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Bauernproteste: Bioland-Präsident Plagge beklagt Reformenstau der Ampel


Bioland-Präsident über Bauernproteste
"Ich bin sehr enttäuscht"

InterviewVon Frederike Holewik

Aktualisiert am 20.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Bauernproteste: Die Großkundgebung beginnt.Vergrößern des Bildes
Bauernproteste: Nicht nur Landwirte machten ihrem Ärger bei den Kundgebungen in der vergangene Woche Luft. (Quelle: FABRIZIO BENSCH/Reuters)

Eine Regierung mit Beteiligung der Grünen stimmte die Biobauern zuversichtlich. Doch zwei Jahre später ist wenig passiert. Bioland-Präsident Plagge über seine Enttäuschung.

Auf den Bauerndemos in ganz Deutschland wurde in den vergangenen Wochen der Frust der Landwirte deutlich. Dabei geht es um mehr als die geplante Rücknahme des Agrardieselprivilegs. Die Wut reicht von wachsenden Bürokratiebergen, über Regelungen der Europäischen Union bis hin zu Vorgaben für mehr Umwelt- und Tierschutz.

Den Biobauern kommen manche dieser Vorgaben eigentlich gelegen, denn sie erfüllen sie bereits und haben somit einen Wettbewerbsvorteil. Doch auch der Anbauverband Bioland ist mit dem Handeln der Bundesregierung unzufrieden.

Im Interview mit t-online erklärt Verbandschef Jan Plagge, warum er Finanzminister Christian Lindner zuletzt nur schwer zuhören konnte, wie eine Tierwohlabgabe das schlechte Gewissen der Deutschen beruhigen könnte und weshalb er bei aktuellen EU-Diskussionen einen Aufschrei der Kunden vermisst.

t-online: Herr Plagge, wie wütend sind Sie?

Jan Plagge: Ich bin sehr enttäuscht. Als die Ampelregierung vor zwei Jahren übernommen hat, lag der Ball auf dem Elfmeterpunkt. Doch sie haben ihn verschossen.

Was meinen Sie damit?

Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat damals ihre Ergebnisse präsentiert und damit einen konsensfähigen Vorschlag unterbreitet, was im Agrarsektor geändert werden muss. Wenn sich die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann dann in dieser Woche hinstellt und sagt, es gebe kein Ideen-, sondern ein Umsetzungsproblem, kann ich nur zustimmen. Aber dass die Bauern erst auf die Straße gehen müssen, damit Bewegung in die Sache kommt, das ärgert mich.

Bei den Bauernprotesten haben die meisten Reden und auch die Aufschriften auf den Traktoren die Situation in der konventionellen Landwirtschaft kritisiert. War trotzdem Platz für die Belange der Biobauern?

Ja, es waren auch viele Biobauern vor Ort. Die Kürzungspläne der Regierung, etwa die Abschaffung der Agrardieselbeihilfe, trifft uns genauso. Vor allem ging es bei den Protesten auch darum, den Reformstillstand anzuprangern.

Bei den Protesten gab es auch eine Reihe von rechten Plakaten, einige Demonstranten hängten eine Ampel an einen mitgebrachten Galgen, Autos waren teils mit Reichsfahnen behängt. Werden die Bauerndemos instrumentalisiert?

Diese Demos finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einer gesamtgesellschaftlichen Situation, in der Rechte mit ihrem widerlichen Gedankengut versuchen, legitime Proteste zu kapern. Viele Teilnehmer und auch die Organisatoren haben sich klar davon abgegrenzt. Um es ganz klar zu sagen: Bauern sind für rechtsextreme und menschenfeindliche Gedanken nicht anfälliger als andere Gruppen. Wir müssen als gesamte Gesellschaft lauter werden und Antidemokraten widersprechen.

Zur Person

Jan Plagge hat in München Agrar- und Gartenbauwissenschaften studiert. Danach arbeitete als Berater für ökologischen Land- und Gartenbau. Seit 2021 ist er Präsident des Anbauverbandes Bioland. Zuvor hatte er bereits seit 2011 den Verband als Geschäftsführer geleitet. Zudem ist er Vorstand im Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) sowie der IFOAM Organics Europe.

Sie haben für Samstag auch eine eigene Demo angekündigt. Warum?

Das machen wir, gemeinsam mit den anderen Trägern, jedes Jahr zur Grünen Woche. "Wir haben es satt!", lautet der Slogan, denn wir sind unzufrieden mit der deutschen und europäischen Agrarpolitik. Höfe sterben, der Trend geht zur Agrarindustrie. Bauern befinden sich in immer strikteren Abhängigkeiten. Es herrscht eine einseitige Marktmacht des Handels. Viele Bauern fühlen sich ohnmächtig. Darauf wollen wir aufmerksam machen und erhoffen uns gerade in diesem Jahr eine breite, bunte Unterstützung.

Inwiefern sind die Bauern vom Handel abhängig?

Es ist derzeit gang und gäbe, dass die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse von oben nach unten gebildet werden. Das heißt, der Handel und die verarbeitenden Firmen handeln Preise aus und was übrig bleibt, landet beim Landwirt. Das ist mal mehr und mal weniger, aber so können Landwirte schlecht planen.

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Was müsste sich ändern?

Das europäische Kartellrecht ermöglicht mittlerweile, dass sich Landwirte, verarbeitende Industrie und Handel gemeinsam auf auskömmliche Preise einigen können, wenn entsprechende Auflagen für Klima- und Tierschutz erfüllt werden. Das umzusetzen, daran arbeiten wir aktuell, aber brauchen noch mehr Rückenwind aus dem Handel. Von der Politik brauchen wir vor allem feste Finanzierungszusagen.

Über welche finanziellen Dimensionen sprechen wir da?

Die sogenannte Borchert-Kommission hat berechnet, dass der Umbau auf artgerechte Tierhaltung zwischen drei und vier Milliarden Euro jährlich kosten würde. Das könnte aber über eine Umlage finanziert werden. Das ist jahrelang bekannt, aber es fehlt am Handlungswillen in der Koalition.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat in dieser Woche eine solche Abgabe unter dem Namen "Tierwohlcent" in die Diskussion eingebracht. Wäre das der richtige Schritt?

Die Tierwohlabgabe ist der zentralste Schritt, denn sie sichert die ökonomische Grundlage der Landwirte, um die Tierhaltung und ihre Ställe umzubauen.

Viele Menschen behaupten, nachhaltig und biologisch einzukaufen. Wenn das alle täten, wäre eine Umlage vielleicht gar nicht nötig. Doch ein Blick in die Zahlen verrät: Biofleisch macht unter fünf Prozent vom Fleisch in Deutschland aus. Sind die Menschen schlicht zu geizig?

Die Preisunterschiede, gerade beim Fleisch, sind sehr hoch. Dabei ist aber nicht das Biofleisch zu teuer, sondern durch Aktionspreise und Importe sind die Menschen an Preise gewöhnt, die nicht nachhaltig sind – diese Preise sind also nur an der Ladentheke billig. Denn sie gehen auf Kosten unserer Zukunft und natürlich auf Kosten der Tiere. Durch eine Umlage würde Biofleisch im Verhältnis günstiger und somit auch für mehr Menschen eine tatsächliche Option.

Warum hat die Ampel die Umlage noch nicht eingeführt?

Hauptsächlich, weil die FDP blockiert.

Wie passt diese Haltung damit zusammen, dass FDP-Chef Christian Lindner am vergangenen Montag auf der Bauerndemo davon sprach, dass der Protest sogar das Brandenburger Tor ehre?

Für mich war Lindners Rede kaum auszuhalten, denn es waren so viele fachliche Verzerrungen darin. So hat er versprochen, Bürokratie abzubauen. An sich ein guter Punkt, denn tatsächlich haben Landwirte mit viel Bürokratie zu kämpfen. Doch Lindners Vorschläge wären ein einziger Rückschritt. Mehr Pestizide, weniger Umwelt- und Naturschutz. Das finde ich erschreckend, denn die Anstrengungen für Umwelt und Natur sind kein Selbstzweck, sondern wichtig für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und für sie gibt es auch europäische Vorgaben.

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Welche Bürokratie sollte denn Ihrer Meinung nach abgebaut werden?

Alle Landwirte verzweifeln über den europäischen Förderrichtlinien. Da gibt es Auflagen, die nicht mit der Biolandwirtschaft vereinbar sind, etwa zu welcher Zeit der Boden bestellt werden soll. Ein anderes Beispiel ist die Düngeverordnung. Hier fordern wir, dass Betriebe, die mit geringem Nährstoffeinsatz arbeiten, von der Dokumentationspflicht freigestellt werden. Das ist unnötiger Aufwand, da bereits aus anderen Anträgen und der staatlichen Öko-Kontrolle bekannt ist, dass die Vorgaben auf solchen Höfen eingehalten werden.

Eine Ihrer Kernforderungen ist zudem Planbarkeit. Was genau meinen Sie damit?

Neben der Umsetzung der Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft ist uns der Umbau der europäischen Agrarpolitik wichtig. Denn diese stellt bislang keinen planbaren Förderrahmen für ökologische Landwirtschaft zur Verfügung. Anforderungen werden kurzfristig geändert und zudem ist es für die Bauern sehr kompliziert auszurechnen, was für ihren Hof überhaupt langfristig Sinn ergibt. Wir schlagen daher ein Stufenmodell vor, bei dem jeder Landwirt direkt weiß, in welche Kategorie er mit seinem gesamten Betrieb fällt und dann auch sicher mit den entsprechenden Fördermitteln planen kann.

Obwohl von der EU Subventionen in Millionenhöhe nach Deutschland fließen, stehen viele Landwirte ihr sehr skeptisch gegenüber. Liegt das nur an den komplizierten Anträgen?

In gewisser Weise, ja. Es gibt in der EU das Unwort "Doppelförderung", das beschreibt, dass die gleiche Maßnahme nicht aus unterschiedlichen Töpfen gefördert werden darf, und das führt dann zu komplizierten Anträgen und viel Frust bei den Landwirten. Vor allem Landwirte, die viele Maßnahmen für Umwelt und Klimaschutz umsetzen, haben das Problem und werden daher von der Förderpolitik oft benachteiligt. Dabei ist der Binnenmarkt in der EU grundsätzlich gut für unsere Branche. Damit das wieder gesehen wird, brauchen wir eine Vereinfachung der Förderung. Das könnte so aussehen, dass die Direktzahlungen abgeschafft werden und stattdessen ein stufenabhängiges Bezahlsystem für die Umsetzung von Umwelt- und Naturschutzleistungen aufgesetzt wird.

Auf EU-Ebene wird derzeit über eine Anpassung der Gesetzeslage bei der Kennzeichnungspflicht für Gentechnik diskutiert. Begründet wird dieser Schritt damit, dass Gentechnik "zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem" beitragen kann. Was halten Sie davon?

Gar nichts. Gentechnik ist mächtig, denn sie kann Pflanzen verändern, wie es auf natürlichem Weg nicht möglich wäre. Bislang werden Gentechnik-Produkte gekennzeichnet. Doch das soll abgeschafft werden. Letztlich wird Gentechnik damit auch vor den Verbrauchern versteckt. Das nutzt vor allem großen Agrarchemiekonzernen wie Bayer und Monsanto, die bereits Patente auf bestimmte Genveränderungen angemeldet haben und damit gutes Geld verdienen.

Deutsche Kunden sind bei Veränderungen grundsätzlich recht skeptisch. Das Freihandelsabkommen TTIP beispielsweise scheiterte auch an der Angst vor importierten "Chlorhühnchen". Warum gibt es jetzt keinen solchen Aufschrei?

Die wenigsten Kunden haben verstanden, was da verhandelt wird. Ich fürchte, der Aufschrei kommt zu spät, nämlich erst dann, wenn die neue Regulierung in Kraft ist. Dann merken es die Menschen beim Preis und auch am veränderten Produkt, an dem der Einsatz von Gentechnik nicht mehr ausgewiesen ist. Die Konzerne können sich durch ihre Patente noch leichter Monopole schaffen und dann haben sie auch noch größere Macht bei der Preisbildung.

Wut auf deutschen Straßen, Bedrohung durch neue EU-Richtlinien: Wie optimistisch schauen die Biolandwirte in die Zukunft?

Wir sind sehr optimistisch. Ökologisch wirtschaftenden Betrieben gehört die Zukunft. Aber wir sind noch lange nicht zufrieden, der Umbau dauert an. Da haben wir noch viel Wegstrecke vor uns.

Herr Plagge, herzlichen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jan Plagge (Bioland)
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