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Großveranstaltungen trotz Corona wieder zulassen? "Nein", sagt Epidemiologe Scholz


Massenevents in Corona-Zeiten
Epidemiologe warnt: "Sind in einer fragilen Situation"

InterviewVon Nicole Sagener

Aktualisiert am 04.08.2020Lesedauer: 4 Min.
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Menschenansammlungen, wie hier am Riemer See, bleiben ein Risiko in der Corona-Pandemie.Vergrößern des Bildes
Menschenansammlungen, wie hier am Riemer See, bleiben ein Risiko in der Corona-Pandemie. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Sollte Deutschland Großveranstaltungen trotz steigender Corona-Zahlen wieder zulassen? Der Epidemiologe Markus Scholz sagt im Interview mit t-online.de: nein. Die Gefahr einer zweiten Welle sei zurzeit groß und Massenveranstaltungen aus mehreren Gründen riskant.

Nach monatelangen Beschränkungen sehnen sich Musik-, Kultur- und Sportliebhaber danach, wieder auf Veranstaltungen gehen zu können. Künstler, Sportvereine und Veranstalter bangen teilweise um ihre Existenz und suchen nach Konzepten, Großveranstaltungen trotz der Corona-Beschränkungen wieder möglich zu machen. Ideen und Probeläufe gibt es schon einige, teilweise sogar begleitet von Wissenschaftlern.

So wollen Forscher der Uniklinik Halle bei einem Konzert von Popstar Tim Bendzko am 22. August mehr Wissen über Großveranstaltungen in Zeiten der Corona-Pandemie sammeln. Stattfinden soll das Event mit 4.000 Freiwilligen. Auch das populärste deutsche Leichtathletik-Meeting, das Internationale Stadionfest Berlin (ISTAF), soll dieses Jahr mit rund 3.500 statt 45.000 Zuschauern im Olympiastadion stattfinden.

Im Fußball-Stadion mit mehr als 20.000 Besuchern?

Und auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) sucht nach Möglichkeiten, wie das Infektionsrisiko bei Stadionspielen verringert werden kann. Die 36 Bundesligaclubs haben sich auf ein einheitliches Vorhaben zur möglichen, eingeschränkten Rückkehr der Fans in die Stadien geeinigt, das unter anderem ein Stehplatz- und Alkoholverbot bis zum 31. Oktober vorsieht. Zudem sollen für die Spiele nur personalisierte Online-Tickets verkauft werden, mit denen die Nachverfolgung von Infektionsketten möglich ist.

Der FC Union Berlin geht noch einen Schritt weiter und will schon am ersten Spieltag wieder vor vollem Haus spielen und die Corona-Tests für alle 22.012 Zuschauer im Stadion An der Alten Försterei selbst zahlen. Dazu wären allerdings viele Genehmigungen von den Behörden nötig.

Epidemiologe warnt vor Risiken bei Massenveranstaltungen

Doch wie sind all diese Ideen angesichts wieder steigender Infektionszahlen in Deutschland aus epidemiologischer Sicht zu beurteilen? Im Interview mit t-online.de erklärt der Epidemiologe Professor Markus Scholz von der Universität Leipzig, warum er zurzeit Massen-Events für riskant hält.

t-online.de: Es gibt mehrere Anläufe, wie man trotz der Pandemie Großveranstaltungen zulassen könnte. Unter anderem soll ein Konzert von Sänger Tim Bendzko von Forschern der Universitätsmedizin Halle begleitet werden, um herauszufinden, ob und wie Großveranstaltungen in Zeiten von Corona funktionieren könnten …

Prof. Markus Scholz: Das Probekonzert von Tim Bendzko ist ein interessantes Projekt. Dort sollen verschiedene Varianten der Durchführungen ausprobiert und geprüft werden, wie Kontakte zwischen den Teilnehmern etwa durch bestimmte Wegekonzepte minimiert werden könnten. Dass es sich hier um einen wissenschaftlich begleiteten Testlauf handelt, zeigt aber, wie wenig wir noch über Ausbreitungsrisiken des Coronavirus bei solchen Veranstaltungen wissen.

Halten Sie Massenveranstaltungen noch in diesem Jahr trotzdem für vorstellbar?

Grundsätzlich stehe ich dem Zulassen von Großveranstaltungen kritisch gegenüber. Denn die wissenschaftliche Auswertung der bisherigen Maßnahmen zeigt, dass die Absage von Großveranstaltungen sehr effektiv war, um die Epidemie stark einzudämmen. Außerdem sind wir in Deutschland zurzeit in einer fragilen Situation. Die Gefahr einer zweiten Welle ist sehr groß. In vielen Ländern, etwa Kroatien und Israel, hat sie schon begonnen und fällt dort größer aus als die erste.

(Quelle: Universität Leipzig)

Prof. Markus Scholz
leitet am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) der Universität Leipzig eine Arbeitsgruppe zur Genetischen Statistik und Systembiologie. Er beschäftigt sich mit molekularen Ursachen von komplexen Erkrankungen sowie mit deren Modellierung. Seine Arbeitsgruppe betreibt seit 15 Jahren Infektionsforschung und untersucht aktuell auch die Corona-Pandemie.

Was macht Sportveranstaltungen in Stadien, Konzerte und andere große Events aus Ihrer Sicht für die Entwicklung der Corona-Pandemie so riskant?

Ich sehe aus mehreren Gründen zurzeit keinen Spielraum für Großveranstaltungen: Die große Zahl der Kontakte ist paradiesisch für die Verbreitung des Virus. Je mehr Kontakte, desto höher die Zahl der Weitergaben. Gäbe es unter den Besuchern Corona-Fälle, käme es womöglich zu sehr vielen Infektionen. Außerdem kann man nicht alle Kontakte nachverfolgen. Die Menschen stehen an der Schlange, holen Bier, gehen auf die Toilette – wie soll das gehen?

Hinzu kommt, dass bei Konzerten und Fußballspielen der Lärmpegel hoch ist. Die Leute müssen also lauter sprechen, und geben dadurch beim Sprechen mehr Aerosole ab, über die das Virus transportiert werden kann. In diesem Kontext ist es außerdem schwierig, Hygienekonzepte wie das Tragen der Maske und genügend Abstand durchzusetzen und zu kontrollieren.

Das heißt, Großveranstaltungen sollten tabu sein, bis ein Mittel gegen Corona gefunden ist?

Solange es keinen Impfstoff und kein Medikament gibt, sollte es meiner Meinung nach keine großen Veranstaltungen geben. Wir haben schon in genügend Bereichen Lockerungen zugelassen und müssen jetzt zunächst dringend eine zweite Welle verhindern.

Auch die sogenannten Corona-Partys scheinen ein wachsendes Problem zu sein. Sehen Sie eine Möglichkeit, den Menschen das Feiern zu ermöglichen und dabei die Hygieneregeln einzuhalten?

Aus epidemiologischer Sicht sollten Partys nur im kleinen Kreis stattfinden – auch wenn selbst das nicht risikofrei ist. Zumindest könnte man dann die Infektionen nachverfolgen, und es besteht für die einzelnen Teilnehmer "nur" ein persönliches Risiko. Massenveranstaltungen erhöhen dagegen jedoch nicht nur das persönliche Risiko, sondern sind gesellschaftlich relevant, da es dadurch zu schwer kontrollierbaren Ausbrüchen kommen kann, auf die man im größeren Maßstab reagieren muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit dem Epidemiologen Prof. Markus Scholz
  • Nachrichtenagentur dpa
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