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Anne Geddes zeigt Kinder, die eine Meningitis überlebten


Ein Leben mit Amputationen
Bewegende Fotos: Anne Geddes zeigt Kinder, die eine Meningitis überlebten

t-online, Anja Speitel

Aktualisiert am 02.05.2014Lesedauer: 7 Min.
Anne Geddes: Die Fotografin Anne Geddes hat Kinder portraitiert, die an Meningokokken erkrankt waren. Die Ausstellung "Protecting our Tomorrows" ist derzeit in der Galerie Artworks in Hamburg zu sehen.Vergrößern des BildesDie Fotografin Anne Geddes hat Kinder portraitiert, die an Meningokokken erkrankt waren. Die Ausstellung "Protecting our Tomorrows" ist derzeit in der Galerie Artworks in Hamburg zu sehen. (Quelle: dpa-bilder)
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Gehirnhautentzündung ist heimtückisch: Sie tritt plötzlich auf und kann innerhalb von 24 Stunden zum Tod führen. Die Symptome ähneln anfangs einer Grippe, weshalb die von Meningokokken-Bakterien ausgelöste Erkrankung, die vor allem kleine Kinder trifft, oft erst spät erkannt wird. Dann kann sie dauerhafte, schwere Gesundheitsschäden nach sich ziehen: Entwicklungs- und Hörstörungen, Krampfanfälle, Lähmungen, Organversagen und Gewebeschäden. Deshalb müssen Betroffenen häufig Gliedmaßen amputiert werden. So wie dem heute achtjährigen Elias, dem beide Unterschenkel abgenommen werden mussten. Er und 14 weitere Kinder aus der ganzen Welt wurden von der berühmten Fotografin Anne Geddes portraitiert. Mit ihr zusammen wollen sie andere Kinder vor Meningitis bewahren - und beeindruckten die Künstlerin beim Shooting schwer, wie Anne Geddes im Interview erzählt.

T-Online.de: Mrs. Geddes, Sie wurden durch Ihre Fotografien von Babys und Kindern als Blumen, süße Tiere und Fabelwesen berühmt. Wie kam es dazu, jetzt Kinder zu portraitieren, die Amputationen erlitten haben?

Anne Geddes: Ich bin selbst Mutter und fotografiere seit 30 Jahren Babys und Kleinkinder. Ich habe ihnen zu verdanken, dass ich heute eine angesehene Künstlerin bin. Deshalb möchte ich etwas zurückgeben: Ich hoffe, dass ich gemeinsam mit den Kindern, die für die Fotos der Serie "Protecting Our Tomorrows" Portrait standen, über Meningitis aufklären kann. Viele Eltern kennen diese heimtückische Erkrankung nicht. Erkennt man Meningitis-Anzeichen wie hohes Fieber, Nackensteifigkeit, Kopfschmerzen und Lichtempfindlichkeit jedoch richtig und rasch, lassen sich schlimme Folgen wie Amputationen verhindern. Zudem gibt es Impfungen, die vor Meningitis schützen.

Ich habe in all den Jahren niemals Eltern getroffen, die die Gesundheit und Zukunft ihrer Kinder nicht über alles andere stellen. Deshalb ist mir dieses Aufklärungsprojekt so wichtig. Zudem setze mich schon seit Jahren für "Shot@Life" ein. Das ist eine Kampagne der UN, die Impfungen für Kinder in Entwicklungsländern bereitstellt. Denn es ist furchtbar, dass alle 20 Sekunden ein Kind an einer Krankheit stirbt, gegen die es geimpft sein könnte.

Hat sich das Shooting mit Elias und den anderen von Meningitis betroffenen Kindern von ihrer bisherigen Arbeit unterschieden?

Es war mir wichtig, dass die Kinder verstehen, was wir alle zusammen tun wollen: Über Meningitis aufklären und anderen Kindern dadurch die schlimmen Folgen ersparen oder sogar das Leben retten. Vor den Shootings verbrachten wir einige Stunden miteinander, um uns kennenzulernen. So können die Kinder Vertrauen zu mir aufbauen. Für mich war das aber auch extrem wichtig: Ich durfte diese Kinder näher kennenlernen und alle haben mich schwer beeindruckt.

Inwiefern haben diese Kinder Sie beeindruckt?

Diese Kinder und ihre Familien haben mich durch ihren Mut, ihre Zielstrebigkeit und ihren Lebenswillen beeindruckt. Normalerweise verlieren Kinder schnell an Aufmerksamkeit und haben keine Lust mehr mitzuarbeiten. Dann kannst Du kein gutes Foto mehr bekommen, deshalb muss ich immer sehr schnell arbeiten. Aber diese Kinder waren extrem konzentriert und fokussiert.

Elias zum Beispiel ist ein sehr lebhafter Junge. Er hat so viel Energie, ist immer in Bewegung. Er war extrem aufgeregt, als wir uns im Januar in einem Londoner Studio trafen. Normalerweise gehen bei solcher Aufregung die Aufnahmen schief. Doch als sein Vater ihn ins Studio trug, ihn auf den Pfeiler setzte und ich ihm sagte, ich brauche jetzt seine Aufmerksamkeit, war es außergewöhnlich. Von einer Sekunde auf die andere hat er umgeschaltet. Er war wie versteinert und schaute direkt in die Kamera. Ich bekam Gänsehaut, denn in seinen Augen konnte ich sehen, dass er genau wusste, warum er jetzt hier ist und was wir erreichen wollen. Schauen Sie sich seinen Gesichtsausdruck an! Es ist kaum zu glauben, dass er da erst sieben Jahre alt ist.

Ich denke, das kommt von dem, was diese Kinder durchgemacht haben. Sie müssen Therapien über sich ergehen lassen, zu denen sie eigentlich keine Lust haben. Aber sie wissen, dass das sein muss. So hatten wir das Foto ganz schnell. Und sofort war Elias wieder Elias - ein ganz normaler siebenjähriger Junge.

Haben Sie etwas von diesen Kindern gelernt?

Oh ja, sehr viel. Vor allem, dass alles lächerlich ist, über was ich mich so im Alltag aufrege. Denn ich habe erfahren, was diese Kinder und ihre Familien bewältigen. Ich muss auch zugeben, dass ich erst Hemmungen hatte, unbefangen im Umgang mit diesen Kindern zu sein. Man ist unsicher, wenn man Familien begegnet, die ein Kind haben, dem Arme oder Beine fehlen. Man empfindet irgendwie Scham und sagt eher nichts dazu. Doch alle Familien haben mir gesagt: "Bitte sei nicht schüchtern, Du kannst uns näher kommen."

Das sind Kinder wie alle anderen Kinder auch. Wir sollten ihnen normal begegnen. Das ist mir richtig bewusst geworden nach dem ersten Shooting mit der kleinen Bernadette, die keine Beine mehr hat. Das ist anders, als wenn Du andere kleine Mädchen hochhebst, und das hat mich sehr berührt. Doch nach ein paar Minuten mit diesen Kindern vergisst du, dass sie Behinderungen haben.

Wie haben Sie die Kinder für das Projekt ausgewählt?

Mir war es sehr wichtig das Altersspektrum dieser Krankheit abzudecken: Das größte Risiko, an einer bakteriellen Meningitis zu erkranken, haben Babys bis zu einem Jahr und Kleinkinder. Deshalb wollte ich unbedingt ein Baby in der Serie haben. Organisationen wie die "Confederation of Meningitis Organisations" (CoMO), die Meningitis-Patienten und ihre Familien betreuen, haben in allen möglichen Ländern nach einem Baby gesucht, aber es war nahezu unmöglich, eines zu finden. Denn je kleiner die Kinder sind, desto häufiger sterben sie an Gehirnhautentzündung. Oder sie stecken noch mitten in der Akutphase der Krankheit. Dann fanden wir doch noch das Baby Matteo, der mit seinen erst neun Monaten schon 34 Operationen durchmachen musste.

Neben Babys sind Teenager und junge Erwachsene besonders gefährdet, an einer Gehirnhautentzündung zu erkranken. Die Arbeit mit diesen starken jungen Leuten war das Tollste, was ich jemals erlebt habe.

Was hat Sie daran so besonders fasziniert?

Wie positiv die Überlebenden und ihre Familien mit ihrem Schicksal umgehen. Jamie, die älteste auf den Bildern, heute 25 Jahre alt, ist ein gutes Beispiel dafür. Sie erkrankte mit 19, erinnert sich also noch daran, wie ihr Leben früher war. Sie feierte Partys und wusste nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Dann änderte sich alles schlagartig, da sie durch Meningitis beide Unterschenkel und alle Finger verlor. Sie musste alles neu lernen, hat dieses Schicksal und ihren neuen Körper aber komplett angenommen. Heute macht sie Aufklärungsarbeit rund um das Thema Meningokokken und rettet dadurch Leben. Sie sieht ihre Erkrankung deshalb positiv.

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Hat die Arbeit mit den überlebenden Kindern Sie auch persönlich verändert?

Meine Auffassung von Schönheit hat sich durch dieses Projekt komplett geändert. Diese Kinder und jungen Erwachsenen sind wunderschön, stark und bewundernswert. Das Schönste ist, wenn ich ihnen durch meine Bilder auch noch Selbstvertrauen schenken kann. Der kleine Harvey hat mir beispielsweise eine E-Mail geschrieben, nachdem ich ihm seine Fotos geschickt habe: Das erste Mal sei er stolz auf seine Amputationen.

Warum haben Sie die Amputationsstellen dennoch oft mit Stoff verhüllt?

Für die meisten Menschen sind solche Schicksale fremd. Kinder mit abgetrennten Gliedmaßen will niemand sehen. Ich habe also nach einem Konzept gesucht, durch das der Betrachter zuerst den Menschen sieht: die Schönheit, Stärke und den Stolz dieser Kinder. Und dann soll er realisieren, dass da etwas passiert ist. Wir sind überflutet mit schrecklichen Bildern und reagieren eher auf ästhetische Bilder. Ich hoffe so gelingt es uns, Aufmerksamkeit bei Eltern zu erreichen und unsere Botschaft rüberzubringen: Setzt Euch mit Meningokokken-Meningitis auseinander. Achtet auf die Symptome und reagiert dann schnell. Eltern kennen ihr Kind besser als jeder Arzt. Wenn sie denken, dass da etwas nicht in Ordnung ist, dass das keine normale Grippe sein kann, dann sollten sie darum kämpfen, dass die Ärzte ihnen die nötige Aufmerksamkeit geben und schnell richtig handeln. Denn leider missdeuten selbst Ärzte Meningitis-Symptome noch oft und handeln nicht entsprechend.

Was wollen Sie als nächstes erreichen?

Meine Ziele haben sich durch "Protecting Our Tomorrows" geändert. Ich ziehe jetzt mit meinem Mann nach New York. Wir haben das schon so viele Jahre vor. Dieses Projekt hat mir gezeigt, dass man handeln sollte und nicht nur reden. Wenn Du etwas machen willst, mache es jetzt! Vielleicht bleibt Dir sonst keine Zeit mehr. In New York werde ich näher am Hauptquartier der United Nation sein. Über deren Kampagne "Shot@Life" möchte ich noch mehr für Kinder in Entwicklungsländern tun. Ich möchte in Zukunft mit meinen Bildern vor allem auf Missstände aufmerksam machen: Ein Bewusstsein dafür bei Menschen schaffen - das ist eine Voraussetzung dafür, dass sich schlimme Dinge ändern. Und wenn ich 2016 meinen 60. Geburtstag feiere, werde ich vielleicht eine Serie mit den Menschen machen, die ich zu Beginn meiner Karriere als Babys fotografierte und die heute selber Babys haben.

Das Interview führte Anja Speitel.

Weitere Informationen zu Meningitis:

Fünf Hauptgruppen von Meningokokken (A, B, C, W135 und Y) verursachen Gehirnhautentzündung. In Deutschland sind die Meningokokken-Typen C und B die am meisten verbreiteten Verursacher der zerstörerischen Erkrankung, wobei Meningokokken-B-Bakterien die Hauptursache von Meningitis bei Säuglingen sind. Seit Sommer 2006 wird empfohlen, Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat gegen Meningokokken-Typ-C impfen zu lassen. Auch gegen Meningokokken der Serogruppe B gibt es seit kurzem einen Impfstoff. Eine Empfehlung zu seiner Anwendung seitens der Ständigen Impfkommission (STIKO) steht jedoch noch aus. Trotzdem übernehmen schon viele Krankenkassen die Kosten.

Anne Geddes Fotos aus der Serie "Protecting Our Tomorrows" sind ab dem 24. April, dem Welt-Meningitis-Tag, kostenlos zugänglich. Sie werden zusammen mit den Geschichten der Kinder in einem eBook veröffentlicht, das aus dem Internet heruntergeladen werden kann: Kostenloser Download bei iBooks. Die Original-Fotos sind noch bis zum 7. Mai in der Galerie artworks in Hamburg ausgestellt. Die Ausstellung ist täglich außer montags von 14 bis 19 Uhr geöffnet.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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