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Inflation 2024: Bundesbankpräsident Joachim Nagel im Interview optimistisch


Bundesbankpräsident Joachim Nagel
"Das sind gute Nachrichten für alle Menschen"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 20.12.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Frankfurt am Main, 15.12.2023Dr. Joachim Nagel, Praesident Deutsche Bundesbank.Photo © Peter JuelichVergrößern des Bildes
Herrscher des Geldes: Bundesbankpräsident Joachim Nagel. (Quelle: Peter Juelich/t-online)

Die Inflation sinkt. Und glaubt man Bundesbankpräsident Joachim Nagel, geht das auch so weiter. Im t-online-Interview erklärt Deutschlands oberster Währungshüter, womit Verbraucher 2024 rechnen können.

Es ist ein grauer Dezembertag in Frankfurt am Main, kalt breitet sich die Stadt mit ihren mächtigen Hochhäusern vor Joachim Nagel aus, als er aus dem Fenster blickt. Trotzdem wirkt der Präsident der Bundesbank an diesem Morgen fast vergnügt.

Einer der Gründe dafür findet sich in der amtlichen Statistik: Die Inflation in Deutschland und Europa sinkt spürbar. Für Nagel, Deutschlands obersten Währungshüter, und seine Mitstreiter im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) rückt das Ziel einer jährlichen Teuerungsrate in Höhe von 2 Prozent in Sichtweite. Im Interview mit t-online erläutert er, wo er die Inflation im Alltag spürt, warum die Zinsen allzu bald noch nicht fallen dürften – und welche Auswirkungen die jüngsten Beschlüsse der Ampelregierung zum Haushalt auf die deutsche Wirtschaft haben könnten.

t-online: Herr Nagel, wie viel haben Sie auf dem Weihnachtsmarkt zuletzt für eine Tasse Glühwein bezahlt?

Joachim Nagel: Kürzlich in Berlin habe ich fünf Euro bezahlt, plus Pfand. Da habe ich mich schon gefragt, was so ein Becher wohl vor einem Jahr gekostet hat. Ich meine, damals waren es 50 Cent weniger.

Das wäre dann ein Preissprung von 11 Prozent, weit mehr als die durchschnittliche Inflation.

Richtig. Ganz überraschend ist das allerdings nicht: Da spielen sicher teurere Zutaten eine Rolle. Auch die Mitarbeiter, die dort am Stand stehen, könnten in diesem Jahr mehr verdienen als im vergangenen Jahr.

Wo spüren Sie die Teuerung noch?

Mir begegnet die Inflation vor allem im Supermarkt. Ich koche sehr gern, meistens am Wochenende, und kaufe dann auch dafür ein. Dabei stelle ich fest, dass viele Lebensmittel teurer geworden sind. Manches wurde zuletzt aber auch wieder billiger, etwa Butter oder Vollmilch. Aber insgesamt zeigt sich die Inflation bei den Lebensmitteln immer noch ganz deutlich.

Sie sind als Präsident der Bundesbank und Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Preisstabilität verantwortlich. Sie sollen dafür sorgen, dass die Verbraucherpreise im Jahresschnitt nur um rund zwei Prozent steigen. Wie fühlt es sich an, dieses Ziel jetzt im dritten Jahr in Folge zu verfehlen?

Nicht gut natürlich. Die Preisstabilität ist unser Kernmandat. Und Preisstabilität ist aus Sicht des EZB-Rats erreicht, wenn die Inflationsrate im Euroraum mittelfristig zwei Prozent beträgt. Wir müssen weiter auf dieses Ziel hinarbeiten. Die EZB hat nun zehnmal hintereinander die Zinsen angehoben und damit viel erreicht: Die Inflation geht deutlich zurück. Noch vor einem Jahr hatten wir zweistellige Inflationsraten, nun liegen wir unter drei Prozent. Die Geldpolitik wirkt.

Im November immerhin ist die Inflation in Deutschland deutlich gesunken. Wird sich dieser Abwärtstrend jetzt fortsetzen?

Mittelfristig bewegt sich die Inflation in die richtige Richtung: nach unten. Zum Jahreswechsel dürfte die Teuerung vorübergehend noch einmal steigen, weil sich Sondereffekte auswirken. Die Inflationsrate vergleicht nämlich die aktuellen Preise mit denen vor genau einem Jahr. Und im Dezember 2022 hat unter anderem die vom Bund gewährte Soforthilfe für Gas und Fernwärme das Preisniveau stark gedrückt. Diese entfällt nun, und deshalb fallen die Preise im Vergleich zu damals merklich höher aus. Insgesamt müssen wir wachsam bleiben: Inflationsbekämpfung ist kein Selbstläufer.

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Und womit rechnen Sie für das kommende Jahr, wie hoch wird die Inflation 2024 in Deutschland sein?

Die Inflationsrate wird sich 2024 mehr als halbieren: Nach unserer Deutschland-Prognose liegt sie in diesem Jahr im Schnitt noch bei 6,1 Prozent, nächstes Jahr fällt sie dann auf 2,7 Prozent.

Hoch war zuletzt die sogenannte Kerninflation ohne Lebensmittel- und Energiepreise. Auch die Bundesbank hat festgestellt, dass die Gewinnmargen der Firmen 2023 stark gewachsen sind. Machen sich die Unternehmen im Windschatten der Inflation die Taschen voll?

So pauschal würde ich das nicht sagen. Zwar gibt es durchaus Unternehmen, die nicht nur ihre eigenen höheren Kosten weitergegeben haben, sondern die Preise darüber hinaus erhöhen konnten. Das wird im kommenden Jahr aber schwieriger. Ich bin überzeugt, der Wettbewerb sorgt dafür, dass die Unternehmensgewinne wieder sinken.

Wie werden sich die Reallöhne im nächsten Jahr entwickeln?

Wir gehen davon aus, dass die Nettoeinkommen im nächsten Jahr steigen. Die Beschäftigten in Deutschland werden sich also von ihrem Einkommen wieder mehr leisten können.

Die Ampel-Koalition hat unlängst einen Kompromiss im Haushaltsstreit gefunden, streitet jetzt aber erneut über die Details. Wie blicken Sie auf die Diskussion in Berlin?

Ich würde es begrüßen, wenn die Ampelkoalition einen tragfähigen Kompromiss findet. Das verringert Unsicherheit, was aus Notenbankperspektive immer vorteilhaft ist. Für mich sind perspektivisch zwei Punkte wichtig.

Nämlich?

Damit die Wirtschaft wachsen kann, benötigen wir stabile Rahmenbedingungen, etwa bei der Energiewende. Mit Blick auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt wäre mein Wunsch, dass sich die EU-Finanzminister noch vor Jahresende auf ein stringenteres Regelwerk einigen, das die öffentliche Verschuldung begrenzt und hohe Schuldenquoten zurückführt.


Quotation Mark

Deutschland bleibt der Stabilitätsanker im Euroraum.


Bundesbankpräsident Joachim Nagel


Teil des Haushaltskompromisses ist auch eine Reihe von Schritten, die das Leben teurer machen werden: der höhere CO₂-Preis zum Beispiel, aber auch der Wegfall der Netzentgelt-Zuschüsse. Wie sehr wird sich das auf die Inflation auswirken?

Die Effekte sind insgesamt begrenzt und zum Teil schon in unserer Deutschland-Prognose enthalten. Ich erwarte daher aus heutiger Sicht nahezu keine Änderungen bei unseren Aussagen.

Aber im Grundsatz muss man doch trotzdem festhalten: Die Fiskalpolitik der Ampel konterkariert mal wieder die Geldpolitik der Notenbank, oder?

Nein. Die Staatsschuldenquote bewegt sich auf die Maastricht-Grenze von 60 Prozent zu. Sie wird auch in den nächsten Jahren zurückgehen. Deutschland bleibt der Stabilitätsanker im Euroraum.

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Gibt es eigentlich gute und schlechte Schulden?

Derzeit wird diskutiert, ob Schulden für Investitionen besser sind als Schulden für Konsumausgaben. Wenn sichergestellt ist, dass die Neuverschuldung insgesamt im Rahmen bleibt, könnten aus meiner Sicht Nettoinvestitionen stärker berücksichtigt werden. Das könnte die nötige Transformation der Volkswirtschaft unterstützen.

Das heißt, Sie würden die Schuldenbremse gern reformieren.

Die Schuldenbremse hat die Neuverschuldung wirksam gebremst und Deutschland so haushaltspolitische Spielräume bewahrt. Daran sollten wir festhalten. Dennoch lässt sich die Schuldenbremse reformieren, die Bundesbank hat schon im April 2022 Vorschläge dazu gemacht. Zum Beispiel könnte die Obergrenze für die Nettokreditaufnahme höher liegen, wenn die Gesamtschulden weniger als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Sie haben gerade Ihre Prognose für Deutschlands Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 stark gesenkt. Im Sommer noch gingen Sie von einem Plus in Höhe von 1,2 Prozent aus, jetzt erwarten Sie fürs nächste Jahr nur noch 0,4 Prozent Wachstum. Warum kommt die deutsche Wirtschaft nicht aus dem Knick, während es in vielen Ländern besser läuft?

Die wirtschaftliche Erholung verzögert sich. Das höhere Wachstum verschiebt sich auf die Jahre 2025 und 2026, nächstes Jahr fällt der Aufschwung dagegen etwas moderater aus. Ein Grund dafür ist, dass die ausländische Nachfrage nach deutschen Industrieerzeugnissen geringer ist, als im Sommer angenommen. Außerdem halten sich die privaten Haushalte bei ihrem Konsum unerwartet stark zurück. Ein weiterer Grund liegt darin, dass Deutschland viel stärker als andere Länder vom Krieg in der Ukraine und den Folgen der Energiekrise betroffen war. Darunter leiden wir noch immer. Aber deshalb ist längst nicht alles schlecht.

Ach nein?

Ganz bestimmt nicht. Wir haben mit viel Kraft einiges geschafft, vor allem haben wir den Ausfall von russischem Gas kompensiert und den gravierenden wirtschaftlichen Abschwung verhindert, den einige befürchtet hatten. Wir sollten das Geschäftsmodell "Made in Germany" nicht schlecht machen und uns in eine Krise hineinreden.

Die Wirtschaftsweisen sahen das zuletzt anders. Allein ob des demografischen Wandels droht die deutsche Wirtschaft den Anschluss zu verlieren.

Es gibt große Herausforderungen wie Klimaneutralität und die Alterung der Gesellschaft. Das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt dürfen wir in der Tat nicht unterschätzen. Schon jetzt ist der Fach- und Arbeitskräftemangel groß – und dieses Problem wird sich noch verschärfen. Umso dringender ist es, ihm zu begegnen.

Sollten wir deshalb alle später in Rente gehen?

Wir leben heute im Großen und Ganzen länger als früher. Die Bundesbank hat dazu eine sehr klare Meinung, nicht nur die Rentenzeit zu verlängern, sondern auch die Lebensarbeitszeit.

Sie haben eben schon erklärt, dass die Inflation noch zu hoch ist, um die Zinsen bereits jetzt zu senken. Können sich Verbraucher und Firmen denn wenigstens im Laufe des nächsten Jahres auf eine Zinssenkung einstellen?

Unsere wichtigste Aufgabe ist die Preisstabilität im Euroraum. Darauf arbeiten wir hin. Das bedeutet: Wir müssen zunächst auf dem aktuellen Zinsplateau bleiben, damit die Geldpolitik ihre inflationsdämpfende Wirkung voll entfaltet.

Eine Zinssenkung im nächsten Sommer schließen Sie also aus?

Wir schauen uns im EZB-Rat die Daten sehr genau an und entscheiden bei jedem Treffen aufs Neue. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ist der Zinshöhepunkt erreicht. Allen, die deshalb gleich auf eine baldige Zinssenkung spekulieren, sage ich: Vorsicht, es haben sich schon manche verspekuliert.

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Bleiben Sie und die EZB vielleicht auch deshalb bei Ihrer harten geldpolitischen Linie, weil Ihnen Kritiker vor anderthalb Jahren vorgeworfen haben, die Inflation verschlafen zu haben?

Ich bin seit Januar 2022 Bundesbankpräsident und Mitglied im EZB-Rat, und wir sind dort hellwach. Entscheidend ist, was wir erreicht haben: Die Inflation sinkt. Die Geldpolitik wirkt. Und wir erleben keine schlimme Rezession. Das sind gute Nachrichten für alle Menschen und für die Wirtschaft.

Ihre Amtszeit als Bundesbankpräsident jährt sich in wenigen Tagen zum zweiten Mal. Werden Sie eigentlich auf der Straße erkannt?

Auf der Straße werde ich nur selten erkannt, und das ist auch gut so. Ich bin schließlich nicht nur Bundesbankpräsident, sondern auch Privatmensch.

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(Quelle: Peter Juelich/t-online)

Zur Person

Joachim Nagel, Jahrgang 1966, ist seit Januar 2022 Präsident der Deutschen Bundesbank und in dieser Funktion Teil des Rats der Europäischen Zentralbank, der bestimmt, wie hoch die Leitzinsen in der Eurozone sind. Zuvor arbeitete der Volkswirt unter anderem als Vorstand für die staatliche Förderbank KfW, zudem war er stellvertretender Leiter des Bankbereichs bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Nagel ist Mitglied der SPD. Er lebt getrennt und hat zwei Kinder.

Gab es in diesen zwei Jahren irgendwann einen Moment, an dem Sie es bereut haben, diese Aufgabe übernommen zu haben?

Nein. Ich spüre immer die Verantwortung, die bei mir liegt, und setze mich mit Herzblut für Preisstabilität und die Bundesbank ein. Ich bin sehr gerne Bundesbankpräsident und freue mich auf die nächsten Jahre.

Herr Nagel, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Joachim Nagel in Frankfurt am 15. Dezember 2023
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