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Experte warnt: "Corona ist nach diesem Winter nicht vorbei"


Beunruhigende Zahlen
Experte warnt: "Corona ist nach diesem Winter nicht vorbei"


04.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Fußgängerzone in Essen: In der Wintersaison steigen bundesweit die Corona-Zahlen.Vergrößern des Bildes
Fußgängerzone in Essen: In der Wintersaison steigen bundesweit die Corona-Zahlen. (Quelle: picture alliance / Rupert Oberhäuser)

Die Inzidenzen steigen und die Impfquote stagniert. Die Politik sucht nach Lösungen und kündigt einen Freedom Day im März 2022 an. Wie kommt Deutschland durch den Corona-Winter? Ein Experte warnt.

Es scheint ein Paradox: Trotz Corona-Impfungen steht Deutschland wieder vor einer kalten Jahreszeit, die Beklemmung verursacht. Die Inzidenzen und auch die Todeszahlen steigen. Was erwartet uns? t-online hat den Immunologen Dr. Andreas Radbruch gefragt. Er ist Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums.

t-online: Herr Radbruch, was sehen wir aktuell? Wie schätzen Sie die Lage ein?

Andreas Radbruch: Wir sehen die Wintersituation mit dem Coronavirus. Die Menschen halten sich mehr in Innenräumen auf, das begünstigt die Übertragung des Virus. Dann hat es das Virus leichter. Abgesehen davon haben wir aktuell etwa 23 Millionen Ungeimpfte, allerdings in Altersklassen, bei denen schwere Krankheitsverläufe nicht besonders wahrscheinlich sind. Nun müssen wir abwarten, ob es eine vierte Welle geben wird oder ob es sich um einen Hügel oder ein Wellchen handelt.

Was hat uns in diese Situation geführt?

Alle Experten haben vor dieser Situation gewarnt. Ich denke, der Kardinalfehler war, die Testpflicht als kostenloses Angebot abzuschaffen, um den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen. Ohne Tests verlieren wir jedoch den Überblick über die epidemiologische Lage. Tests sind die beste Methode, noch in das Infektionsgeschehen einzugreifen. Wir müssen wissen, wo sich die Infektionsherde befinden.

Sie meinen Tests für Ungeimpfte?

Auch für Geimpfte, denn wir wissen ja: Auch Geimpfte können sich infizieren und damit das Virus weitertragen. Es muss das Ziel sein, die Testfrequenzen zu erhöhen. Es ist ein Fehler, dieses Mittel zur Pandemiebekämpfung aus den Augen zu verlieren. Dann fehlt uns einfach auch die Datengrundlage für weitere Entscheidungen. Für das Testen sollte definitiv mehr geworben werden. Schnelltests ziehen zumindest Menschen mit hoher Viruslast raus. Und diese geimpften Positiven müssen ja nicht mal Symptome haben.

Bei den Inzidenzen, die wir derzeit zum Beispiel in Bayern oder Sachsen sehen, ist klar, dass die Gesundheitsämter das wohl nicht mehr nachverfolgen können

Das muss aber gewährleistet sein, denn sonst sind wir schnell bei dem Konzept der Durchseuchung: Das heißt, wir lassen es einfach laufen.

Sind Sie für eine dritte Impfung für alle – nach dem Vorbild von Israel?

Nein. Die zweite Impfung schützt die große Mehrheit der Menschen sehr gut. Studien zeigen: Der Schutz vor einem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung liegt nach der zweiten Impfung bei 95 Prozent. Die dritte Impfung erreicht dann 99,5 Prozent. Das ist sicher sinnvoll für Menschen, die allgemein ein geschwächtes oder langsameres Immunsystem im Alter haben.

Doch wir sehen auch im klinischen Alltag: Bestimmte Menschen sprechen auch auf diese dritte Impfung nicht an, etwa Organtransplantierte, deren Immunsystem so gedämpft wird, dass die Impfung nicht anschlägt. Diese Menschen müssen weiterhin über andere Regeln, wie Hygienemaßnahmen, geschützt werden.

Aber die Allgemeinheit ist nach der zweiten Impfung ausreichend geschützt?

Ja. Als Immunologe sagen ich Ihnen: Es ist normal, dass der Antikörperspiegel sechs Monate nach der Impfung abfällt. Wichtiger ist, dass die Plasmazellen im Knochenmark fleißig weiter Antikörper produzieren. Und das sehen wir doch zum Beispiel bei der Masern-Impfung: Das hält dann jahrzehntelang.

Nun wird der Druck auf Ungeimpfte vonseiten der Regierung immer weiter erhöht. "2G-plus" heißt ja übersetzt: Lockdown für Ungeimpfte. Wie stehen Sie dazu?

Ich sehe, dass sich hier eine Zwei-Klassen-Gesellschaft herausbildet, die das Potenzial hat, die ganze Gesellschaft zu spalten. Die Impfung bleibt eine persönliche Entscheidung – zumindest solange es keine Impfpflicht gibt, und die ist nach allen Aussagen ja nicht geplant.

Das heißt: Menschen, die sich nicht impfen lassen, haben sich dafür entschieden, dieses persönliche Risiko selbst einzugehen. Für sie einen Lockdown einzuführen – ganz praktisch gefragt: Wer soll das kontrollieren?

Um was eiert die Politik herum?

Meine Überzeugung ist: Wir sind ein freiheitlicher Staat. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen sich nicht impfen lassen wollen. Nun hatte jeder, für den der Impfstoff zugelassen ist, das Angebot, sich impfen zu lassen. Jetzt muss auch die versprochene Konsequenz folgen: Das Land macht auf. Es sein denn, man will ein Impfpflicht. Dann muss man das auch klar kommunizieren und die Konsequenzen berücksichtigen.

Was glauben Sie, auf was läuft es diesen Winter hinaus?

Ich glaube, wir bekommen als Mittelweg die italienische Lösung. Dort gibt es eine Impfpflicht für bestimmte Berufe und alle anderen Ungeimpften müssen sich täglich testen lassen. Das ermüdet auf Dauer …

Nun wird häufig gesagt: Wir müssen jetzt noch diesen Winter durchstehen, danach ist das Thema Corona abgehakt. Der "Freedom Day" wird für Ende März verkündet. Wie ist Ihre Einschätzung?

Corona ist nach diesem Winter nicht vorbei. Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieses Virus ähnlich wie das Grippe-Virus immer wieder zurückkommt. Und dabei sind die SARS-CoV-2 Impfstoffe wahrscheinlich viel besser als die Vakzine, die wir gegen Influenza haben. Da gab es schon viele Tote, weil der Impfstoff immer wieder angepasst werden muss. Bei SARS-CoV-2 ist das glücklicherweise bis heute nicht der Fall.

Das Risiko einer neuen Corona-Variante, die von den jetzigen Impfstoffen nicht abgedeckt wird, besteht aber, solange es milliardenfach Mensch gibt, die ungeimpft sind

Ja, und deshalb sage ich: Bevor die Pandemie nicht weltweit in den Griff bekommen wird, sind wir auch nicht sicher. Statt hierzulande den Impfschutz für alle von 95 auf 99 Prozent zu erhöhen, wäre es wichtiger, den Impfstoff in die Länder zu bringen, die aktuell Impfquoten von nahezu null haben. Denn die Beispiele Australien oder Neuseeland haben es gezeigt: Kein Land kann seine Grenzen dauerhaft schließen. Und die Gefahr einer Virusmutation droht von den Ungeimpften.

Herr Radbruch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Radbruch
  • Eigene Recherche
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