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Ein rätselhafter Patient: Halb blind


Halb blind

spiegel-online, Heike Le Ker

12.03.2017Lesedauer: 4 Min.
Gürtelrose muss früh behandelt werden, um schwerwiegende Folgen zu vermeidenVergrößern des BildesGürtelrose muss früh behandelt werden, um schwerwiegende Folgen zu vermeiden (Quelle: picture alliance / dpa-tmn)
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Eine 60-Jährige kann mit ihrem linken Auge plötzlich kaum noch etwas sehen. Es ist entzündet, das Lid hängt. Was steckt dahinter?

Als die Frau in das Prasad Augen-Institut im indischen Hyderabad kommt, kann sie mit dem linken Auge fast nichts mehr sehen. Nur noch verschwommen nimmt die 60-Jährige Bewegungen wahr. Das Auge selbst kann sie nicht mehr bewegen. Außerdem hängt das linke Lid schwer über dem entzündeten Organ. Von der Nasenspitze über den Raum zwischen den Augenbrauen bis hin zur linken Stirnseite reihen sich wie bei einer Perlenkette kleine dunkle Schorfhügel aneinander. Die rechte Seite hingegen ist offenbar gesund.

Begonnen hatte alles zwei Wochen zuvor mit einem leichten Juckreiz am linken Auge, an der Stirn und an der Nase. Hinzugekommen waren kleine Pusteln und Bläschen sowie Schmerzen in der linken Gesichtshälfte. Der Sehverlust war einen Tag vor dem Krankenhausbesuch plötzlich aufgetreten, berichtet die Frau. Auch seien das Augenlid und die Muskeln erst seither gelähmt. Außer einem Bluthochdruck und einem Diabetes mellitus hat die Frau keine weiteren bekannten Erkrankungen.

Die Ärzte sehen sich ihr stark gerötetes und verklebtes Auge an. Unter dem Lid, das sie mit einem Wattestäbchen anheben müssen, kommt der trübe Augapfel zum Vorschein. Die Pupille ist nur noch unscharf zu sehen, die Iris milchig grün. Bei allen Bewegungen in verschiedene Blickrichtungen, die die Patientin durchführen soll, bleibt der linke Augapfel starr in seiner Mittelstellung stehen. Berühren die Mediziner ihre linke Hornhaut, verschließt sie das Auge nicht reflexhaft wie üblich. Und auch im Gesicht, insbesondere an der Stirn über dem linken Auge, spürt sie Berührungen weniger als rechts. Das rechte Auge ist bei allen Untersuchungen in Ordnung.

Wandert eine Entzündung ins Gehirn?

Die Beschwerden der Patientin sind nicht nur deshalb besorgniserregend, weil sie auf der linken Seite ihr Augenlicht zu verlieren droht. An den Augenbewegungen sind auch mehrere Muskeln und Hirnnerven beteiligt, die offenbar alle in Mitleidenschaft gezogen sind. Zusammen mit der plötzlichen Verschlechterung spricht das für einen Prozess, der fortschreitet. Offensichtlich liegt eine Entzündung vor, die sich entlang des Gewebes bis ins zentrale Nervensystem ausbreiten und somit lebensgefährlich werden kann.

Die Blutanalysen sind allerdings unauffällig und geben auch keinen Hinweis auf eine zugrundeliegende Krankheit oder ein geschädigtes Immunsystem. Im Nervenwasser fällt lediglich eine leicht erhöhte Zahl von Lymphozyten auf, weißen Blutkörperchen, wie sie etwa bei Viruserkrankungen vorkommt.

Auf Kernspinaufnahmen vom Schädel können die Ärzte deutlich erkennen, dass die Augenmuskeln und das umgebende Gewebe auf der linken Seite verdickt sind. Die benachbarten Strukturen wie etwa die venösen Abflüsse und die Hirnhäute sehen unauffällig aus. Die Entzündung scheint sich noch auf den Sehnerv und das umgebende Gewebe wie Muskeln und Sehnen zu beschränken.

Kernspintomografie vom Kopf der Patientin: Die gelben Pfeile zeigen auf die verdickten Augenmuskeln am linken Auge, die bei der Untersuchung Kontrastmittel angereichert haben.

Bei ihren Überlegungen, was der Auslöser für die Beschwerden sein könnte, denken die Ärzte vor allem an eine Pilzinfektion, wie sie in ihrem Fallbericht im "BMJ Case Reports" schreiben. Solche Infektionen kommen insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus vor. Allerdings seien dann häufig auch die Nasennebenhöhlen betroffen, was bei der Patientin nicht der Fall ist. Auch eine Tuberkulose ziehen sie in Betracht, die bakterielle Krankheit ist in Indien sehr verbreitet. Bei der Patientin halten die Mediziner sie aber für unwahrscheinlich.

Aufgrund des Hautausschlags, der Schmerzen und des typischen Verlaufs gehen die Ärzte stattdessen davon aus, dass die Frau an einer Erkrankung leidet, die mit einer Infektion im Kindesalter zu tun hat. Sie hat einen sogenannten Herpes Zoster, auch Gürtelrose oder - wie im Fall der Inderin - Kopfrose genannt. Dabei handelt es sich um eine Reaktivierung von Varizella-Viren, die Windpocken auslösen. Diese zu den Herpesviren gehörenden Erreger verbleiben im Nervensystem und können - meist im höheren Lebensalter - wieder aktiv werden.

Wochenlange Therapie

Im Kopfbereich folgen sie dann meist einem Hirnnerven, so auch bei der Patientin: Bei ihr ist der obere Ast des sogenannten Nervus trigeminus betroffen, der unter anderem für die Sensibilität im Gesicht, an der Hornhaut und der Bindehaut zuständig ist. Daher die juckenden, verkrustenden Bläschen, die Schmerzen im Gesicht und der Funktionsverlust der Augenmuskeln.

Die Patientin schluckt nun fünfmal täglich Aciclovir, eine antivirale Arznei. Außerdem bekommt sie zunächst Infusionen, dann Tabletten und zusätzlich Augentropfen mit Prednisolon, einem Medikament, das die Reaktion des Immunsystems unterdrückt. Auch Schmerzmittel schluckt sie. Diese Therapien werden teils wochenlang fortgesetzt.

Langsam geht es der Patientin besser. Mit dem linken Auge kann sie zunehmend wieder sehen, auch wenn sie die volle Sehkraft nicht zurückerlangt. Auch die Beweglichkeit des Augapfels kehrt nahezu vollständig zurück, nach sechs Monaten hängt das Augenlid kaum noch herab. Damit hat die Patientin Glück gehabt. Ärzte betonen immer wieder, wie wichtig es ist, frühzeitig mit einer antiviralen Therapie zu beginnen, damit so wenig Spätfolgen wie möglich bleiben.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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