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Ärzte rätselten: Depression erwies sich als Tumor


Rätselhafter Medizinfall
Was hinter der Depression wirklich steckte

spiegel-online, Heike Le Ker

Aktualisiert am 26.01.2016Lesedauer: 3 Min.
Viele Symptome deuteten bei der Patientin (Symbolbild) auf eine Depression hin. Erst später fanden die Ärzte heraus, dass gutartige Tumoren die Beschwerden verursachten.Vergrößern des BildesViele Symptome deuteten bei der Patientin (Symbolbild) auf eine Depression hin. Erst später fanden die Ärzte heraus, dass gutartige Tumoren die Beschwerden verursachten. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Weil eine Mittfünfzigerin antriebslos und apathisch ist, glauben ihre Ärzte an eine Depression. Aber Medikamente helfen nicht, es kommen bald Gedächtnislücken und Konzentrationsprobleme hinzu. Die Mediziner forschen genauer nach.

Lustlos, müde, erschöpft - fast apathisch verbringt die 54-jährige Frau, die sich bei den Psychiatern der Universitätsklinik im französischen Caen vorstellt, ihre Tage. Bei der Arbeit schafft sie kaum etwas und macht sich deswegen Vorwürfe. Gleichzeitig beschreibt sie sich als reizbar, sensibel und nahezu unfähig, Entscheidungen zu treffen oder Aktivitäten zu beginnen. Seit sechs Monaten geht das schon so.

Erfolglose Behandlung mit Antidepressivum

Zuvor war das ganz anders. Wegen dieser Wesensveränderung hat die Frau schon fünf Monate lang ein Antidepressivum geschluckt. Geändert hat das Medikament allerdings nichts an ihrem Zustand. Die Patientin hat die Arznei deshalb wieder abgesetzt.

Als die Ärzte der Universitätsklinik in Caen die Frau untersuchen, fällt ihnen neben den beschriebenen Symptomen nichts Besonderes auf. Die Frau hat keine neurologischen oder internistischen Auffälligkeiten, ihr Gewicht ist stabil und auch die untersuchten Laborwerte sind normal.

Sie schlagen ihr einen weiteren Therapieversuch mit dem Antidepressivum Duloxetin vor. Die Patientin ist einverstanden und nimmt die Pillen ab sofort täglich. Der Erfolg bleibt aus. Nach mehreren Wochen wechselt sie die Arznei auf Anraten der Mediziner.

Stundenlang wach im Bett

Aber auch in den folgenden Tagen und Wochen verbessern sich ihre Symptome nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Zu ihrer Antriebslosigkeit kommen Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme hinzu. Die Patientin spricht jetzt auch über Suizidgedanken. Wann immer sie kann, zieht sie sich in ihr Bett zurück und bleibt dort stundenlang wach liegen.

Es ist der Ehemann, der die Ärzte drängt, weiter nachzuforschen. Er berichtet von Erinnerungslücken seiner Frau. Die Ärzte überprüfen daher den sogenannten Mini-Mental-Status der Frau. Dabei handelt es sich um einen Test, mit dem verschiedene kognitive Bereiche geprüft werden, und der vor allem zur Diagnose einer Demenz genutzt wird. Die Skala reicht von 0 bis 30, wobei 30 das beste Ergebnis ist und für uneingeschränkte kognitive Funktionen steht. Ab einem Wert von 24 und weniger geht man von einem beginnenden geistigen Abbau aus - die Frau hat lediglich einen Wert von 19.

Nun schließen die Ärzte weitere Tests an, wie sie in "BMJ Case Reports" berichten. Dabei wird deutlich, wie groß die Defizite der Frau sind: Sie hat Erinnerungslücken im sprachlichen und visuellen Bereich, sie kann kaum noch rechnen und auch bestimmte Handlungsabläufe nicht mehr planen und umsetzen.

Wo Antrieb und Impulse gesteuert werden

Erst als diese Probleme offenbar sind, ist den Ärzten klar, dass eine isolierte Depression nicht die richtige oder zumindest nicht die einzige Diagnose sein kann. Sie veranlassen eine Computertomographie des Kopfes.

Das erstaunliche Ergebnis: Gleich an mehreren Stellen drücken Tumore auf das Gehirn der Frau. Dabei handelt es sich vermutlich um sogenannte Meningeome. Diese in den meisten Fällen gutartigen Tumore gehen von der Spinnwebenhaut aus, die das Gehirn umspannt und unterhalb der harten Hirnhaut liegt.

Ein größerer der Tumoren befindet sich auf der linken Seite im vorderen Bereich, dem sogenannten Stirnlappen. Dort werden unter anderem Impulse, Handlungen, Antrieb und Aufmerksamkeit gesteuert. Das erklärt, warum die Frau vor allem antriebs- und lustlos ist und nicht mehr richtig schlussfolgernd denken kann. Während erstere Probleme häufig mit einer Depression einhergehen, ist letzteres untypisch.

Tumoren als Ursache sind schwer zu finden

Je nachdem, wo ein Meningeom wächst und auf gesundes Nervengewebe drückt, variieren die Symptome: Es können etwa Kopfschmerzen auftreten oder Lähmungen, Seh- oder Hörstörungen und Gleichgewichtsprobleme oder Gedächtnisverlust. Neben diesen neurologischen Beschwerden kann es aber auch isoliert psychiatrische Veränderungen geben wie Depressionen, Halluzinationen, Ängste oder Apathie. Bei diesen Patienten fällt es Ärzten aber oft schwer, schnell einen Tumor als Ursache zu finden.

Nachdem die Diagnose feststeht, wird die Frau operiert - die Pathologie bestätigt, dass es sich um Meningeome handelt. Der Eingriff ist nicht ohne Risiken, denn die großen Lücken, die die Tumore hinterlassen, bieten Raum für Blutungen.

Bei der Patientin geht aber alles gut: Einen Monat nach der Operation sind ihre depressiven Symptome verschwunden und auch zwei Jahre später geht es ihr gut. Medikamente braucht sie nun nicht mehr.

Die Autoren stellen in ihrem Fallbericht die Frage, ob Ärzte nicht immer Computertomographie- (CT) oder Kernspin-Aufnahmen vom Gehirn eines Patienten machen sollten, bevor sie eine Depression diagnostizieren. Leidet ein Patient unter Depressionen, stehen bei der Diagnostik die psychischen Veränderung im Vordergrund.

Bildgebende Verfahren wie CT oder Kernspin gehören zufolge deraktualisierten Versorgungsleitlinie in Deutschland nicht dazu. Nach Auskunft der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde) wird hierzulande erst dann eine Bildgebung veranlasst, wenn sich die Depression trotz Medikamenten nicht verbessert oder andere Symptome hinzukommen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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