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AKW-Rückbau: So geht es mit dem Abbau der Kernkraftwerke weiter


AKW-Rückbau
Das kann kaum jemand so gut wie Deutschland

  • Theresa Crysmann
Von Theresa Crysmann

Aktualisiert am 18.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Zufahrt zum abgeschalteten AKW Neckarwestheim 2: Der Rückbau der Atommeiler wird lange dauern. (Quelle: Thomas Lohnes/getty-images-bilder)

Nach dem Atomausstieg wird in den deutschen AKW weiter gearbeitet: Der Rückbau wird noch lange dauern. Zumindest gibt es dafür schon viele Erfahrungswerte.

Rund 15 Minuten hat es gedauert, um die letzten Kernreaktoren des Landes am Wochenende abzuschalten. Bis die Atom-Ära an den Standorten Neckarwestheim, Lingen und Niederaichbach aber wirklich Geschichte ist, werden noch viele Jahre vergehen. Selbst im besten Fall dauert der Rückbau eines Atomkraftwerks ein Jahrzehnt – und kostet bis zu einer Milliarde Euro.

Gleichzeitig ist Deutschland weltweit eines der Länder mit der größten Erfahrung bei der Abwicklung kerntechnischer Anlagen. Denn seit dem erstmals im Jahr 2000 beschlossenen Atomausstieg setzen sich Energiekonzerne hierzulande, trotz des zwischenzeitlichen Rückziehers, bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten mit dem Ablauf für den Rückbau auseinander.

t-online blickt auf die nächsten Schritte und die möglichen Schwierigkeiten auf den drei ungewöhnlichsten neuen Großbaustellen des Landes. Denn: Einfach abreißen ist nicht.

Ist ein AKW nach dem Abschalten wirklich "aus"?

Sobald ein Kernkraftwerk vom Stromnetz getrennt ist und der Reaktor heruntergefahren wurde, gilt es als abgeschaltet. Damit ist keine Kernspaltung mehr möglich. Die Arbeit im Werk geht jedoch weiter, die Anlage tritt nun in die sogenannte Nachbetriebsphase ein. Diese dauert vom Moment der Abschaltung bis zum Beginn des tatsächlichen Rückbaus, für den der Betreiber jedoch zunächst eine Genehmigung braucht.

Wo fehlt noch die Abbauerlaubnis?

Nur mit einer speziellen Genehmigung dürfen die Betreiber eines Atomkraftwerks ihre Anlage zurückbauen. Am Standort Neckarwestheim 2 liegt das behördliche Okay seit Anfang April vor – es ist das einzige der drei jüngst abgeschalteten Werke, das die nötige Erlaubnis für Stilllegung und Rückbau bereits hat.

PreussenElektra, Betreiber des Kernkraftwerks Isar 2, und RWE, denen der Reaktorblock Emsland in Lingen gehört, warten noch auf die jeweilige Rückbaugenehmigung. Die Unternehmen geben an, entsprechende Anträge 2019 beziehungsweise 2016 bei den zuständigen Umweltministerien in Niedersachsen und Bayern eingereicht zu haben.

Im Fall von Isar 2 könnte die bayerische Landesregierung den Abbruch aber noch verzögern: Der Betreiber rechnet zwar damit, dass das Umweltministerium die Rückbaugenehmigung bis Ende des Jahres ausstellt. Doch die Ankündigung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), er überlege, die kerntechnische Anlage in Landesverantwortung weiterbetreiben zu lassen, könnte für Verzögerungen im Genehmigungsprozess sorgen.

Söder hatte noch kurz vor der Abschaltung des Reaktors angekündigt, man werde auf Behördenseite alle rechtlichen Spielräume nutzen, um das Ende der Atomenergienutzung nicht zu beschleunigen.

Was passiert in der Wartezeit?

Auch ohne Rückbaugenehmigung müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lingen und an der Isar nicht Däumchen drehen. Schon jetzt können auch dort die Brennstäbe, die zuletzt aus dem Reaktordruckbehälter entfernt wurden, in ein Abklingbecken gebracht werden, um dort abzukühlen. Vorstellen kann man sich das Becken wie einen sehr tiefen Swimmingpool, in dem die Brennelemente rund fünf Jahre aktiv gekühlt werden, bis sie nur noch 40 bis 50 Grad Celsius warm und damit transportfähig sind.

Ältere Brennelemente, die bereits ausreichend abgeklungen sind, werden in der Nachbetriebsphase in Castor-Behälter verladen und ins nächstgelegene Zwischenlager gebracht. Erst wenn keine Kernbrennstoffe mehr im Kernkraftwerk lagern, sinken die Sicherheitsanforderungen und die Stilllegung kann beginnen.

Wie wichtig die kontinuierliche Kühlung ist, hat 2011 die tödliche Reaktorkatastrophe in Fukushima gezeigt: Ein Erdbeben und ein darauffolgender Tsunami hatten den Kühlkreislauf der Anlage unterbrochen; durch die sogenannte Nachzerfallswärme der Brennelemente überhitzte das Wasser im Abklingbecken und verursachte eine Explosion, bei der hochradioaktive Gase austraten.

In welcher Reihenfolge läuft der Abriss?

Der Abbau der Kernkraftwerke beginnt im Innern und konzentriert sich zuerst auf den sogenannten Kontrollbereich, in dem die am stärksten radioaktiv belasteten Anlagenteile verbaut sind. Die Strahlung kann hier den Wert von 6 Millisievert pro Jahr übertreffen. Zum Vergleich: Laut dem Bundesamt für Strahlenschutz liegt die natürliche Strahlenbelastung in Deutschland bei durchschnittlich 2,1 Millisievert pro Jahr.

Zu dem Kontrollbereich gehören in der Regel das Reaktorgebäude sowie gegebenenfalls benachbarte Gebäude, in denen sich Hilfsanlagen für den Reaktor befinden. Auch Lagergebäude für Brennelemente sind in diesem Bereich. Abgebaut werden hier im ersten Schritt nur Systeme und Anlagenteile, die nicht für die Nachbetriebsphase benötigt werden.

Als Nächstes geht es ans Herz des Kraftwerks, den Reaktordruckbehälter. Nacheinander werden hier die Einbauten zerlegt und verpackt, bevor der Behälter selbst und alle Teile des angeschlossenen Kühlkreislaufs abgebaut werden.

Ist der Reaktor entkernt, ist auch der etwa zwei Meter dicke Stahlbetonzylinder entbehrlich, der bislang als Strahlungsabschirmung gedient hat. Nach und nach werden dann die restlichen Bauten auf Kontamination geprüft und gegebenenfalls dekontaminiert. Ganz am Ende kann der Sprengmeister kommen: Zumindest von EnBW ist bekannt, dass man die Kühltürme stillgelegter AKW auch gerne mal sprengt.

Wie lange dauert der Rückbau?

Bei RWE geht man davon aus, dass das Kernkraftwerk Emsland bis zum Jahr 2038 vollständig abgebrochen sein wird. Auch EnBW rechnet für den zweiten Reaktorblock in Neckarwestheim mit einer Rückbaudauer von circa 15 Jahren.

Seitens PreussenElektra ist auch von 15 Jahren die Rede – jedoch erst ab Erhalt der Rückbaugenehmigung. Wann diese, angesichts des Gegenwinds aus der bayerischen Landesregierung, kommen könnte, scheint derzeit ungewiss.

Wohin mit dem Atommüll?

Die wohl größte Herausforderung ist die Suche nach einem Endlager für die verbrauchten Brennstäbe aus den Atomkraftwerken – insgesamt rund 27.000 Kubikmeter, etwa so viel wie elf randvolle olympische Schwimmbecken. Die Brennelemente gelten als hochradioaktiver Müll, der laut dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Hunderttausende Jahre lang gefährlich bleibt.

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Die Suche nach einem geeigneten Endlager gestaltet sich entsprechend schwierig – erst Ende 2022 hatte das Bundesumweltministerium bekannt gegeben, dass die Suche nach einem solchen Standort wohl länger dauern werde als geplant. Ursprünglich hatte die Bundesregierung die Frage bis 2031 klären wollen und das Endlager spätestens 2050 in Betrieb nehmen.

In der Zwischenzeit werden die hochradioaktiven Abfälle in 14 Zwischenlagern aufbewahrt, unter anderem auf den Geländen der jüngst vom Netz genommenen AKW sowie im niedersächsischen Grohnde, im hessischen Biblis und im bayerischen Gundremmingen. Mehr zur Endlagersuche und den damit verbundenen Kosten lesen Sie hier.

Wohin mit dem Bauschutt?

Nicht nur der Atommüll braucht Platz, auch für den Bauschutt aus Kernkraftwerken müssen Lagerstätten gefunden werden. Nach Auskunft des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) kann es dabei in einigen Regionen zu mittel- und langfristigen Engpässen kommen, denn auch die radioaktiv geringfügig kontaminierten Reste der Atom-Ära wollen viele Menschen nicht vor ihrer Haustür deponiert wissen.

"Vielerorts müssen Deponiebetreiber feststellen, dass für die Ablagerung von freigemessenen Abfällen aus dem AKW-Rückbau die Akzeptanz der örtlichen Bevölkerung fehlt", so ein VKU-Sprecher zur "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die Ängste der Anwohner seien jedoch unberechtigt, da kein Strahlenschutzrisiko bestehe. Abbruchmaterial aus Kernkraftwerken gilt dann als "freigemessen", wenn die Strahlenbelastung, die davon ausgeht, nachweislich unter zehn Mikrosievert pro Jahr liegt.

Sowohl die Bundesärztekammer, die Strahlenschutzkommission des Bundes und beispielsweise das Öko-Institut, das den Abbau der Kraftwerke als Gutachterin begleitet, halten es inzwischen "aus medizinischer Sicht verantwortbar", freigemessenen AKW-Schutt zu deponieren. Dennoch ist es in den vergangenen Jahren durchaus vorgekommen, dass Deponieunternehmen den Zeitpunkt solcher Anlieferungen geheim gehalten haben, um Proteste zu vermeiden.

Verwendete Quellen
  • Bundesamt für Strahlenschutz: "Natürliche Strahlung in Deutschland"
  • Scinexx: "Megaprojekt Rückbau - Vom Atomkraftwerk zur 'grünen Wiese'"
  • Kerntechnischer Ausschuss: "Berücksichtigung des Strahlenschutzes der Arbeitskräfte bei Auslegung und Betrieb von Kernkraftwerken"
  • EnBW: "Kernkraftwerk Neckarwestheim: EnBW erhält Genehmigung für den Rückbau von Block II"
  • PreussenElektra: "Antrag zur Stilllegung und zum Abbau des Kernkraftwerks Isar, Block 2, gestellt"
  • RWE: "Antragsunterlagen für die Rückbauanlage Emsland"
  • BR24.de: "Isar-2-Abschaltung befeuert noch einmal Debatte um Atomenergie"
  • Landesregierung Baden-Württemberg: "Atomkraftwerk Neckarwestheim II wird planmäßig abgeschaltet"
  • EnBW: "Kernkraftwerk Philippsburg: EnBW erhält Genehmigung für den Rückbau von Block 2"
  • PreussenElektra: "Fragen & Antworten zur Abschaltung des Kernkraftwerks Isar 2 am 15. April 2023"
  • BASE: "Hochradioaktive Abfälle"
  • BASE: "Zwischenlager"
  • Frank Brettschneider: "Bau- und Infrastrukturprojekte: Dialogorientierte Kommunikation als Erfolgsfaktor"
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