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Grüner Stahl? Wie Duisburg zum Vorbild für Deutschland werden will


Grüner Stahl
Eine monströse Aufgabe

  • Christine Holthoff
Von Christine Holthoff, Duisburg

Aktualisiert am 07.06.2022Lesedauer: 5 Min.
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Ein Stahlarbeiter von Thyssenkrupp entnimmt eine 1.400 Grad heiße Roheisenprobe beim Abstich am Hochofen 8: Bilder wie dieses soll es in Zukunft nicht mehr geben.Vergrößern des Bildes
Ein Stahlarbeiter von Thyssenkrupp entnimmt eine 1.400 Grad heiße Roheisenprobe beim Abstich am Hochofen 8: Bilder wie dieses soll es in Zukunft nicht mehr geben. (Quelle: Rupert Oberhäuser/imago-images-bilder)

Kein Industriezweig verursacht mehr CO2 als die Stahlbranche. Doch ohne den Werkstoff ist die deutsche Wirtschaft nicht denkbar. In Duisburg könnte sich entscheiden, ob die grüne Transformation gelingt.

Es gibt im Ruhrpott einen Spruch, den Eltern ihren Kindern erzählen, wenn der Nachthimmel mal wieder glutrot leuchtet: "Die Engel backen Plätzken." Es ist ein ziemlich romantisches Bild für das, was in Wahrheit passiert.

Doch dass sie in Duisburgs Stahlwerken wieder die Schlacke zum Abkühlen auskippen, jenen Restmüll, der bei der Produktion abfällt und der nach faulen Eiern riecht, klingt einfach nicht so gut.

Die Geschichte des Ruhrgebiets ist voll von solchen Metaphern. Das fängt bei der Region als Ganzes an, die als "Herzkammer der deutschen Industrie" gilt, und hört bei Grönemeyers Hymne "Bochum" auf, in der er den "Pulsschlag aus Stahl" besingt.

Weg von Kohle und Koks, hin zu Wasserstoff

Ruhrpott, das ist bis heute harte, dreckige Maloche. Die Kumpel auf der Zeche gibt es zwar nicht mehr, die Stahlkocher aber sind noch da. Tag für Tag ziehen sie sich noch immer den silberfarbenen Schmelzermantel über, um bei 800 Grad Lufttemperatur den noch heißeren Roheisenstrom zu bändigen.

Die Bilder, die dabei entstehen, sind ikonisch: Eingehüllt in eine Wolke aus sprühenden Sternen halten die Männer das Abstichloch im Hochofen mit einer Schaufel von Schlacke frei. Es klingt wie ein Job aus der Hölle. Der aber könnte bald verschwinden.

Denn Deutschlands Stahlindustrie will sauberer werden. Allen voran ihre Hauptstadt Duisburg. Weg von Kohle und Koks, hin zu Wasserstoff, klimaneutral hergestellt aus Sonnen- und Windstrom. Das bedeutet auch den Abschied vom Hochofen – und all seinen romantischen Bildern.

Zehnmal so viel CO2 wie der innerdeutsche Flugverkehr

"Unser Ziel ist es, bis spätestens 2045 klimaneutral zu werden", sagt Dr. Marie Jaroni. Sie ist Chefin für Dekarbonisierung bei Thyssenkrupp Steel und damit zuständig für die klimafreundliche Transformation von Deutschlands größtem Stahlkonzern. Eine monströse Aufgabe.

Thyssenkrupp Steel:
Mit 10,9 Millionen Tonnen Rohstahl im Geschäftsjahr 2020/2021 ist die Thyssenkrupp Steel Europe AG mit Sitz in Duisburg der größte Stahlproduzent Deutschlands. Die Stahlsparte des Essener Traditionskonzerns beschäftigt 26.300 Mitarbeiter. Zwischen Januar und März dieses Jahres erzielte sie mit einem bereinigten Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen von 479 Millionen Euro das beste Ergebnis ihrer jüngeren Geschichte.

Die Hütte Schwelgern in den Duisburger Stadtteilen Hamborn und Bruckhausen ist fast fünfmal so groß wie Monaco, kein Stahlwerk in Europa hat größere Ausmaße. Doch genauso gigantisch ist eben auch der Dreck, der entsteht. 20 Millionen Tonnen CO2 verursacht die Stahlsparte von Thyssenkrupp pro Jahr. Das sind 2,5 Prozent des gesamten deutschen Ausstoßes, zehnmal so viel wie der gesamte innerdeutsche Flugverkehr.

Eine Abkehr vom Stahl der Umwelt zuliebe ist nicht leicht. Denn gerade in Deutschland wird Stahl weiter gebraucht. Für Autokarosserien und Waschmaschinen, für Brücken und Konservendosen, aber eben auch: für Elektromotoren und Windkraftanlagen.

Stahl ist systemrelevant. Umso mehr jedoch gilt das, wenn er grün ist.

Das weiß auch Thyssenkrupps Wasserstoff-Chefin Jaroni. Anders als man meinen könnte, ist ihr die eigene CO2-Bilanz nicht unangenehm. Sie nutzt sie lieber, um Druck auf die Politik auszuüben. "Die Klimakatastrophe kann man auch in Duisburg aufhalten", sagt sie bei einem Besuch des Zentrums für Brennstoffzellentechnik (ZBT) an der Uni Duisburg-Essen vor Pressevertretern. "Zusammen mit den Hüttenwerken Krupp Mannesmann verursachen wir hier 3,5 bis 4 Prozent der deutschen CO2-Emissionen. Das ist ein riesiger Hebel."

Doch um den zu nutzen, braucht es Geld. Viel Geld.

Wasserstoff könnte CO2-Ausstoß fast auf null senken

Mit Kosten von bis zu acht Milliarden Euro rechnet Thyssenkrupp für den Gesamtumbau seiner Stahlsparte bis 2045. Vier Hochöfen sollen im Duisburger Norden im laufenden Betrieb durch sogenannte Direktreduktionsanlagen (DRI) ersetzt werden.

Statt Kohle und Koks kommt darin Wasserstoff zum Einsatz. Genauso wie Kohlenstoff befreit er das Eisenoxid im Erz von Sauerstoff und reduziert es zu metallischem Eisen. Anders als bei Koks und Kohle tritt dabei kein Kohlendioxid aus, sondern schlicht Wasserdampf. So könnten 95 bis 97 Prozent der CO2-Emissionen in der Stahlproduktion verschwinden, der Stahl "grün" werden. Wichtigste Voraussetzung dafür: Auch der Wasserstoff muss grün sein.

Grüner Wasserstoff:
Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Dabei werden aus zwei Wassermolekülen je zwei Wasserstoffmoleküle und ein Sauerstoffmolekül gewonnen. Der dafür nötige Strom stammt aus erneuerbaren Energien. Grüner Wasserstoff ist deshalb CO2-frei – anders als grauer Wasserstoff. Dieser wird mittels Dampfreformierung meist aus fossilem Erdgas hergestellt, wobei rund 10 Tonnen CO2 pro Tonne Wasserstoff entstehen. Einen Mittelweg stellt blauer Wasserstoff da: Er entsteht zwar wie grauer Wasserstoff, doch das CO2 wird teilweise im Erdboden gespeichert.

Eine erste neue Anlage will Thyssenkrupp 2025 in Betrieb nehmen. Zusammen mit einem sogenannten Lichtbogenofen, der den in der DRI-Anlage entstandenen Eisenschwamm zu Rohstahl schmilzt, kostet das bereits rund 1,2 Milliarden Euro. Das Unternehmen hat mehrfach deutlich gemacht, dass es dabei auf staatliche Fördermittel setzt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sicherte der Stahlindustrie bereits bei seinem Antrittsbesuch in Nordrhein-Westfalen Ende Februar Unterstützung zu. "Ich bin überzeugt, dass die Stahlbranche zum Aushängeschild der klimaneutralen Wirtschaft werden kann", sagte er damals. Doch der Minister ist selbst abhängig – von Entscheidungen der EU-Kommission.

Das Land NRW und der Bund haben in Brüssel Fördermittel "in beachtlicher Größenordnung" beantragt, wie es heißt. Nun brauche es schnell eine Zusage, so Habeck: "Die Unternehmen stehen insgesamt Gewehr bei Fuß und wollen investieren. Es wäre gut, wenn die EU-Kommission uns da nicht hängen lassen würde."

Wasserstoff-Hotspot Duisburg

Doch fehlende Fördergelder sind nicht das einzige Problem. Auch die Frage, woher und wie der Wasserstoff überhaupt nach Duisburg kommt, ist nicht abschließend geklärt. Von grünem Wasserstoff ganz zu schweigen.

Einer, der schon seit 20 Jahren von der Wasserstoffwende spricht, ist Joachim Jungsbluth, der als Forscher am Zentrum für Brennstoffzellentechnik arbeitet. Der Experte für Wasserstoffsicherheit und Anwendung ist überzeugt, dass Duisburg der beste Ort sei, um zu zeigen, dass die industrielle Nutzung von Wasserstoff funktioniert. Ein Vorbild also für die grüne Transformation der gesamten deutschen Wirtschaft.

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"Wir haben hier sowohl die Abnehmer als auch die Technologie als auch die Möglichkeit, den Wasserstoff herzubringen", sagt Jungsbluth. "Was den zukünftigen Bedarf an Wasserstoff angeht, ist Duisburg ein absoluter Hotspot. Nun müssen wir die Infrastruktur dafür aufbauen."

Der Ruhrpott braucht eine Wasserstoff-Autobahn

Allein die erste kleine DRI-Anlage von Thyssenkrupp mit einer Kapazität von 1,2 Millionen Tonnen Roheisen wird pro Jahr 75.000 Tonnen Wasserstoff benötigen. Nach dem Gesamtumbau der Stahlwerke benötigt Thyssenkrupp die zehnfache Menge. Eine Größenordnung, die nur mit Pipelines denkbar ist. Oder wie Jaroni es nennt: mit einer Wasserstoff-Autobahn durchs Ruhrgebiet.

Laut Jungsbluth ließen sich die relativ leicht bauen. "Wir haben in NRW ein sehr gut ausgebautes Netz an Erdgaspipelines. Um sie für den Transport von Wasserstoff umzurüsten, müssen nur wenige Teile ersetzt werden: Komponenten an Verdichterstationen beispielsweise", erklärt der Forscher. "Aber das sind kleine Investments im Vergleich zu einem Neubau, für den man zudem erst eine Genehmigung braucht."

Wasserstoff-Infrastruktur:
Schon heute gibt es im Rhein-Ruhr-Gebiet das größte Wasserstoffnetz Deutschlands. Der französische Gashersteller Air Liquide betreibt die mehr als 240 Kilometer lange Pipeline, mit der Großabnehmer der Region beliefert werden. Da Thyssenkrupp in einem seiner Hochöfen bereits teilweise Wasserstoff nutzt, soll dieser nun über eine rund sechs Kilometer lange Pipeline an das Netz von Air Liquide angeschlossen werden.

Klar ist: Ohne den Import von Wasserstoff wird es nicht gehen. Nicht für Thyssenkrupp und schon gar nicht für ganz Deutschland. Würde man allein das Duisburger Stahlwerk mit vor Ort erzeugtem grünem Wasserstoff versorgen wollen, bräuchte es 3.800 Windräder für die Elektrolyse. In ganz NRW drehen sich derzeit 3.400 Windräder.

Der Bund ist deshalb in Gesprächen mit Ländern, die grünen Wasserstoff deutlich einfacher und günstiger herstellen können. Die aktuelle Energiekrise wegen des Ukraine-Krieges treibt den Umstieg auf Wasserstoff zusätzlich an. So unterzeichnete Habeck jüngst fünf Kooperationen zum Aufbau einer Wasserstoffwertschöpfungskette zwischen Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Mit dabei: Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz.

Wie wird grüner Stahl wettbewerbsfähig?

Für den Traditionskonzern ist der klimafreundliche Umbau alternativlos. Misslingt er, stehen nicht nur die 14.000 Jobs im Duisburger Norden auf dem Spiel, sondern vier- bis fünfmal so viele weitere in der Region. Nicht umsonst nannte Bernhard Osburg, Chef der Stahlsparte von Thyssenkrupp, die Umstellung den "vielleicht wichtigsten Schritt" in der Geschichte des Unternehmens.

Aber: Wird der Stahl grün, wird er auch teurer. Um am Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, will das Bundeswirtschaftsministerium deshalb bis zum Sommer eine Förderrichtlinie für Klimaschutzverträge erarbeiten. Damit könnte der Bund die Mehrkosten ausgleichen, die Unternehmen entstehen, weil sie klimafreundlich produzieren.

"Am Ende muss die Dekarbonisierung funktionieren, ohne dass Arbeitsplätze verschwinden", sagt Jaroni. Nur dann könne man auch die Bürger bei der Klimawende mitnehmen. "Wenn es in Duisburg kein Stahlwerk mehr gibt, keinen Hafen, wenn alles verschwindet, für das die Region steht – das wäre die schlechteste aller Möglichkeiten."

Selbst die Engel wären dann arbeitslos.

Verwendete Quellen
  • Eigene Eindrücke vor Ort
  • Gespräch mit Wasserstoff-Forscher Joachim Jungsbluth, Thyssenkrupp-Managerin Marie Jaroni und Duisport-Geschäftsführer Markus Bangen
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