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Magersucht und Essstörungen: Eltern spielen eine wichtige Rolle


Kindergesundheit
Magersucht: Eltern verschweigen das tödliche Tabu

dapd, dpa, t-online, mmh

15.03.2012Lesedauer: 5 Min.
Magersucht: dünn und perfekt - eine risikoreiche Mischung.Vergrößern des BildesMagersucht: dünn und perfekt - eine risikoreiche Mischung. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Magersucht und Essstörungen haben vielschichtige Ursachen. Eltern spielen dabei eine große Rolle, aber viel zu oft verschweigen und verdrängen sie das tödliche Problem. Eine Studie der TU Dresden macht Eltern jetzt zu Therapiepartnern der gefährdeten Jugendlichen. Ziel des Online-Therapie-Programms "E@T" ist, bei jungen Frauen das Risiko früh zu erkennen, bevor die Krankheit überhaupt zum Ausbruch kommt. Denn Anorexia nervosa endet in jedem zehnten Fall tödlich.

Prävention bei Magersucht

"Natürlich wäre es mir lieber, alle Casting-Shows würden eingestellt und Heidi Klum würde etwas anderes machen, aber so einfach ist es nicht, das alles führt nicht sofort zu Essstörungen", sagt Professor Corinna Jacobi von der TU Dresden. Die Ursachen sind vielschichtig und Jacobis Studie versucht sie zu erfassen. Im Programm E@T werden Eltern zu Therapiepartnern der gefährdeten Jugendlichen. Es geht um gezielte Prävention, um Früherkennung und frühe Intervention, damit Anorexia nervosa sich gar nicht ausbilden kann. Dazu ist unbedingt die Mitarbeit der Eltern nötig, doch die - so Jacobis Beobachtung - verschweigen das Problem lieber. Magersucht ist ein Tabu. Hilfe wird erst in einem späteren Stadium gesucht - oft zu spät.

Magersucht ist keine Modeerscheinung, es ist ein gefährliches Dauerthema mit riesigem Wachstumspotential. Schuldzuweisungen sind kaum möglich, denn es gibt eine Reihe bestimmter Faktoren, die das Problem verstärken: Mode, Casting-Shows, ungünstige soziale Einflüsse, unrealistische Ideale, übertriebener Perfektionismus, ein verzerrtes Körperempfinden und familiäre Probleme.

Schockierend: Eltern ignorieren Anorexia-Risiko

Jacobi und ihre Mitarbeiter wollen die Gefährdeten über die Schulen erreichen. Über 6000 Briefe mit Fragebögen wurden an Mädchen von elf bis 17 Jahren verschickt, um Risikofälle zu identifizieren, 28 Prozent erhielten die Forscher beantwortet zurück, rund 15 Prozent der Mädchen zeigten ein erhöhtes Risiko für Anorexia, das entspricht 150 Mädchen.

Alle betroffenen Familien wurden angerufen - über die Hälfte war jedoch an Hilfsangeboten nicht interessiert. Für Jacobi ein alarmierendes Zeichen, wie das Risiko ignoriert wird. Magersucht - "wir doch nicht!" - es ist immer noch ein Tabu. Schulen sind ein wichtiger Focus, um die gefährdeten Jugendlichen zu erreichen, Lehrer sind wichtige Vermittler. Doch: "Wenn Lehrer gefährdete Mädchen identifizieren, dann ist es eigentlich schon zu spät".

Eltern müssen Position ergreifen

Jacobi appelliert an Eltern, klar Position zu ergreifen. Eltern müssen echte Ansprechpartner sein. Nur zu sagen, "Ich bin für dich da", reiche aber nicht aus. "Eltern sind realistische Ansprechpartner, wenn sie deutlich machen, dass sie das Kind lieben und ihm klar sagen, dass das Verhalten nicht gesund ist."

Doch wie formuliere ich als Mutter oder Vater meinen Verdacht und meine Sorge? Es scheint leichter zu sein, über ein Drogenproblem zu sprechen, das greifbarer und konkreter wirkt. Klar ansprechen jedoch genügt auch noch nicht. Die entscheidende Frage heißt: "Wie können wir dir helfen? Und gleichzeitig zu vermitteln: "Gemeinsam schaffen wir das." Eltern kommt eine sehr heikle Aufgabe zu.

So dramatisch wie Drogen

Alarmierende Situationen sind beispielsweise diese: Das Kind erscheint nicht zu den gemeinsamen Familien-Mahlzeiten und schiebt Gründe vor, es habe eben schon unterwegs gegessen, es frühstückt nicht und bringt sich mit drei Äpfeln durch den Tag.

Eltern muss klar sein: Magersucht ist genauso dramatisch wie Drogen!

Anorexia nervosa: Wann besteht ein Risiko?

Doch wann spricht man von Magersucht? Anorexia nervosa bedeutet eine Gewichtsabnahme, die selbst herbeigeführt wird, meist durch verringerte Nahrungsaufnahme, aber auch durch Erbrechen.

Diese Faktoren macht Jacobi als wichtigste Risiko-Merkmale aus:

- Gewichtsverluste in den letzten sechs Monaten

- Figur- und Gewichtssorgen

- eines dieser vier Kriterien: Perfektionismus, vorhergehende Essstörungen in der Familie, Extrem-Sport zur Gewichtskontrolle, Ausbleiben der Menstruation (Amenorrhoe)

Wenn mindestens drei der Kriterien auf ein Mädchen zutreffen, besteht ein Risiko. Wenn Frühsymptome erkannt werden, lässt sich gezielt eingreifen und den Mädchen bleibt ein langer und oft lebensgefährlicher Leidensweg erspart.

Bleibende Gesundheitsschäden

Die meisten der Gesundheitsschäden, die durch Magersucht ausgelöst werden, sind reversibel, wenn früh genug gegengesteuert wird, nicht jedoch Osteoporose. Hormonstörungen wirken lange nach. Osteoporose wirkt sich am dramatischsten aus, sie kann bei den betroffenen jungen Mädchen schon so stark ausgeprägt sein wie bei sonst in der Meno-Pause.

Eltern haben schwierige Rolle

Das Thema "Essstörungen erfährt in der Öffentlichkeit, in den Medien, in der Gesellschaft eine große Aufmerksamkeit. Doch viel zu wenig wird beachtet, was im Vorfeld passiert, kritisiert Jacobi, "zum Beispiel wenn in Casting-Shows die Mädchen dünn wie Spargel sind, sich aber noch zu dick fühlen".

Magersucht ist sozial akzeptiert

In Eltern-Gesprächen erhält Jacobi häufig die Rückmeldung: "Eltern finden es gut, wenn ihr Kind dünn ist, noch besser, wenn es dünn und erfolgreich ist. Das ist eine riskante Mischung." Magersucht ist sozial akzeptiert.

Genetische Belastung als Eintrittskarte

Wenig bekannt ist die Rolle der Gene bei der Entstehung von Essstörungen. "Eine genetische Belastung kann die Einstiegskarte sein", so Jacobi. Kommen dann noch weitere Risikofaktoren aus der Umwelt dazu, zeichnet dies eine gewisse Richtung vor.

Solche äußeren Umwelt-Einflüsse wirken auf junge Menschen: Scheidung der Eltern, Umzug, Konflikte, niedriges Selbstwertgefühl, übersteigertes Figurbewusstsein.

Deshalb setzt Jacobis Ansatz bei Essstörungen auch stark auf die Familie. Eltern werden zu Therapeuten. In dem familienorientierten Ansatz müssen sie sich mit kümmern. Schon während der stationären Behandlung in der Genesungsphase wird ihnen die Verantwortung für das Kind übergeben. Sie müssen die Therapie ambulant fortsetzen.

Fakten zu Essstörungen

Unter Essstörungen wie Essbrechsucht (Bulimie) oder Binge Eating (krankhafte Ess-Attacken) ist Magersucht die seltenere, aber gefährlichste Krankheit. Bis zu zehn Prozent der Patientinnen, die deswegen stationär behandelt werden, sterben Schätzungen nach an den Folgen. Unter den psychischen Krankheiten gilt Magersucht als die mit der höchsten Sterberate.

"Die gute Nachricht ist aber, dass 50 Prozent völlig geheilt werden, das ist relativ viel für eine psychische Erkrankung", sagte Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Professorin Martina de Zwaan ist Sprecherin des Forschungsverbundes zur Psychotherapie der Essstörungen (EDNET).

Viele Mädchen erkrankten mit etwa 13 Jahren an Magersucht, wenn ihr Körper weibliche Formen annimmt. Ein zweiter kritischer Punkt sei um den 18. Geburtstag herum die Loslösung vom Elternhaus. Etwa ein Prozent der 13- bis 25-Jährigen sind betroffen. "Allerdings zeigt mehr als jedes fünfte Kind Symptome einer Essstörung", betonte die Expertin. 22 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen haben ein problematisches Essverhalten, wie eine Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) ergab. Auf zehn betroffene Mädchen kommt ein betroffener Junge.

Internet bietet Hilfe und birgt Gefahren

Das Internet bietet Chancen bei der Therapie, birgt allerdings auch Gefahren für magersüchtige Mädchen. Die Zentralstelle für den Jugendschutz im Internet, jugendschutz.net, registriert einen stetigen Anstieg von Webseiten, die Magersucht verherrlichen. Häufig würden diese von betroffenen Mädchen betrieben, die nicht einsehen, dass sie krank sind.

Immer mehr Kliniken bieten Hilfe online an, das heißt, bundesweit, egal ob in Städten oder auf dem Land, können gefährdete Mädchen betreut werden. Und zwar rechtzeitig, noch bevor die Essstörung überhaupt ausbricht.

Hier finden Sie Information zu dem Dresdner Programm "E@t".

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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