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"37 Grad"-Doku über junge Flüchtlinge: lernen und warten


TV-Doku über junge Flüchtlinge
"Mit meiner Familie aufzuwachsen – das vermisse ich wahnsinnig"

16.02.2016Lesedauer: 5 Min.
Yeshi ist ein Waisenmädchen aus Tibet. Sie möchte in München Krankenschwester werden.Vergrößern des BildesYeshi ist ein Waisenmädchen aus Tibet. Sie möchte in München Krankenschwester werden. (Quelle: ZDF/Michele Parente)
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Sie haben Schreckliches erlebt und sind nun ohne Eltern in einem fremden Land – die "37 Grad"-Reportage erzählt von drei jugendlichen Flüchtlingen. Neben der Trennung von der Familie ist die Ungewissheit die schlimmste Belastung. Unter dem Damoklesschwert der Ausweisung büffeln sie für ihre Zukunft.

Yeshi, Samir und Abdifatah kamen schon vor der großen Flüchtlingswelle von 2015 nach Deutschland, als die Lage noch übersichtlicher und die Behörden noch nicht heillos überfordert waren. Aber auch sie warten schon viel länger als ein Jahr auf die Entscheidung, ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen. Nach Abschluss der Dreharbeiten für die Reportage war das immer noch offen. Alle, die nach ihnen kamen, müssen sich auf eine noch längere Zeit der Ungewissheit einstellen..

Samir paukt für Ausbildung und Abitur

Der 16-jährige Samir ist vor dem Terror der Taliban aus dem Osten Afghanistans geflohen. Er gehört zur Minderheit der Hasara, die dort Repressionen ausgesetzt ist. Auf der Flucht wurde er von der Mutter und dem jüngeren Bruder getrennt.

Auf einer Landkarte zeichnet er vor der Kamera seine Fluchtroute nach: Quer durch Afghanistan in den Iran, dann in die Türkei, von dort auf einem Boot übers Mittelmeer nach Griechenland, weiter über Italien und die Schweiz nach Deutschland. Jetzt lebt er in einer betreuten Wohngruppe der Caritas in Wiesbaden. Doch eines kann die beste Gemeinschaft nicht ersetzen: "Mit meiner Familie aufzuwachsen – das vermisse ich wahnsinnig", sagt Samir.

Er hatte Glück, dass es in Wiesbaden schon gut eingespielte Strukturen für die Aufnahme junger Flüchtlinge gab. Unterkunft und Schulbesuch wurden schnell geregelt, Samir geht in die achte Klasse einer Realschule und hat in kurzer Zeit schon gut Deutsch gelernt. Ein großes Erfolgserlebnis ist ein Praktikum in einem Autohaus. Der Leiter lobt ihn für Fleiß, gute Arbeit und Pünktlichkeit. Samir ist ehrgeizig: Er will eine Ausbildung machen und danach am liebsten noch das Abitur.

Wenn Bildung zum Luxus wird

Regelmäßiger Schulbesuch und eine Ausbildung – für deutsche Kinder ist es Pflichtprogramm, für Flüchtlingskinder oft Luxus. Bildung ist auch ein Opfer von Krieg und Armut. Je jünger die Kinder bei ihrer Ankunft in Deutschland sind, desto schneller saugen sie Sprache und Wissen auf und desto besser sind ihre Perspektiven. Vorausgesetzt, sie dürfen überhaupt hierbleiben. Bis über einen Asylantrag entschieden ist, gilt eine Duldung, die halbjährlich verlängert werden muss.

Yeshi lernt in ständiger Angst vor Ausweisung

Auch Yeshi verbringt ihre Tage in München mit Lernen und Hoffen. Das Mädchen stammt aus Tibet. Ihren Eltern wurde der Protest gegen die chinesischen Machthaber zum Verhängnis. Die Mutter verschwand spurlos von einer Demonstration, der Vater musste drei Jahre ins Gefängnis und starb an den Folgen, als Yeshi 15 war. Auf sich allein gestellt, wagte sie mit anderen Tibetern die gefährliche Flucht über die Berge. "Wir hatten wochenlang große Angst, entdeckt zu werden."

In München besucht sie die "Schlauschule", die minderjährige Flüchtlinge auf die Hauptschulprüfung fit gemacht. Die Lehrerin bereitet ihre Schüler auf Startschwierigkeiten vor. "Es ist immer wieder eine Hürde zu nehmen. Am Anfang ist es ganz normal, dass ihr schlechte Noten schreibt." Umso wichtiger seien Fleiß und Durchhaltewillen.

Beides hat Yeshi schon bewiesen. Sie bemüht sich um einen Ausbildungsplatz als Krankenschwester. Bei einem Praktikum in einer Klinik wird das freundliche Mädchen sehr herzlich aufgenommen.

Die junge Tibeterin hat im Juni 2014 ihren Asylantrag gestellt und sich im November 2014 in einer sechsstündigen Befragung zu ihrer Identität sowie Gründen und Umständen ihrer Flucht geäußert. Seitdem wartet sie auf eine Entscheidung. Ihre Betreuerin versichert, dass sie während einer Ausbildung nicht abgeschoben werden könnte.

Von dem Geld, das ihr laut Asylbewerberleistungsgesetz für den Lebensunterhalt zusteht, spart Yeshi so viel wie möglich für einen Rechtsbeistand, falls ihr Asylantrag abgelehnt wird, "Wenigstens ein symbolischer Beitrag, denn die Anwaltskosten sind natürlich viel höher", weiß ihre Betreuerin.

Alle drei in der TV-Doku porträtierten Jugendlichen leben in ständiger Angst, aus Deutschland ausgewiesen zu werden. In der Regel erhalten minderjährige Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, zumindest eine Duldung bis zur Volljährigkeit. Dann enden auch Unterbringung und Betreuung durch das Jugendamt und sie sind in ihre, Asylverfahren wieder auf sich allein gestellt.

Adbifatah hofft vergeblich auf Familiennachzug

Adbifatah hat erlebt, wie sein Vater von der regierungsfeindlichen al-Shabaab-Miliz in Somalia erschossen wurde. "Da war ich erst 13 Jahre alt." Adbifatah gelang die Flucht nach Deutschland – sein Cousin starb auf dem Flüchtlingsboot. In einer Wohngemeinschaft des DRK in Hamburg fühlt sich der heute 16-Jährige erstmals sicher. Ein pensionierter Lehrer hat die Vormundschaft für ihn übernommen. Das Jugendamt nimmt die ehrenamtliche Hilfe dankbar an, denn auf einen ehrenamtlichen Betreuer kommen 50 Jugendliche und mehr.

Im Herbst 2015, als die "37 Grad"-Reportage gedreht wurde, hegte Adbifatah noch die Hoffnung, seine Mutter und die Geschwister nach Deutschland nachholen zu können. Sie leben derzeit in einem Flüchtlingslager in Kenia.

Für seine Geschwister war dies von vornherein aussichtslos, denn der Familiennachzug ist generell auf Eltern, Kinder und Ehepartner beschränkt. Schließlich erhält die Mutter nach einem teuren und aufwändigen Verwandschaftsnachweis die Erlaubnis – die aber ein furchtbares Dilemma beinhaltet: Die jüngeren Kinder in Afrika zurücklassen, mit der vagen Hoffnung, sie irgendwann nachholen zu können. Oder auf den Nachzug verzichten und Adbifatah in der Fremde sich selbst überlassen. Für ihn, den Ältesten, ist klar, was er der Muter raten wird. Sein Vormund findet: "Das ist alles zu viel für einen, der erst 16 Jahre alt ist."

Hilfsorganisationen fordern Verbesserungen für Minderjährigen

Seitdem die Regierungskoalition das Asylpaket II verabschiedet hat, sind die Möglichkeiten des Familiennachzugs noch kleiner geworden. Für Flüchtlinge, die kein Asyl erhalten, sondern nur "subsidiärem Schutz" wird der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt. Auch Minderjährige mit diesem Status dürfen ihre Eltern nur nach Einzelfallprüfung in Härtefällen nachholen.

Der BumF und karitative Organisationen kritisieren diese Regelung als "Missachtung der elementaren Bedürfnisse von Minderjährigen." Darüber hinaus fordert beispielsweise die Diakonie, dass sie "schnell einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten".

TV-Autorin erlebt die Ängste der jungen Flüchtlinge

"37 Grad"-Autorin Ulrike Schenk berichtet auf der Website zur Sendung von den Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten: "Viele der Jugendlichen waren stark traumatisiert. Sie litten unter Panikattacken und Schlafstörungen, waren gar nicht in der Lage, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Andere wollten im Film nicht gezeigt werden, sie hatten Angst, von Terrormilizen aufgespürt zu werden."

Fakten zu unbegleiteten Flüchtlingen

  • Ende Januar lebten nach Schätzungen des BumF rund 60.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland.
  • Ihr Anteil an den Asylsuchenden in Westeuropa wird auf fünf Prozent geschätzt.
  • Laut Interpol gelten in Europa fast 10.000 minderjährige Flüchtlinge als verschwunden.
  • Hauptherkunftsländer 2015 waren Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea und Somalia.
  • Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben Anspruch auf Inobhutnahme durch das Jugendamt, einen Vormund und Unterbringung in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen oder einer Pflegefamilie.
  • In den meisten Bundesländern haben minderjährige Flüchtlingskinder das Recht auf Schulbesuch, auch wenn ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt ist.
  • Nach Angaben der Diakonie stellt weniger als die Hälfte der minderjährigen Flüchtlinge einen Asylantrag. Viele erhalten nur subsidiären Schutz. Das heißt: Keine Aufenthaltserlaubnis, sondern Duldung.
  • 2015 zogen im Rahmen der Familienzusammenführung nur rund 500 Eltern minderjähriger Kinder nach Deutschland.
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