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Autoverbandschefin: "Elon Musk ist nicht der alleinige E-Auto-Visionär"


Autoverbandschefin Müller
"China bereitet mir Sorgen"


Aktualisiert am 04.02.2022Lesedauer: 8 Min.
Interview
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VW-Produktion in Tianjin, China (Symbolbild): "Sorgen bereitet mir der Blick nach China", sagt Verbandschefin Müller.Vergrößern des Bildes
VW-Produktion in Tianjin, China (Symbolbild): "Sorgen bereitet mir der Blick nach China", sagt Verbandschefin Müller. (Quelle: VCG/imago-images-bilder)

Deutschlands Autobauer ächzen unter dem Chipmangel. Die Rettung sollen E-Autos sein. Autoverbandschefin Hildegard Müller erklärt, wie der Verkehr der Zukunft aussehen soll.

Fehlende Chips, Corona und der Umstieg auf die Elektromobilität – VW, Daimler und Co. kämpfen derzeit an vielen Fronten gleichzeitig. Längst ist klar: Wollen Deutschlands Autobauer auch in Zukunft in der Weltspitze mitspielen, müssen sie sich stark bewegen.

Eine, die all diese Probleme kennt, ist Hildegard Müller. Als Präsidentin des mächtigen Verbandes der Automobilindustrie (VDA) kämpft sie deshalb dafür, dass die Politik den Herstellern unter die Arme greift, zum Beispiel beim Ausbau des Ladesäulennetzes für E-Autos.

Im Interview mit t-online erklärt sie, welche Gefahren für die heimischen Hersteller von Omikron ausgeht, wie lange der Chipmangel die Industrie noch belastet und wie sich der Verkehr in Deutschlands Großstädten verändern muss.

t-online: Frau Müller, die Omikron-Welle rauscht durchs Land. Wie sehr belastet das die deutsche Autoindustrie?

Hildegard Müller: Die Produktionsstätten sind weiterhin nicht die ersten Orte der Infizierungen. Die Mitgliedsunternehmen des VDA wenden von Beginn an entsprechende Pandemiepläne an, die – neben dem Hauptziel des Schutzes der Beschäftigten – auch den möglichen umfassenden Ausfall von Personal und Infrastrukturen berücksichtigen. Die Branche war ohnehin sehr früh für das Thema sensibilisiert, auch weil einer der ersten Corona-Fälle vor zwei Jahren in der Autoindustrie auftrat. Anders als bei den vorherigen Wellen sind die Grenzen in Europa zurzeit weiter geöffnet, das ist gut. Sorgen bereitet mir allerdings der Blick nach China.

Sie meinen die Gefahr, die von rigiden Omikron-Lockdowns in den Hafenstädten ausgeht?

Genau. Die weltweite Halbleiterknappheit macht uns ohnehin schon sehr zu schaffen. Wenn es jetzt noch zu zusätzlichen Lieferschwierigkeiten kommt, wird das zu einem großen Problem.

Rechnen Sie deshalb mit neuerlichen Produktionsstopps?

Das ist nicht auszuschließen. Ich will uns da aber auch nicht von anderen Branchen abkoppeln. Der Mangel an Halbleitern ist ja kein alleiniges Problem der Autoindustrie.

Klingt, als gebe es auch dieses Jahr wieder nicht den erwarteten Auto-Aufschwung.

Das wird sich zeigen, die Lage ist jedoch sehr angespannt. Fakt ist: Die Halbleiterknappheit hält noch eine Weile an. Wir gehen davon aus, dass uns die Engpässe bei den Chips auch in diesem Jahr beschäftigen werden. Es gibt weltweit einfach zu wenige Werke, die Halbleiter produzieren, gleichzeitig ist die Nachfrage in fast allen Industrien explodiert. Wir müssen in Europa und Deutschland darauf reagieren und eigene Fabriken aufbauen.

In Brüssel wird das bereits getan. Mit dem "EU Chips Act" könnte es künftig weitreichende staatliche Eingriffe in die europäische Chipproduktion geben. Eine gute Idee?

Ja, absolut. Ich bin ein großer Freund der Globalisierung und glaube, dass sie weltweit zu Wohlstand führt. In diesem Fall müssen wir aber unabhängiger von Asien werden – die angedachten Regelungen werden dabei helfen, dass wir künftig mehr Chips "Made in EU" haben, auf die unsere Unternehmen zugreifen können. Grundsätzlich muss Europa sich sowieso verstärkter um die Rohstoffbeschaffung kümmern. Konkret heißt das: Wir brauchen Energie- und Rohstoffpartnerschaften sowie neue Handelsabkommen, zum Beispiel mit südamerikanischen Ländern wie Chile.

Ob das die Autoindustrie rettet, ist fraglich. Die Zulassungszahlen in Deutschland sanken im Dezember stark – und eine aktuelle Umfrage der Verbraucherzentralen zeigt: Viele Deutsche lassen aufgrund der hohen Spritpreise ihr Auto öfter mal stehen. Haben die Deutschen überhaupt noch Lust aufs Auto?

Moment, da müssen wir differenzieren. Hohe Spritpreise treffen alle Modelle, nicht nur Autos "Made in Germany". Meine Haltung dazu ist klar: Mobilität darf keine Frage des Geldbeutels sein, sie bedeutet Teilhabe und muss für jeden bezahlbar sein! Wir wollen nachhaltige und individuelle Mobilität für alle – dafür braucht es differenzierte Lösungen für unterschiedlichste Lebenswirklichkeiten.

Die Diskussion über andere Verkehrsformen gestaltet sich auf dem Land ganz anders als in der Stadt. Laut einer Allensbach-Umfrage sagen 76 Prozent der Deutschen, dass sie das Auto für ihren privaten Alltag für unverzichtbar halten. Wir sollten weniger im Gegeneinander der Verkehrsträger denken und stärker das ergänzende Miteinander angehen.

Das war jetzt Lobbyisten-Deutsch.

Ganz und gar nicht, das ist es, wo wir hin müssen. Was ich damit meine: Die öffentlichen Verkehrsmittel sind keine Konkurrenz zum Auto, sondern ein Teil der Grundversorgung. Die Mobilität der Zukunft ist vernetzt – alle Verkehrsträger tragen ihren Teil dazu bei. Wichtig ist es, für unterschiedliche Regionen und Realitäten unterschiedliche Lösungen und Modelle zu entwickeln. Meiner Meinung nach fokussiert sich die Politik in dieser Frage ohnehin zu sehr auf die Städte.

Aber gibt es denn in den Städten nicht wirklich zu viele Autos?

Ja, aber Verbote halte ich für den falschen Weg: Wir setzen auf Innovation statt Verbote. In den Städten geht es vor allem darum, die Verkehrsströme besser zu organisieren – die Digitalisierung bringt hier durch Car-Sharing, Ride Pooling oder auch intelligente und vernetzte Verkehrsführung unendlich viele Möglichkeiten. Wichtig ist, diese Alternativen zu ermöglichen, damit Veränderungen realistisch sind. Nur dann kann der Autoverkehr abnehmen.

Das aus Ihrem Munde …

Mobilität der Zukunft ist ein Gemeinschaftsprojekt. Dialog und die Überwindung von alten Feindbildern ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Transformation, die von der Gesellschaft getragen wird. Die Autoindustrie will genau das – und somit ist es nicht verwunderlich, dass auch nach unserer Auffassung überlastete Innenstädte autoärmer werden sollten. Wir arbeiten an konkreten Lösungen dafür.

Also doch weniger Autos?

Nein, das heißt nicht, dass es insgesamt weniger Autos geben wird: Viele Leute werden von den hohen Mieten aus den Stadtzentren in die Vororte gedrängt, aber zu ihren Jobs im Zentrum müssen sie dennoch kommen. Wenn es dort Parkmöglichkeiten an den Stadtgrenzen gibt und einen passenden Anschluss an den ÖPNV, ist das gut. Alternativen müssen geschaffen werden, damit Veränderungen realistisch sind. Die Realität ist aber, dass die Bahn 30 Prozent der Bahnstrecken in den letzten Jahrzehnten stillgelegt hat. Hier muss ein Umdenken stattfinden.

Die Auto-Lobbyistin
Hildegard Müller, Jahrgang 1967, ist seit Februar 2020 Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). In dieser Rolle vertritt sie die Interessen der großen Autobauer wie VW, Daimler und BMW sowie ihrer Zulieferer. Zuvor hat die CDU-Politikerin unter anderem als Staatsministerin im Kanzleramt die Bund-Länder-Aktivitäten für Angela Merkel koordiniert, zuletzt war sie als Managerin beim Energiekonzern RWE tätig. Müller ist verheiratet und hat eine Tochter.

Die Bundesregierung will, dass bis 2030 rund 15 Millionen E-Autos auf der Straße sind. Werden diese Autos von VW, Daimler und Co. gebaut – oder greifen die Deutschen künftig bei neuen asiatischen Marken wie Vinfast zu?

Ich bin überzeugt, dass die deutschen Autobauer in der Elektromobilität den Markt anführen und langfristig die Standards setzen werden. Der Wettbewerb ist intensiv und natürlich müssen wir immer besser werden, um die Kunden zu überzeugen. Dafür investieren die Autobauer auch viel Geld: Allein bis 2026 fließen rund 220 Milliarden Euro in Forschung und Innovation – da ist der Umbau der Werke noch nicht mit eingeschlossen.

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Viel Geld gibt auch der US-Autobauer Tesla aus. In dessen neuer Fabrik bei Berlin sollen schon bald die ersten E-Autos vom Band rollen. Was heißt das für Deutschland und seine eigene Autoindustrie?

Das zeigt vor allem: Deutschland ist als Automobil-Standort weiter sehr wichtig. Elon Musk hätte auch in andere europäische Länder gehen können, aber Tesla ist jetzt hier. Das liegt auch an der exzellenten deutschen Zulieferindustrie, auf die Tesla baut und damit auch Arbeitsplätze sichern wird.

Wird der Tesla-Start in Deutschland auch der E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen?

Ich schätze die Rolle von Tesla für die E-Mobilität, aber Elon Musk ist sicher nicht der alleinige E-Auto-Visionär. Die deutsche Autoindustrie hat sich klar zum Klimaschutz bekannt, stellt im Pkw-Bereich komplett um auf Elektro und ist entschlossener Treiber der Transformation.

Das heißt, die deutschen Hersteller können von Tesla nichts mehr lernen?

Da folge ich der Maxime: Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein.

Tatsächlich wären einige deutsche Hersteller und Zulieferer auch sicherlich froh darüber, wenn die Behörden den Umbau ihrer Werke genauso schnell genehmigen würden wie die Tesla-Fabrik in Grünheide.

Trotz Tesla und allen Anstrengungen der deutschen Hersteller sind wir vom Ziel der 15 Millionen E-Autos bis 2030 noch weit entfernt. Derzeit fahren gerade einmal 500.000 reine E-Autos durch Deutschland. Warum tun sich die Deutschen mit dem Elektroantrieb noch so schwer?

Zum einen überschätzen die Menschen ihren Fahrbedarf. Sie fürchten, dass der Akku nicht für längere Strecken ausreicht. Viele Autofahrer müssen erst einmal erleben, dass das in 90 Prozent der Fälle gar nicht stimmt. Zum anderen muss das Laden der Akkus schneller gehen. Deshalb brauchen wir auch mehr Schnellladesäulen – zusätzlich zu einem dichten Netz an normalen Ladesäulen.

Ohne eine flächendeckende Ladeinfrastruktur kann die Transformation nicht gelingen. Hier muss die Politik jetzt dafür sorgen, dass der Auf- und Ausbau viel schneller realisiert wird als bisher, nur so lassen sich die Verbraucherinnen und Verbraucher gewinnen.

Auf einen solchen Satz hatten wir gewartet. Dabei hat der Staat vor 70 Jahren doch auch keine Tankstellen gebaut. Warum nehmen Hersteller und Energieanbieter den Ausbau des Ladenetzes nicht selbst in die Hand?

Damals war die Situation anders, der Markt entwickelte sich von selbst: Mit der zunehmenden Zahl an Autos wuchs der Bedarf nach mehr Tankstellen, die dann nach und nach ans Netz gingen. Heute hat die Regierung entschieden, dass bis 2030 jedes zweite neuzugelassene Auto elektrisch sein muss. Das ist staatlich vorgegebene Veränderung. So sehr ich den Markt schätze – das kann auch er allein nicht lösen. Auch die notwendige Netzinfrastruktur um die Ladesäulen anzuschließen, entwickelt sich nicht allein durch Marktsignale.

Pro Woche kommen rund 250 öffentliche Ladesäulen in Deutschland hinzu – eigentlich müssten es aber 2.000 sein. Werden wir dieses Level je erreichen?

Wenn wir das Tempo versiebenfachen, dann ja.

Und wie geht das?

Das geht nur, wenn alle Akteure zusammenarbeiten. Deswegen fordern wir einen Ladegipfel der Bundesregierung mit Tankstellenbetreibern, Wohnungswirtschaft, Parkraumunternehmen, Handel, Ladepunktbetreibern, der Energiewirtschaft, der Mineralölindustrie, Netzbetreibern, Logistik-Branche, Kommunen und natürlich der Automobilindustrie. Jeden Tag ruft mich jemand an, der z.B. sagt, in seiner Stadt gäbe es 50 Tiefgaragenstellplätze, für die er 20 Ladesäulen beantragt hat – doch am Ende bekommt er vom Stromanbieter nur zwei genehmigt. Was ich damit sagen will: Die E-Mobilität muss jetzt ganz oben auf die Prioritätenliste. In Deutschland, aber auch in Europa.

Wie steht Deutschland denn im europäischen Vergleich da?

Deutschland muss sich in puncto E-Mobilität nicht verstecken. In der EU gehören wir mit Frankreich und den Niederladen zu den Ländern, in denen der Ausbau des Ladenetzes kräftig vorangeht. In Süd- und Osteuropa jedoch gibt es abseits der großen Städte kaum Ladesäulen – das ist ein echtes Problem.

Weil die Deutschen dort mit ihrem E-Auto nichts anfangen könnten?

Sagen wir es mal so: Natürlich ist es ein Problem, wenn der jährliche Italien-Urlaub den Kauf eines E-Autos verhindert. Das klingt profan, ist aber eine berechtigte Sorge, die wir auf europäischer Ebene ernst nehmen müssen. Das Problem besteht aber in aller erster Linie für die Verbraucherinnen und Verbraucher in den Ländern, die ja auch von der Elektromobilität überzeugt werden sollen. Deshalb fordern wir hier ein europäisches Monitoring. Zwar liegt die Ausbaukompetenz bei den Mitgliedsstaaten, trotzdem spricht nichts dagegen, hier Transparenz zu schaffen und regelmäßig über den Fortschritt oder eben die Rückstände zu berichten.

Wie könnte das genau aussehen?

Ich stelle mir da ein ähnliches Vorgehen vor, wie es von der EU bereits bei den Flottenemissionen angewendet wird. Überschreiten die Autos eines Herstellers den Grenzwert von durchschnittlich 95 Gramm CO2 pro Kilometer drohen Strafzahlungen. Auf diese Art könnte man auch den Ausbau des Ladenetztes begleiten.

Blicken wir zum Schluss in die fernere Zukunft: Was glauben Sie, wird in 15 Jahren noch jede Familie mit dem eigenen Pkw die Kinder zur Schule fahren – oder macht das dann schon ein selbstfahrendes Auto?

Ich bin immer vorsichtig bei zu weiten Zukunftsvoraussagen. Aber ich bin mir sicher, dass wir in 15 Jahren schon teilautonome Systeme auf den Straßen sehen werden. In der letzten Legislaturperiode wurde noch ein Gesetz zum autonomen Fahren verabschiedet, das die Rahmenbedingungen dafür schafft. Der Bundesrat muss jetzt noch den technischen Verordnungen zur Umsetzung zustimmen - idealerweise passiert das am 11. Februar, nachdem das im vergangenen Jahr versäumt wurde.

Das ist enorm wichtig, denn damit könnten wir Leitmarkt für autonomes Fahren werden. Die deutsche Autoindustrie wurde gerade erst wieder Innovationsweltmeister – wir setzen international die Ausrufezeichen. Das ist wichtig, denn andere Länder sind uns dicht auf den Fersen.

Frau Müller, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Hildegard Müller
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