eltern vor, suchen Straßen oder Hausnummern für sie und helfen viel im Alltag - was ihre soziale Kompetenz fördert. "Ausnutzen dürfen Eltern diese Bereitschaft jedoch nie: Das Kind hat ein Recht auf ein eigenes Leben und ist weder Vorleseassistent noch zweibeiniger Führhund."

Austausch mit anderen Betroffenen ist wichtig

Es gibt zahlreiche Hilfsmittel, die blinden Eltern den Alltag mit einem sehenden Kind erleichtern: die klassischen Spiele wie "Uno" oder "Mensch, ärgere dich nicht!" gibt es bereits als Versionen für Blinde. Es gibt Bälle, die mit Klingeln versehen sind, damit man hört, wohin sie rollen, und Bilderbücher mit Blindenschrift. Wobei viele blinde Eltern mit der Hilfe Sehender andere Bücher selbst mit einer Beschreibung der Bilder in Blindenschrift versehen und so die Auswahl deutlich vergrößern.

Wichtig ist der Austausch mit anderen blinden Eltern, denn so bekommt man zahlreiche Tipps für den Alltag. Auch lässt es sich mit anderen Betroffenen leichter über Probleme sprechen. Dabei geht es nicht nur darum, wie man am besten auf Diskriminierung reagiert, sondern auch darum, sich gegenseitig zu stärken, sich Mut zu machen und manchmal auch politische Forderungen zur Verbesserung der Situation durchzusetzen.

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