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Männliche Küken in der Eierindustrie: Töten ohne Reue?


Männliche Küken in der Eierindustrie
"Das Verbot des Kükentötens hat Existenzen gekostet"


09.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Küken in der Geflügelmast (Symbolbild): Hühner, die zum Eierlegen gezüchtet werden, eignen sich kaum für die Fleischproduktion – ein Problem für die Aufzucht von "Bruderhähnen".Vergrößern des Bildes
Küken in der Geflügelmast (Symbolbild): Hühner, die zum Eierlegen gezüchtet werden, eignen sich kaum für die Fleischproduktion – ein Problem für die Aufzucht von "Bruderhähnen". (Quelle: Countrypixel/imago-images-bilder)

Pünktlich zum Osterfest entbrennt ein neuer Streit ums Ei. Im Fokus dabei: Die Küken-Embryonen – und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir.

Ab wann empfinden Küken Schmerz? Diese Frage beschäftigt aktuell das Bundeslandwirtschaftsministerium ebenso wie die Eierindustrie und Tierschutzvereine. Denn eine neue Studie besagt, das Schmerzempfinden setze später ein als bislang angenommen.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, ausgerechnet ein Grüner, will deshalb das Gesetz zum Verbot des Kükentötens lockern. Und die Landwirtschaft fordert Tempo. Schon zum Jahreswechsel soll die Änderung in Kraft treten. Tierschützer hingegen laufen Sturm gegen die Pläne. Worum geht es bei dem Streit – was genau ist das Problem?

Rückschau: Noch bis vergangenes Jahr wurden in Deutschland etwa 40 Millionen Küken jährlich getötet, weil sie männlich sind und somit keine Eier legen, für die Eierproduktion also unbrauchbar waren. Aufgrund der brachialen Verfahren wurde die Praxis auch "Kükenschreddern" genannt.

2019 jedoch erklärte das Bundesverwaltungsgericht das Töten männlicher Küken für unzulässig. "Das wirtschaftliche Interesse (...) ist für sich genommen kein vernünftiger Grund (...) für das Töten der männlichen Küken", hieß es damals. Das bezog sich auf Artikel 1 des Tierschutzgesetzes, der lautet: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Erlaubt sei die Praxis daher nur noch so lange, bis Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stünden.

Ab wann fühlt ein Küken-Embryo Schmerzen?

Nach längerer Debatte kam es schließlich unter der damaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zum 1. Januar 2022 zum Kükenschredder-Verbot. Die aktuelle Gesetzeslage sieht seitdem vor, dass das Geschlecht des Küken-Embryos schon im Ei bestimmt werden muss. Sind die männlichen Küken erst einmal geschlüpft, ist das Töten nicht mehr erlaubt.

Ab Januar 2024 soll nun eine zweite Verbotsstufe folgen – und hier wird es nun kritisch: Bislang ist nämlich vorgesehen, dass die Geschlechtsbestimmung nur noch bis zum sechsten Tag des Brutvorgangs erfolgen darf. Der Grund: Ab dem siebten Tag empfinden die Embryonen Schmerz, so die Annahme.

Doch genau das stellen Wissenschaftler jetzt infrage. Eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Studie der Technischen Universität München ergab, dass die Hühnerembryonen sogar bis einschließlich zum zwölften Bebrütungstag "mit großer Wahrscheinlichkeit" keine Schmerzen spüren. Erst ab dem 13. Tag könne dies nicht mehr ausgeschlossen werden.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will daher das Verbot anpassen. Geschlechtsbestimmung und Tötung der Embryos sollen bis zum zwölften statt bis zum siebten Tag möglich bleiben. Das diene der Rechtssicherheit im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts, heißt es aus dem Ministerium.

Anders gesagt: Solange die Küken beziehungsweise die Küken-Embryos bei ihrer Tötung keinen Schmerz empfinden, sei die Tötung in Einklang mit dem Urteil rechtmäßig.

Zuspruch aus Koalition wie Opposition

Für sein Vorhaben erhält der grüne Landwirtschaftsminister breiten Zuspruch. Gero Hocker, landwirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, sagt auf t-online-Anfrage: "Mit der frühzeitigen Geschlechtserkennung im Ei wird maximaler Tierschutz ermöglicht." Angesichts der neuen Erkenntnisse "wäre (es) daher eine Farce", an der bestehenden Verbotsverschärfung festzuhalten.

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Auch Stephan Protschka aus der oppositionellen AfD-Fraktion sagte auf t-online-Anfrage, eine Anpassung sei dringend notwendig, wobei er das Verbot grundsätzlich kritisiert: Es habe viele, vor allem kleinere Brütereien zur Aufgabe gezwungen. Zudem habe die AfD bereits mehrfach darauf hingewiesen, "dass die Eintagsküken nicht sinnlos getötet werden, sondern wertvolle und unverzichtbare Ganzkörperfuttermittel" zum Beispiel für Zoos, Falknereien oder Tier-Auffangstationen seien. Tatsächlich wurden bis zum Verbot ein Teil der toten Küken so verwendet.

Verbandschef: Verbot kam "mit der politischen Brechstange"

Auf diese Probleme weist auch Wolfgang Schleicher, Geschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) und Geschäftsführer des Bundesverbands Ei (BVEi) hin. "Die Einführung des Verbots des Kükentötens mit der politischen Brechstange war ein Fehler und hat im Brütereibereich Existenzen gekostet", sagt er auf t-online-Anfrage.

Er spricht sich gegen die Verschärfung aus, die er als "einen schweren Fehler" bezeichnet. Das Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei koste bereits jetzt pro Legehenne ein bis drei Euro. Wird ein männliches Küken nicht getötet, sondern als sogenannter "Bruderhahn" aufgezogen, koste das pro Tier sogar vier bis sechs Euro. Nun rechnet Schleicher mit steigenden Kosten für die Betriebe. Je früher die Geschlechtsbestimmung durchgeführt wird, desto teurer wird es, erklärt er. Mit der Regelung zum Verbot ab dem siebten Tag wäre es also noch teurer geworden als mit der jetzt geplanten Anpassung auf den 13. Tag.

Der Verbandschef fordert allerdings Tempo: Der Bundestag müsste die Gesetzesänderung bis spätestens Juni dieses Jahres beschließen, damit sie bei der Bestellung der Junghennen für das kommende Jahr berücksichtigt werden könne. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Hennen, die 2024 in den Ställen die Eier legen werden, aus einem Verfahren stammen, das dann schon gar nicht mehr erlaubt ist.

Die Befürchtung: Betriebe könnten ihr Zertifikat "Ohne Kükentöten" verlieren – auch wenn es sich dabei nach Auskunft des Landwirtschaftsministeriums nicht um ein gesetzlich definiertes Siegel handelt. Zur zeitlichen Planung heißt es aus dem Özdemir-Haus lediglich: Die Gesetzesänderung solle "schnellstmöglich in Kraft treten, jedenfalls vor dem Jahr 2024."

Schleicher mahnt jedoch auch "eine ehrlichere Debatte um das Töten von Küken" an. Er erklärt: "Am Ende des Tages wird auch der aufgezogene Bruderhahn getötet – nur zu einem späteren Zeitpunkt, an dem dieser nur nicht mehr so putzig aussieht wie das männliche Eintagsküken. Das ist eine gesellschaftspolitische Doppelmoral."

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Tierschützer weisen auf Leid der Hühner hin

Damit trifft ausgerechnet der Verbandschef der Geflügelwirtschaft den Nerv, auf den auch Tierschutzorganisationen abzielen. Oliver Windhorst, Pressesprecher der globalen Tierschutzstiftung Vier Pfoten, sagt auf t-online-Anfrage, die Gesetzesänderung führe am eigentlichen Problem vorbei. Denn sowohl die Zucht der Legehennen für die Eierproduktion als auch das Aufziehen der Bruderhähne zur Fleischproduktion verursache Tierleid – zumal sogenannte Legerassen für letztere eigentlich nicht geeignet sind.

Vier Pfoten fordert daher die Etablierung sogenannter Zweinutzungsrassen, die sich für beide Verwendungen eignen. Bislang werden die Hühner vor allem für eine der beiden Verwendungsarten gezüchtet. Diese will auch das Landwirtschaftsministerium fördern. Windhorst erklärt: "Noch immer ist es Standard, die Tiere den profitorientierten Interessen der industriellen Landwirtschaft anzupassen und nicht die Wirtschaft an den Bedürfnissen der Tiere auszurichten."

Bei der Tierschutzorganisation Peta reicht die Kritik noch weiter: Scarlett Treml, Fachreferentin für Tiere in der Agrarindustrie, sagt auf t-online-Anfrage, die Studienlage sei "alles andere als eindeutig", man befinde sich in einer Grauzone. Mit der beauftragten Studie habe das Landwirtschaftsministerium "wortwörtlich nach einem Schlupfloch gesucht, um aufgrund wirtschaftlichen Interesses weiterhin legalisierte Tierquälerei und somit das Kükentöten fortführen zu können."

Peta gehe es weniger darum, ob die Tiere früher oder später getötet würden, erklärt Treml. "Frech und dreist" sei allerdings die Verbrauchertäuschung seitens der Politik, die suggeriere, dass die Küken mit der neuen Regelung nicht leiden würden. Özdemir gehe es ihrer Meinung nach nur darum, die ins Ausland abgewanderten Unternehmen zurückzugewinnen – in vielen europäischen Ländern ist das Kükentöten noch erlaubt. "Das ist ein Armutszeugnis für den Tierschutz, der hier in Deutschland eigentlich Staatsziel ist", sagt die Tierschützerin.

Im Landwirtschaftsministerium weist man die Kritik auf t-online-Anfrage aber zurück: Deutschland setze sich für ein EU-weites Verbot des Kükentötens ein. Die hierzulande geplante Änderung berge keine Abstriche beim Tierschutz.

Verwendete Quellen
  • Anfragen beim Bundeslandwirtschaftsministerium, Gero Hocke (FDP), Stephan Protschka (AfD), dem Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), Vier Pfoten und Peta
  • zdg-online.de: "Tierschutzgesetz schnell ändern – Geschlechtsbestimmung im Ei endlich auf wissenschaftliche Grundlage stellen"
  • bverwg.de: "Töten männlicher Küken tierschutzrechtlich nur noch übergangsweise zulässig"
  • bmel.de: "Studie: Kein Schmerzempfinden bei Hühnerembryonen vor dem 13. Bebrütungstag"
  • bmel.de: "Projektzusammenfassung: Schmerzempfinden bei Hühnerembryonen"
  • Nachrichtenagentur dpa
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