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Haushaltsstreit bei Lindner und Ampel: "Drama hätte man sich sparen können"


Wirtschaftsweiser über Haushalt
"Dieses Drama hätte man sich sparen können"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 15.05.2023Lesedauer: 4 Min.
Interview
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imago images 0238834653Vergrößern des Bildes
Finanzminister Christian Lindner (l.) und Kanzler Olaf Scholz: Die Ampelregierung streitet noch immer über den Haushalt. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)

Bundeswehr, Kindergrundsicherung, Flüchtlingskosten – die Ampel zofft sich ums Geld. Der Wirtschaftsweise Achim Truger findet: Das wäre vermeidbar gewesen.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) geht das Geld aus. Sagt er zumindest. Laut der jüngsten Steuerschätzung fallen die Einnahmen des Fiskus ab 2024 um jährlich 30 Milliarden Euro geringer aus, als noch im Herbst angenommen.

Einer, der Lindner diese Erzählung nicht ganz abkauft, ist der Ökonom Achim Truger, der als einer der fünf "Wirtschaftsweisen" die Bundesregierung in volkswirtschaftlichen Fragen berät. Truger, der in seiner Zunft eher dem linken, gewerkschaftsnahen Lager zugeordnet wird, hält manchen Streit um den Staatshaushalt für "unwürdig" – und erwartet für den Herbst doch noch mehr Steuereinkünfte, wie er im Interview mit t-online erklärt.

t-online: Herr Truger, in den nächsten fünf Jahren nimmt der Fiskus 150 Milliarden Euro weniger ein als gedacht. Müssen wir jetzt sparen, bis es quietscht?

Achim Truger: Nein, das müssen wir sicher nicht. Es wäre genug Geld da, wir müssten es nur richtig anstellen.

Das klingt bei Finanzminister Christian Lindner aber anders.

Das stimmt. Herr Lindner inszeniert sich mit der Steuerschätzung sehr professionell. Er stellt die Ergebnisse so dar, als sei er der strenge Kassenwart, der nun alle zum Sparen ermahnen muss. Dabei ist das, was er gerade vorgestellt hat, eigentlich gar keine Überraschung: Die rund 30 Milliarden Euro pro Jahr, die gegenüber der Schätzung vom letzten Herbst fehlen, gehen nämlich fast allein auf den Inflationsausgleich, also die Senkung der Einkommensteuer zurück, die erst dieses Jahr wirksam wurde. Dieses Finanzloch kam also mit Ansage.

Mit der Anpassung der Einkommenssteuertarife will die Ampelregierung verhindern, dass sich der Staat an der Inflation bereichert. Ist das denn nicht gut und richtig so?

Auf den ersten Blick ja, auf den zweiten aber würde ich sagen: Der steuerliche Inflationsausgleich war ein Fehler.

Warum?

Weil wir jetzt eine Diskussion über den Staatshaushalt führen, die so nicht hätte sein müssen. Das unwürdige Gezänk um die Kindergrundsicherung oder um weiteres Geld für die Kommunen zur Finanzierung der vielen Geflüchteten – dieses Drama hätte man sich sparen können. Mich ärgert daran aber auch noch etwas anderes.

Nämlich?

Der steuerliche Inflationsausgleich kommt vor allem den Reicheren in der Gesellschaft zugute. Es wäre viel besser gewesen, einfach nur den Grundfreibetrag anzuheben, statt auch weiter oben in der Einkommensverteilung die Tarifwerte anzupassen.

Nun ist all das aber beschlossene Sache, das Loch im Haushalt, je nach Rechnung zwischen 14 und 18 Milliarden Euro im kommenden Jahr, ist da. Wie lässt es sich stopfen?

Indem wir uns zum Beispiel allein in diesem Jahr nicht so an die Schuldenbremse geklammert hätten.

Klar, dass Sie das jetzt sagen.

Weil es eben aber auch so ist. Dadurch werden dieses Jahr rund 40 Milliarden Euro Rücklagen verschossen, nur weil man – trotz der wirtschaftlichen Ausnahmesituation – nicht mehr Kredite aufnehmen wollte. Das war voreilig. Wir hätten durchaus mehr Schulden machen können, die EU-Kommission hat auch die allgemeine Ausnahme von den Schuldenregeln ausgerufen.


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Die steigenden Zinsen sind natürlich auch für den Staat eine Belastung.


Achim Truger


Aber hätten wir die Schuldenbremsendiskussion dann nicht einfach im nächsten Jahr geführt?

Das mag sein. Allerdings hätten wir dann die Fiskalklippe im kommenden Jahr leichter umschiffen können. Dann wäre der Übergang von der akuten Krise hin zu einer dann neuen Normalität leichter gefallen.

Blicken wir nach vorn: Kindergrundsicherung, Bundeswehr, Heizungsförderung – wo würden Sie jetzt den Rotstift ansetzen?

Ich setze gar keinen Rotstift an. Das ist nicht meine Aufgabe und das will ich auch gar nicht. Denn mir fehlen ja, wie allen anderen auch, verlässliche Zahlen sowie Vorschläge und Eckwerte für den Haushalt. Das ist ja überhaupt der größte Witz bei der Sache.

Was genau?

Diejenigen, die immer wieder die finanzpolitische Solidität beschwören, meinen damit immer nur, dass andere ihre Ausgaben und Wünsche priorisieren sollen. Wo ist denn der konkrete Priorisierungsvorschlag aus dem Finanzministerium? Warum liegt da nicht längst etwas vor? Das, finde ich, ist kein vernünftiger Ansatz.

Achim Truger: Der Wirtschaftsweise plädiert für weitere Konjunkturanreize.
Achim Truger: Der Wirtschaftsweise plädiert für weitere Konjunkturanreize. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Achim Truger, Jahrgang 1969, ist Volkswirt und lehrt als Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen. Seit 2019 ist er auf Vorschlag der Gewerkschaften Mitglied des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit einer der fünf "Wirtschaftsweisen", die die Bundesregierung beraten. Truger gilt als Vertreter eines eher linken Politikverständnisses, eine seiner Kernpositionen ist die Ablehnung der Schuldenbremse.

Was wäre denn Ihr Ansatz?

Zunächst sollte das Ministerium die aktuelle Finanzlage wie sonst auch transparent abbilden und endlich Eckwerte für die Finanzplanung vorlegen. Auf der Basis kann man vernünftig diskutieren. Und wer weiß, wie es weitergeht, vielleicht ist am Ende doch noch etwas mehr Geld da.

Das klingt, als hofften Sie auf doch noch mehr Staatseinnahmen, womöglich sogar Überschüsse.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sich im November beim Kassensturz tatsächlich noch einige Spielräume auftun werden. Dann könnten wir die aktuellen Diskussionen deutlich entspannter führen. Klar, wenn es mit der Konjunktur schlechter laufen solle, geht das nicht.

Oder dann, wenn wegen der hohen Inflation die Zinsen noch weiter steigen. Dann muss auch der Staat mehr für seine Schulden ausgeben. Oder?

Grundsätzlich sind die steigenden Zinsen natürlich auch für den Staat eine Belastung. Allerdings macht sich das ja erst in Jahren bemerkbar. Dann, wenn der Fiskus neue Staatsanleihen ausgibt, oder wenn er alte Schulden durch neue ersetzen muss. Das ist ein langsamer Prozess, der in meinen Augen zu keiner Überforderung der Staatsfinanzen führt. Grundsätzlich gilt: Bei den Staatsanleihen sollten wir künftig die Ausgabeauf- oder -abschläge, die der Staat einnimmt oder hinnehmen muss, über den gesamten Anleihezeitraum gestreckt verbuchen. Das ist zulässig, bei Eurostat gängige Praxis – und würde die Zinsausgaben im Jahr 2024 deutlich senken.

Im Streit um die Staatsausgaben schlagen Grüne und Sozialdemokraten vor, die Einnahmen zu erhöhen, etwa durch höhere Steuern. Die FDP ist dagegen. Was halten Sie davon?

Das wäre in der Tat eine gute Idee, zumindest, wenn es sich dabei um Steuern handelt, die sich auf die oberen fünf bis zehn Prozent konzentriert, für die eine Mehrbelastung nicht so schmerzhaft ist. Auch dies dürfte mit den Liberalen schwierig werden. Aber wie wäre es denn mit Subventionsabbau, zum Beispiel bei ökologisch kontraproduktiven Steuervergünstigungen wie dem Dieselprivileg? In einer Koalition kann man ja nicht zu allem Nein sagen und auf Maximalpositionen beharren.

Herr Truger, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Video-Interview mit Achim Truger am 12. Mai 2023
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