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Haushaltsurteil: Wirtschaftsvertreter bangen um Standort Deutschland


Wirtschaft reagiert auf Haushaltsurteil
"Schallende Ohrfeige für die Ampelkoalition"

Von Frederike Holewik

22.11.2023Lesedauer: 4 Min.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck: Die deutsche Wirtschaft ist nach dem Haushaltsurteil besorgt. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)

Die Unklarheit über die Haushaltslage belastet die deutsche Wirtschaft. In verschiedenen Branchen macht sich Unsicherheit darüber breit, wie es jetzt weitergehen kann.

Der Paukenschlag des Karlsruher Haushaltsurteils hallt nach: Die deutsche Wirtschaft bangt um zugesicherte Staatshilfen, aber auch um das Vertrauen in den Standort Deutschland insgesamt.

"Die deutsche Industrie sieht die aktuelle politische Lage mit größter Sorge. Die zahlreichen offenen Fragen infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verunsichern Unternehmerinnen und Unternehmer in einer ohnehin schwierigen wirtschaftlichen und globalen Situation extrem", so der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm.

"Die Bundesregierung muss jetzt rasch Klarheit über den tatsächlichen Umfang der finanziellen Folgen des Urteils schaffen", fordert Russwurm. Diese Unsicherheit könne sonst dazu führen, dass wichtige Investitionsentscheidungen aufgeschoben würden oder sich Unternehmen gänzlich gegen den Standort Deutschland entschieden.

Konkret könnten Unsicherheiten abgebaut werden, wenn Unternehmen, die sich auf Unterstützung aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) eingestellt hatten, Sicherheiten bekämen, sagt der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian. "Unternehmen, denen eine Förderung fest zugesagt oder auch politisch in Aussicht gestellt worden ist, sollten sich darauf verlassen können, die zugesagten Mittel auch zu erhalten. Ansonsten wäre der Schaden immens", so Adrian zu den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Wirtschaftsrat: "Schallende Ohrfeige für Ampelkoalition"

"Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine schallende Ohrfeige für die Ampelkoalition", sagt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, zu t-online. Doch er sieht darin auch eine Chance, denn die Schuldenbremse zeige auf, an welchen Stellen unnötige Ausgaben getätigt würden.

 
 
 
 
 
 
 

"Ganz konkret fordern wir das Aussetzen der zum Jahreswechsel geplanten Anhebung des Bürgergeldes um zwölf Prozent und die Überprüfung der Arbeitsbereitschaft der erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger durch gemeinnützige Tätigkeiten", so Steiger. Weiteres Sparpotenzial sieht er bei der Kindergrundsicherung. Aber auch Kostenpunkte in der Entwicklungshilfe oder der Neubau des Kanzleramtes sollten nun hinterfragt werden. "Letztere spart zwar 'nur‘ eine knappe Milliarde Euro ein, wäre aber zumindest ein deutliches Zeichen, dass die Bundesregierung den Ernst der Lage begriffen hat."

Auch bei der Rente könne der Rotstift angesetzt werden, auch wenn das eine unbeliebte Maßnahme wäre. "Dickstes Brett wäre die Rücknahme aller Rentengeschenke, denn mittelbar ist natürlich auch die Rentenkasse über den Bundeszuschuss mit dem Bundeshaushalt verbunden", so Steiger. "Allein Grundrente und Mütterrente schlagen jährlich mit rund 20 Milliarden Euro zu Buche." Auch die sogenannte Rente mit 63 koste Milliarden.

Thyssenkrupp setzt weiter auf Staatshilfe

Einzelne Konzerne hingegen blicken zuversichtlich in die Zukunft. So geht etwa Thyssenkrupp davon aus, dass trotz Haushaltssperre die Gelder für den klimafreundlichen Umbau des Stahlwerks in Duisburg fließen werden. "Wir haben den Förderbescheid für die Direktreduktionsanlage erhalten und gehen davon aus, dass die Finanzierung vollumfänglich gesichert ist", sagte ein Unternehmenssprecher der "Rheinischen Post". Bund und das Land NRW geben insgesamt zwei Milliarden Euro an Thyssenkrupp.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in der vergangenen Woche die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Das Geld war als Corona-Kredit bewilligt worden, sollte aber nachträglich für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Zugleich entschieden die Richter, der Staat dürfe sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen.

Dies hat zur Folge, dass weitere Milliardensummen für Zukunftsvorhaben gefährdet sind. Da die genauen Auswirkungen auch auf den regulären Haushalt noch unklar sind, entschied das Finanzministerium, vorsorglich bestimmte Zusagen aller Ministerien für kommende Jahre im Haushalt zu sperren.

Schuldenbremse kippen?

Eine Lösung – zumindest übergangsweise – könnte im Aussetzen der Schuldenbremse liegen. Dafür gibt es verschiedene Modelle.

Die sicherste, aber auch weitreichendste Variante wäre eine Änderung des Grundgesetzes, entweder bei der Funktionsweise der Schuldenbremse oder für die Verankerung von Sonderfonds. Letzteres wurde etwa bei Sondervermögen für die Bundeswehr gemacht, das mit einer Zweidrittelmehrheit in der Verfassung verankert wurde. Ob eine solche Änderung am Grundgesetz in der aktuellen Lage die nötigen Stimmen außerhalb der Ampelkoalition finden würde, ist unklar.

Doch sowohl in der FDP als auch in der Union halten viele weiterhin an dem Instrument fest. "Ich sehe im Augenblick nicht, dass wir an die Schuldenbremse heranmüssen", sagte CDU-Chef Friedrich Merz in der Talkshow "Maischberger".

Notlage als wahrscheinlichste Lösung

Die zunächst wahrscheinlichere Übergangslösung liegt deshalb darin, für das Jahr 2023 eine Notlage zu erklären. Ein solcher Beschluss macht es möglich, eine Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu nutzen und die bereits ausgegebenen Kredite nachträglich zu rechtfertigen. Doch auch dieses Manöver gilt unter Experten als rechtlich umstritten.

Als erster Ampelpolitiker hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich eine solche Regelung ins Spiel gebracht. "Wir werden aus meiner Sicht nicht darum herumkommen, für 2024 die Ausnahmeregel zu ziehen – womöglich auch länger", sagte er dem "Stern".

Sparvorschläge wie die von Wirtschaftsrat-Generalsekretär Steiger gibt es unterdessen auch von anderer Seite. So sprach sich am Mittwoch auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm für Rentenkürzungen aus. "Zum Beispiel die Rente ab 63 oder die Mütterrente könnte man zur Disposition stellen. Und bei der Anpassung von Bestandsrenten könnte man weniger Aufwüchse vorsehen", sagte sie der Funke Mediengruppe. Sparpotenzial sieht sie auch bei Subventionen für Unternehmen und Haushalte im Rahmen der Heizungsförderung.

Verbraucherschützer und Sozialverbände hingegen kritisieren Kürzungsvorschläge bei Sozialhilfe und Energiepreisbremsen. Inwiefern Einsparungen und auch eventuelle Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen das Haushaltsloch stopfen könnten, ist darüber hinaus umstritten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Statement Wolfgang Steiger (Wirtschaftsrat der CDU)
  • handelsblatt.com: "Habeck hält auch Energiepreisbremsen für verfassungswidrig"
  • handelsblatt.com: "Finanzministerium will Krisenfonds WSF vollständig auflösen"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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